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Gesundheit: Die Geometrie der Liebe

Was tut einer Beziehung gut? Paarforscher finden Erfolgsformeln der lebenslangen Liebe

Seattle, Washington. Ein kleines Apartment mit Panoramablick auf tiefblau schimmerndes Wasser. Eine Frau und ein Mann setzen sich an den Frühstückstisch. Die beiden haben erst vor wenigen Wochen geheiratet. Eine Küchenzeile, ein Sofa, Fernseher, CD-Spieler – fast könnte man meinen, das Ehepaar verbringe seine Flitterwochen in einer Ferienwohnung. Wären da nicht die Videokameras an der Wand und die Mikrophone, die sich an ihren Kragen befinden.

Tatsächlich sind die beiden nicht im Urlaub, sie sind an diesem Ort, um ihre Ehe durchleuchten zu lassen. Sie frühstücken im „Liebeslabor“ des Mathematikers und Psychologen John Gottman von der Universität von Washington. Hunderte von Vermählten hat der Pionier der Paarforschung in seinem Labor bereits unter die Lupe genommen. Sein ehrgeiziges Ziel: Den geheimnisvollen Kräften auf die Spur zu kommen, die einer Partnerschaft nützen – oder sie zerstören.

Weltweit fahnden immer mehr Forscher nach den Gesetzen des gemeinsamen Glücks, auch hierzulande. Einige entwickeln auf Grund der Erkenntnisse Workshops, die uns dabei helfen sollen, das Lieben zu lernen. Kurt Hahlweg etwa von der Technischen Universität Braunschweig bringt Paaren, die kurz vor der Hochzeit stehen, mit Hilfe eines Streitkurses ein „wissenschaftlich fundiertes Handwerkszeug zur Konfliktlösung“ bei. In einer Studie konnte der Psychologe nachweisen, dass zwei Menschen, die bei ihm das schönere Streiten gelernt haben, nach drei Jahren Ehe glücklicher mit ihrer Beziehung sind als Kontrollpaare.

Doch die unbestrittene Nummer eins auf dem Feld der Partnerschaftsforschung ist der US-Psychologe John Gottman. Jahrelange Beobachtungen haben den Liebesdoktor in die Lage versetzt, innerhalb kürzester Zeit hochpräzise Diagnosen einer Zweierbeziehung zu erstellen. Gottman glaubt die Anatomie der Ehe mittlerweile so gut zu kennen, dass er behauptet: „Nachdem ich ein Paar fünf Minuten beobachtet habe, kann ich sagen, ob es sich scheiden lassen wird.“

Ist das nur eine maßlose Selbstüberschätzung? Sind solche Prognosen wirklich möglich? Die kurze Antwort lautet: ja. Mehr noch, jeder von uns kann, wenn er die Entdeckungen der Partnerschaftsforscher studiert, ein Gefühl dafür entwickeln, was der Zweisamkeit gut tut und was ihr schadet.

Im Mittelpunkt der Studien steht der Streit. An ihm lässt sich das Schicksal einer Beziehung besonders gut ablesen. So bitten Gottman, Hahlweg & Co Paare, eines ihrer ständig wiederkehrenden Probleme binnen einer vorgegebenen Zeit, meist einer Viertelstunde, zu diskutieren – vor laufender Kamera. Anschließend wird das Videomaterial ausgewertet: Auf welche Art und Weise haben die beiden miteinander geredet? Wie war ihr Gesichtsausdruck, der Ton der Stimme? Sekunde für Sekunde werden die Szenen der Ehe analysiert und kategorisiert.

In einem seiner spektakulärsten Versuche hat Gottman 130 frisch verheiratete Paare beim Zanken beobachtet. Sechs Jahre später kontaktierte er sie wieder. 17 von ihnen hatten sich scheiden lassen. Dabei offenbarte sich: Ob ein Paar noch zusammen oder gescheitert war, hatte sich mit 83-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen lassen – und zwar nur anhand des Verhaltens, das die beiden während des 15-minütigen Streits an den Tag gelegt hatten.

Fünf Beziehungskiller konnte Gottman dabei ausmachen. Er taufte sie die „apokalyptischen Reiter“. Sie lauten: Kritik, Verteidigung, Verachtung, Rückzug und Machtdemonstration. Für den Wissenschaftler stellen sie die Todsünden einer Partnerschaft dar (siehe Infokasten).

Auf der anderen Seite fielen dem Forscher auch jene Liebestalente auf, die einen Streit „wie einen Scherz aussehen lassen“. Der Experte bezeichnet sie bewundernd als „Meister der Ehe“. Worin besteht das Geheimnis ihres Glücks?

Viele Paare schaukeln sich im Streit hoch, einen Angriff vergelten sie mit einem Gegenangriff – bis beide vor Wut kochen. Die Meister der Ehe lassen es nicht so weit kommen: Sie ärgern sich zwar auch über den anderen, ziehen aber auf dem Weg nach unten bald die Notbremse, mit einer netten Geste, einem freundlichen Blick oder einem Scherz.

Wie schaffen sie das bloß? Lange stand selbst Gottman vor einem Rätsel. Bis er die Beobachtungen ausdehnte und seine Versuchskaninchen nicht mehr bloß für eine Viertelstunde, sondern ein ganzes Wochenende lang auf Schritt und Tritt verfolgte – im „Liebeslabor“.

