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Gesundheit: Die Brücke vom Urtext zur Fülle des Lebens schlagen (Kommentar)

Üblicherweise bildet die Wissenschaftszeitschrift "Nature" auf ihrem Titel Modelle von Proteinmolekülen, kosmische Ereignisse, Fossilfunde oder auch mal ein Bild aus der Tier- oder Pflanzenwelt ab. Kunstwerke sind eigentlich nicht auf diesem Titelbild.

Üblicherweise bildet die Wissenschaftszeitschrift "Nature" auf ihrem Titel Modelle von Proteinmolekülen, kosmische Ereignisse, Fossilfunde oder auch mal ein Bild aus der Tier- oder Pflanzenwelt ab. Kunstwerke sind eigentlich nicht auf diesem Titelbild. An diesem Donnerstag allerdings haben die Londoner Blattmacher von "Nature" einmal eine Ausnahme gemacht. Sie haben Michelangelos "Erschaffung Adams" von der Decke der Sixtinischen Kapelle abgebildet, wenn auch nur jenen Ausschnitt des Freskos, der die angedeutete Berührung von Adams schlaffer, noch unbeseelter Hand durch Gottvater zeigt.

Der Anlass für das christliche Motiv im ansonsten streng naturwissenschaftlich ausgerichteten "Nature"-Magazin ist die (für jedermann frei zugängliche) Veröffentlichung der bis auf wenige Abschnitte kompletten Erbinformation des menschlichen Chromosoms 22. Sie wird im Heft von einer internationalen Forschergruppe bekannt gegeben. Buchstabe für Buchstabe des Erbträgers wurde entziffert, insgesamt 33,4 Millionen Mal die biochemisch gespeicherten Buchstaben A,T, G und C. Das ist erst das kleine Anfangskapitel im Buch des Erbguts. Der Abdruck der Gesamtwerkes würde 500 000 "Nature"-Seiten füllen.

Das Genom ist das Buch des Lebens. Doch ist der Blick in die Werkstatt der Schöpfung, den die Genom-Wissenschaftler nun tun, durch manchen Staub getrübt. Denn die DNS-Sequenz menschlicher Chromosomen ist unredigierter Rohtext, in dem sich drei Milliarden Jahre Evolution ausdrücken. Das Genom ist ein historisches Dokument, unermessliche Quellensammlung unserer Entwicklung vom Einzeller im warmen Schlamm bis zu Michelangelo Buonarroti. Es enthält Wiederholungen, Bruchstücke, neu Zusammengefügtes, flüchtige Notizen, lange Strecken von Gestammel und Geschwätz und daneben schließlich jene wahrhaft erhebenden Textabschnitte: die Gene.

Mit den Genen fängt die Arbeit freilich erst an. Denn der Mensch ist mehr als Biologie, wenn er auch ohne sein Genom nicht existieren würde. Nun gilt es, die Brücke vom Urtext zur Fülle des Lebens zu schlagen. Es geht darum zu ergründen, wie auf der Basis von biochemischen Buchstaben-Ketten Zellen, Organe und schließlich Menschen entstehen. Dann werden wir die Erschaffung Adams besser verstehen. Aber schon heute, da der erste Schritt getan ist, dürfen die Forscher sich eine Ruhepause gönnen und einen Blick auf das Meisterwerk werfen.

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