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Gesundheit: Die deutsche Forschung sucht eine Adresse

Berlin erhebt den Führungsanspruch: Aber eine nationale Akademie der Wissenschaften wird wohl auf sich warten lassen

Braucht Deutschland eine nationale Akademie der Wissenschaften, die Zukunftsthemen aufspürt und Ansprechpartner für ausländische Akademien ist? Der Wissenschaftsrat hat sich dafür ausgesprochen – doch ob es sie geben wird, steht in den Sternen.

Der Wissenschaftsrat hat es nicht geschafft, ein fertiges Konzept in seinen beiden Kommissionen durchzusetzen. In der Verwaltungskommission scheiterte der Plan an den Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern. Denn eine nationale Akademie sollte nach dem Konzept des Wissenschaftsrats als Stiftung gegründet werden – gemeinsam getragen von Bund und Ländern. Die Länder wollen dem Bund aber nicht zusätzliche Kompetenzen über Länderakademien einräumen – weder durch die Vordertür einer Verfassungsänderung noch durch die Hintertür einer gemeinsam getragenen Stiftung. Das vom Wissenschaftsrat entworfene Konzept für eine nationale Akademie fand daher keine Mehrheit. Sie sollte mit einem Plenum von 100 herausragenden Wissenschaftlern und einem Senat versehen werden, in dem die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen und die Union der Länderakademien vertreten sind.

Die so genannte „heilige Allianz“ der großen Forschungsorganisationen sowie von der Union der Akademien soll nun möglichst schnell ein neues Konzept erarbeiten. Diese abgespeckte Empfehlung des Wissenschaftsrats sei ein „blamabler Fehlgriff“, kritisiert der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie, Dieter Simon, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Diejenigen, die schon immer gegen das Modell einer nationalen Akademie waren, sollen jetzt das Konzept für eine solche Akademie ausarbeiten. Das ist grotesk. Niemand kann ernsthaft glauben, dass das innerhalb eines Jahres gelingen wird. Der Wissenschaftsrat hat eine Empfehlung beschlossen, die nicht umsetzbar ist. Das habe ich noch nicht erlebt.“

Etwas völlig Neues soll es sein

Das Wort von Dieter Simon hat Gewicht, war er doch vor seiner Zeit als Akademiepräsident selbst Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Die Idee einer nationalen Akademie stammt noch aus der Zeit vor der Wiedervereinigung. Zuerst war an eine Akademie für Technikfolgenabschätzung gedacht. Dann unternahm West-Berlin den Versuch der Gründung einer Arbeitsakademie, die zur Beratung von Politik und Gesellschaft wichtige Themen der Wissenschaft aufbereiten wollte. Der rot-grüne Senat und Walter Momper löste die ehrgeizige Akademie auf. Man wollte keine „konservativen Mandarine“ in der Wissenschaft haben. 1994 kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl die Gründung einer nationalen Akademie an. Später beauftragte Bundeskanzler Gerhard Schröder den ehemaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Winfried Schulze, mit der Planung eines nationalen Forschungsrats. Und jetzt nach dieser Chronologie des Scheiterns wieder nur eine Vertagung.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften sich immer wieder angeboten, die Rolle einer nationalen Akademie zu übernehmen. Sie sieht sich dazu berufen, weil sie sich wie die untergegangene West-Berliner Akademie als moderne Akademie versteht, ihren Sitz in der Hauptstadt hat und ihre herausragenden Mitglieder aus ganz Deutschland beruft. Außerdem wollte sie von Anfang an eine Arbeitsakademie sein, die sich nicht nur um die Edition von berühmten Wörterbüchern der Brüder Grimm kümmert oder Langzeitvorhaben zur Erforschung der Antike von über 100 Jahren Dauer pflegt. Sie hat auch Arbeitsgruppen eingerichtet, die innerhalb von drei Jahren aktuelle Themen der Wissenschaft bis zur Veröffentlichung vorantreiben. Dieter Simon wurde der wortgewaltige Vertreter der Idee, seine Akademie zur nationalen Akademie aufzuwerten.

