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Gesundheit: Die Clubs in den Studentenwohnheimen locken mit DDR-Charme - Preise wie zu Erichs Zeiten

Wer im Studentenwohnheim wohnt, fühlt sich an die höfliche Abgrenzung in einem Eisenbahnabteil erinnert: Viele kommen, bleiben aber unterschiedlich lange. Wenn aber die Innenstadt weit, der Geldbeutel leer oder der Duft von downtown schal geworden ist, schlägt die Stunde der Wohnheimclubs.

Wer im Studentenwohnheim wohnt, fühlt sich an die höfliche Abgrenzung in einem Eisenbahnabteil erinnert: Viele kommen, bleiben aber unterschiedlich lange. Wenn aber die Innenstadt weit, der Geldbeutel leer oder der Duft von downtown schal geworden ist, schlägt die Stunde der Wohnheimclubs. Die verführerisch kurzen Wege zu ihnen werden nur noch von ihren Preisen übertroffen, die bei 75 Pfennig für die Cola beginnen und mit maximal fünf Mark für den Cocktail alle marktüblichen Preise unterbieten. Die Clubs sind liebevoll kultivierte Restbestände aus DDR-Zeiten, wo fast jedes Uni-Institut einen Keller freigeräumt hatte, um Orte für studentisches Nachtleben zu schaffen.

Das Biesdorfer Wohnheim heißt "Victor Jara", nach einem chilenischen Polit-Sänger. Die Freiheitslieder sind verklungen, und an die alten Zeiten erinnern nur noch ein Plakat für irgendein Konzert in Russland und die Weltjugendfahne. Vom Wohnheim aus führt eine Treppe in den Studentenclub, "Bierkeller" genannt. Manche sagen auch "Eule". Das trinkfreudige Geflügel mit Bierglas und Doktorhut ist aber nur Maskottchen, nicht Namensspender. Die Weltfestspiele 1973 sollen Gründungsanlass gewesen sein. Die Club-Routine ermöglicht abendliche Entspannung von jedwedem Stress, solange man nicht mit Dart-Pfeilen nach den Billard-Kugeln wirft oder andere Spiele unzulässig variiert. Sonnabends ist Ruhe: "Damit die Club-Leute auch ein bisschen Wochenende haben", sagt Falk Fietz vom "Bierkeller", "und weil die Clubs sich keine Konkurrenz machen wollen".

Sonnabends und donnerstags steppt der Bär nämlich schon im Studentenclub "Börse" an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Einst Studentenclub der FDJ an der damaligen Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner", ist diese "Börse" ein eingetragener Verein, der gern als gemeinnützig anerkannt wäre. "Extrem voll ist es immer donnerstags zur Disco", sagt Susanne Münnich von der Clubleitung. Im geräumigen Kellergewölbe ist viel Platz zum Tanzen und Trinken, und die "Börse" bietet echte Steinofenpizza gegen den kleinen Hohlraum im Magen. Spontane Feten an den Clubabenden sind nicht ausgeschlossen, zu Beginn und Ende jedes Semesters werden sie sogar organisiert. Spätestens bis dahin muss ein neues Programmheftchen gedruckt sein, das monatlich erscheint.

Die "Börse" und der Uni-Verselle Club der Humboldt-Uni suchen immer Studenten, die für zehn bis zwanzig Mark in der Stunde Geschirr abräumen oder am Einlass stehen. "Ohne die funktioniert es nicht und sie sind unsere Meinungsfänger", sagt Knud Eichhorn vom Uni-Versellen Club. Um warmes Essen und dreimal wöchentlich Kneipenbetrieb ab neun Uhr kümmern sich noch sieben Angestellte des kleinen Unternehmens. Das Café und der Tanzraum stehen jungen Künstlern für Live- und Konservenmusik, Fasching, Lesungen und Installationen offen. Einziges Sorgenkind ist die Ausstellung im Cafébereich: Die Exponate wechseln zu selten. "Mir wäre es am liebsten, wenn sich ein Student darum kümmern würde", sinniert Knut.

Im Erdgeschoss eines zusammengestückelten Plattenbauquaders entstand 1975 der Club des Wohnheimes Storkower Straße aus mehreren hintereinander liegenden Wohnungen, deswegen heißt er "Schlauch". "Das Bauen macht am meisten Spaß", sagt Thomas Jahnke von der Clubleitung, "jedes einzelne Brett hier ist alt". Er meint auch die gemauerten Sockel, die Bar und die Sitzgruppe, die noch aus dem ursprünglichen Dominzil vom anderen Ende des Blocks stammen. Dort wollte das Studentenwerk mit der Sanierung des gesamten Blocks beginnen. Seit September 1997 ist dieser Teil aber weder Baustelle noch bewohnbar. Der alte "Schlauch" jedenfalls schlängelt sich jetzt durch die fünf Zimmer von ehemals zwei Wohnungen im ersten Stock. Die Clubbetreiber setzen etwa 15 Stunden pro Woche für die Entspannung anderer ein. "Es versteht keiner, warum wir das ohne Geld machen", sagt Thomas Jahnke. "Aber es macht eben so viel Spaß, dass man darüber sogar das Studium vernachlässigt."

War der Club 1993 bis 1994 noch brechend voll, und eine Mitgliedschaft fast die einzige Möglichkeit, garantiert hineinzukommen, ist er jetzt nicht mehr so gut frequentiert. Das Studentenleben werde individualistischer, "und wir sind ja auch schwer zu finden", meint Jahnke. Der "Schlauch" möchte die Wohnheimkinder mit festen Öffnungszeiten auch in den Semesterferien aus ihren Zimmern holen und zu Dart und Doppelkopf animieren. Man kann auch mal nach Werkzeug fragen oder Hilfe bei der Prüfungsvorbereitung bekommen, "einer kennt sich immer aus". Manchmal wird "Würfel dir einen Cocktail" gespielt. Dann kostet jeder Cocktail das, was man gewürfelt hat - ein Riesenspaß bei vielen Einsen. Aber ein Kater begleitet die Besucher sowieso immer. Zumindest als Club-Maskottchen ist er auf allen Ankündigungszetteln zu finden.

Mike Scheller

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