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Gesundheit: Die Angst vor dem Bachelor

Die Hochschulen sind verunsichert – sie brauchen ein neues Leitbild Von Herbert Grüner

Lange Zeit hat sich die Hochschulbildung im Wesentlichen an den Fachwissenschaften orientiert: Gelehrt wurde, was in den Wissenschaften als erkenntnisrelevant galt. Wenig bedeutsam war – vor allem an Universitäten –, ob das Gelehrte irgendeinen Beitrag zur Sicherung der Zukunft der Absolventen außerhalb der Wissenschaften hatte. Die bisherige Lehrerbildung ist ein gutes (schlechtes) Beispiel hierfür. Es galt das Leitbild des Wissenschaftlers. Seine Karriereentwicklung war klar: studentische Hilfskraft – Doktorand – Habilitand – Professor.

Durch den Bologna-Prozess, mit dem das Studium fortan aus einer berufsfähigen Bachelorphase und einer aufbauenden Masterphase besteht, beginnt sich die Lehre zu verändern. Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, wie die Berufsbefähigung des Absolventen erhöht und sein Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert wird. Employability – Berufsbefähigung – gilt nun als erstrebenswert. Selbst der Wissenschaftsrat fordert in seiner jüngsten Studie über die Zukunft der Universitäten, sie mögen sich stärker der Berufsbefähigung der Absolventen zuwenden. Hochschulbildung soll sich am Arbeitsmarkt, an den Unternehmen und ihrem Bedarf orientieren. Leitbild ist der flexible Berufstätige: Auf Grund seiner Hochschulbildung trotzt er der Arbeitslosigkeit, selbst auf schwierigsten Arbeitsmärkten.

Diese Anforderung verunsichert die Hochschulen, ja sie erschüttert sie in ihrem Selbstbild. So fürchten zum Beispiel Universitäten, zum Ausbildungsbetrieb zu degenerieren. Während das Leitbild des an den Hochschulen geformten Wissenschaftlers nicht mehr in die Zeit passt, wird es durch das des Berufspraktikers nicht ersetzt werden können.

In der Tat greift beides zu kurz. Bei der akademischen Bildung kann es weder allein um die Frage gehen, Nachwuchs für die Wissenschaft heranzuziehen – dazu gibt es heute einfach zu viele Studenten. Noch kann es die Aufgabe der Hochschulen sein, sich ausschließlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft auszurichten – Hochschulen sind tatsächlich weit mehr als Ausbildungsbetriebe. Wie könnte ein neues Leitbild also aussehen?

Ich sehe es im verantwortlichen Bürger. Aufgabe der Hochschulen muss es sein, junge Leute dazu zu befähigen, ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft zu leisten – und zwar zur gesamten Gesellschaft, nicht nur zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung.

Der Einzelne muss in der Lage sein, zu verstehen, wo die ethischen Chancen und Grenzen seiner Wissenschaft liegen, worin ihre rechtliche oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besteht. Das ist für den Absolventen selbst bedeutsam, für die Gesellschaft aber unverzichtbar. Darum ist es richtig, wenn rein fachliche Inhalte im Studium jetzt um andere, außerfachliche ergänzt werden. Denn eines ist klar: Eine Gesellschaft wird sich nicht durch Experten alleine weiterentwickeln. Gefordert sind Persönlichkeiten mit fundiertem Fach- und Weltwissen, nicht Technokraten. Nichts ist für eine demokratisch verfasste Gesellschaft abträglicher als eine Vielzahl von eindimensional denkenden Bürgern.

Weil sich jedoch wissenschaftliches Wissen ebenso schnell ändert wie die Handlungsfelder, auf die es sich bezieht, wird sich auch die Organisation des Studiums verändern müssen. Der Phase der akademischen Erstausbildung werden Phasen der akademischen Weiterbildung folgen müssen. Das Studienangebot ist dabei so auszubauen, dass studieren und arbeiten parallel möglich ist. Die inhaltliche Neuorientierung und die organisatorischen Veränderungen stellen für die Hochschulen große Herausforderungen dar. Sie zu bewältigen, kann nicht alleine ihnen zugemutet werden. Sie brauchen eine solide finanzielle Ausstattung. Darüber hinaus braucht es bürgerschaftliches Engagement für den Ausbau und die Weiterentwicklung der Institutionen von Forschung und Lehre – womit wir wieder beim Leitbild des verantwortlich handelnden Bürgers sind.

Der Autor ist Präsident der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW)

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