Dieser Ehrgeiz hat der Berlin-Brandenburgischen Akademie den geschlossenen Widerstand der anderen Länderakademien eingebracht, die sich in der Union zusammengefunden haben. Selbst eine geplante Kooperation mit der ältesten deutschen Akademie, der Leopoldina der Naturwissenschaftler in Halle, scheiterte an dem Führungsanspruch der Berlin-Brandenburger. Mehr als eine junge Akademie für Nachwuchswissenschaftler kam bei der Kooperation nicht heraus. Inzwischen erhebt auch die Leopoldina den Anspruch, die Rolle einer nationalen Akademie zu übernehmen – zumindest auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Diesen Anspruch hat sie im vorigen Jahr formuliert, bevor sie sich mit der Union der Länderakademien und dem Konvent für Technikwissenschaften (acatech) darauf verständigte, eine „Deutsche Akademie der Wissenschaft“ ins Leben zu rufen.

Dieser Versuch genügt den Anforderungen des Wissenschaftsrats auf keinen Fall. Der Wissenschaftsrat wünscht sich etwas völlig Neues – eine flexible und verjüngte Akademie. Zukunftsthemen wie die Folgen des Klimawandels oder Sinn und Gefahren der Stammzellenforschung sollen in einer nationalen Akademie geklärt werden. Warum? Weil es auf Unabhängigkeit ankommt. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, erläutert das am Beispiel der Stammzellenforschung: In der öffentlichen Meinung sei der von der Bundesregierung einberufene Ethikrat als zu politiknah beurteilt worden, und der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe man vorgehalten, sie vertrete in dieser Frage einseitig die Interessen der Forscher.

Wie könnte es weitergehen? Für Dieter Simon ist die Vertretung der deutschen Wissenschaft nach außen die entscheidende Aufgabe einer nationalen Akademie. Nicht zuletzt deshalb, weil nach dem Willen der Ministerpräsidenten der EU sich Europa bis zum Jahr 2010 zur leistungsstärksten Wirtschaftsmacht entwickeln soll und als Motor dafür besondere Anstrengungen in Bildung und Wissenschaft nötig sind. Es geht um die angemessene Vertretung Deutschlands in den Beratungsgremien der EU. „Der Bund muss mit ins Boot genommen werden“, fordert Dieter Simon. Und zwar durch die Mitwirkung des Bundes in einer Stiftung gemeinsam mit den Ländern als Träger für eine nationale Akademie. Simon sieht auch keine sinnvolle Alternative zu dem ursprünglichen Plan des Wissenschaftsrats, einen Kreis der 100 besten Wissenschaftler des Landes im Plenum dieser neuen Akademie zu versammeln und dazu in einem Senat die großen Wissenschaftsorganisationen mit den bestehenden Länderakademien einzubinden.

„Wir sind gut aufgestellt“

Gelingt das nicht, dann bleibt für Dieter Simon nur ein anderer Weg: zu beobachten, wie sich aus dem Kreis der bestehenden Akademien eine nationale Akademie von selbst entwickelt. Für diesen Weg sieht Dieter Simon die Berlin-Brandenburgische Akademie gut aufgestellt. „Wir können nur gewinnen, wenn wir durch unsere Reputation die Aufgabe einer nationalen Akademie de facto übertragen bekommen.“

Der Vergleich einer nationalen Akademie mit der Idee, auch in Deutschland Eliteuniversitäten zu bilden, liegt nahe. Die 16 Bundesländer und die Hochschulrektoren meinen, dass besonders gute Fachbereiche zusammen mit Forschungsinstituten Cluster der Exzellenz bilden sollten. Das sei an sich eine gute Idee, meint Dieter Simon. „Aber mit Clustern allein schafft man keine international bekannte Adresse.“ Eliteuniversitäten wie Harvard, Princeton oder Stanford seien zwar nicht in allen Fächer gleich gut, aber dennoch herausragend genug, um in der Welt als Adressen von Elite zu gelten. Genauso könne nur eine deutsche Akademie mit herausragender Reputation solch eine symbolische Adresse in der Welt werden. Ein Dreiergebilde aus der Union der deutschen Länderakademien, der Leopoldina und der Acatech tauge nicht zu einer symbolischen Adresse.

Zum Thema „Zukunftsmodell Nationalakademie?“ veranstaltet die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften am 25. Februar eine Podiumsdiskussion u.a. mit Dieter Simon, Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen, Peter Gaehtgens (Hochschulrektorenkonferenz) und Günter Stock (Schering). Sie findet um 18 Uhr im Atrium der Deutschen Bank statt (Charlottenstraße 37/38).

Uwe Schlicht

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