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Gesundheit: „Die Gentechnik ist unter uns“

Die Berliner Akademie zum Stand der Forschung

Spätestens beim Gang auf den Markt stellt sich für manchen besorgten Zeitgenossen eine gar nicht so einfache Frage. „Sagen Sie mal“, fragte eine Frau die Verkäuferin am Gemüsestand auf einem Berliner Markt, „sind in den Tomaten Gene drin?“ Gene, auf Deutsch Erbanlagen, sind tatsächlich überall dort zu finden, wo es Leben gibt. Also auch in Tomaten. Aber in der deutschen Diskussion sind sie zu einem Schadstoff geworden, die Gentechnik zu einem Wahlkampfthema: Auf einem Plakat der Grünen zerdrückt eine Faust eine offenkundig genhaltige Tomate. Einen eher sachlichen Blickwinkel zu diesem heiß diskutierten Thema nimmt eine Arbeitsgruppe der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein. In ihrem am gestrigen Mittwoch veröffentlichten „Gentechnologiebericht“ geben sie auf 580 Seiten einen Überblick über den Stand.

„Die Gentechnik ist unter uns“, sagte Ferdinand Hucho, Chemiker an der Freien Universität Berlin und Sprecher der elfköpfigen Arbeitsgruppe, bei der Vorstellung des in vier Jahren erstellten Berichts. „Sie geht nicht mehr weg.“ Man habe keine „Magengrubenurteile“ fällen wollen, sondern mehr als 1000 Datenbanken ausgewertet, um zu einer verlässlichen Analyse zu kommen. „Wir plädieren dafür, Entwicklungen in der Wissenschaft nicht schon zu verbieten, bevor sie angefangen haben“, sagte Hucho.

Als Beispiel dafür nannte Hucho die grüne Gentechnik , also die Züchtung neuer Pflanzen mit Hilfe der Gentechnik. „Die grüne Gentechnik hat Deutschland gestoppt, bevor sie begonnen hat.“ Das vor der Verabschiedung stehende Gentechnikgesetz mache die Erforschung neuer Sorten und Freisetzungsversuche praktisch unmöglich. „Wie geht man rational mit dem Vorsorgeprinzip bei Innovationen um?“, fragte der Sozialwissenschaftler Wolfgang van den Daele vom Wissenschaftszentrum Berlin am Beispiel der grünen Gentechnik. Es sei sinnvoller, anstelle einer „Nulloption“ (alles verbieten) kontrolliert zu experimentieren und die Entwicklung genau zu beobachten.

Die moderne Pflanzenforschung ermöglicht ein tiefes Verständnis von Stoffwechselprozessen, erläuterte Bernd Müller-Röber von der Universität Potsdam. Doch drohe Deutschland wegen der Blockadepolitik der Verlust von Expertise. „Besonders die jungen, gut ausgebildeten Nachwuchswissenschaftler könnten sich aufgrund der unsicheren Zukunft von dem Forschungsgebiet abwenden oder ins Ausland gehen“, heißt es in dem Bericht. Für Müller-Röber ist klar, dass auch die Gentechnik für eine ökologische Landwirtschaft Nutzen bringen kann, weil sie zum Beispiel weniger Herbizide oder Insektizide nötig macht. Die potenziellen Vorteile würden nicht genutzt, die Diskussionsfronten seien verhärtet.

Im Vergleich zum Zankapfel der grünen Pflanzen-Biotechnik sind die drei anderen von der Akademie betrachteten Gentechnik-Bereiche fast unstrittig. Für die genetische Grundlagenforschung halten die Akademiker fest, dass sie „etabliert und akteptiert“ ist, wenn auch an den Hochschulen noch unterbelichtet.

In der Medizin haben sich Gentests etabliert, in der Behandlung gebe es aber noch keinen Durchbruch. Gleichzeitig fehlten jedoch Hinweise darauf, dass nun Behinderte wegen vorgeburtlicher Diagnostik diskriminiert würden.

Rund 350 reine Biotechnik-Firmen gibt es in Deutschland, berichtete der Biologe und Akademie-Mitarbeiter Mathias Boysen. Das Problem: „80 Prozent der Jungunternehmer scheitern aufgrund von Managementfehlern.“ In der Pharmaindustrie gehört die Gentechnik zum Alltag.

Der Gentechnik-Bericht soll ständig aktualisiert werden. Und schon am Jahresende will man sich zum Thema Stammzellen äußern. Die Linie ist klar: Hucho ist nicht nur für eine Novellierung des Gentechnikgesetzes, sondern auch für eine Änderung des strengen deutschen Stammzellgesetzes. Ob die kommt, ist allerdings mehr als ungewiss. Dagegen haben Union und FDP signalisiert, bei einem Wahlsieg die Fesseln der grünen Gentechnik zu lockern. Dann könnte es auf dem Markt noch ein wenig mehr Gene geben.

Gentechnologiebericht, Elsevier Verlag München, 580 Seiten, 59 Euro. Mehr im Internet unter: www.gentechnologiebericht.de

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