Nach Monaten der Materialauswertung war der Eheforscher zunächst bitter enttäuscht. Die von ihm so bewunderten Meister der Ehe führten nicht im Geringsten „intimere“ oder „tiefere“ Gespräche miteinander als andere. Im Gegenteil, den Großteil ihrer Zeit schienen auch sie sich über so „geistsprühende Themen, wie das Frühstücksmüsli, den Hypothekenzins oder das Baseballspiel“ zu unterhalten. „Was für eine Zeitverschwendung“, sagte sich Gottman frustiert. „Da haben wir uns diese Mühe gemacht, und was ist dabei herausgekommen? Nichts als Schrott.“

Erst allmählich fiel dem Forscher ein gravierender Unterschied zwischen den glücklichen und den unglücklichen Paaren auf. Er lag nicht darin, was sie sagten, sondern wie sie sich beachteten.

Männer zum Beispiel, deren Ehe scheitern sollte, waren in 82 Prozent der Fälle schlicht taub gegenüber den Äußerungen ihrer Frau. In guten Partnerschaften betrug diese „Ignoranzrate“ der Männer nur 19 Prozent. Ähnlich verhielt es sich bei den Frauen – wobei Frauen generell häufiger auf ihren Mann eingehen als umgekehrt.

Tiefe Selbstoffenbarungen, so wurde Gottman klar, oder große Liebeserklärungen mit knallenden Sektkorken und Geigeneinsatz – das, was für viele den Höhepunkt der Romantik darstellt, ist nicht das, was ein Paar zusammenhält.

Wahre Romantik ist zugleich einfacher und anstrengender. Sie besteht darin, für seinen Partner immer wieder Interesse aufzubringen, Zuneigung, Aufmerksamkeit, auch im mühseligen Alltag, nach einem anstrengenden Arbeitstag, beim Geschirrspülen oder beim Samstagseinkauf im Supermarkt: „Auch wenn es komisch klingt“, lautet das Fazit des Forschers, „Romantik wächst wirklich, wenn ein Ehepaar im Supermarkt steht und die Frau sagt: ,Haben wir noch Waschmittel?’ und der Mann nicht nur apathisch mit den Schultern zuckt, sondern antwortet: ,Ich weiß nicht. Ich hole eben welches, für den Fall, dass wir keins mehr haben.’“

Gottman hat die Liebe laborfähig gemacht – aber er ist längst nicht mehr allein. So studiert auch die Psychologin Sandra Murray von der State University of New York in Buffalo die Erfolgsrezepte des gemeinsamen Glücks. Sie entdeckte: Glückliche Partner nehmen sich anders wahr.

In einem ihrer Experimente bat die Forscherin Dutzende von Paaren, die schon seit Jahren zusammenlebten, sich selbst und den Partner anhand einer Liste von Eigenschaften – Intelligenz, Humor, Toleranz usw. – zu benoten.

Es zeigte sich: Unzertrennliche Paare sehen ihren Partner wie durch eine rosarote Brille. Sie geben ihm bessere Noten, als dieser sich selbst bescheinigt. Nicht nur das. Glückliche Partner sehen Stärken in ihrem Lebensgefährten, die nicht einmal dessen engste Freunde erkennen. Bei den unglücklichen Paaren ist es genau umgekehrt.

Wie Murray in einer Langzeitstudie herausfand, trägt die rosarote Brille tatsächlich zum Liebesglück bei. Partner, die von ihrem Lebensgefährten idealisiert wurden, fühlten sich mit der Zeit sicherer, selbstbewusster, mit einem Wort: wertvoller. „Aus den Menschen, die sich selbst als Frösche sahen, wurden die Prinzen, für die ihre Lebensgefährten sie hielten“, formuliert es die Forscherin.

Auch Arthur Aron, Psychologe an der Stony Brook University in New York, ist dem Liebesglück auf den Fersen. Sein Credo: Nichts facht die Leidenschaft so wirkungsvoll an wie die Aufregung.

Den ersten Hinweis dafür erbrachte der Forscher bereits in den 70er Jahren. In seinem legendären „Brückenversuch“ schickte er eine hübsche Mitarbeiterin in den Capilano-Canyon, einen großen Naturpark nahe der kanadischen Stadt Vancouver. Hier gibt es zwei Brücken: die größte Fußgänger-Hängebrücke der Welt, 70 Meter hoch, 140 Meter lang – eine wackelige Angelegenheit über einem rauschenden Fluss. Ein Stückchen weiter führt eine langweilige, solide Brücke über einen Nebenarm des Flusses.

Die Mitarbeiterin stellte sich auf die Hängebrücke und sprach die männlichen Passanten mit der Bitte an, einen belanglosen Fragebogen auszufüllen. Für weiteres Interesse gab sie den Männern noch ihre Telefonnummer. Die Prozedur wiederholte sie auf der stabilen Brücke.

Verblüfft stellte der Forscher fest, dass die Männer von der Hängebrücke viermal häufiger anriefen, als die von der festen. Arons Erklärung: Sie waren auf Grund der Wackelbrücke aufgeregt und hatten ihre Aufregung auf die Frau projiziert. Aus ihrer Aufregung war Erregung geworden. Wir haben kein Herzklopfen, weil wir uns verlieben, sondern wir verlieben uns, weil wir Herzklopfen haben.

In neueren Studien konnte Aron zeigen, dass sich dieses Prinzip auch auf langfristige Partnerschaften anwenden lässt: Gemeinsame Aufregung haucht einer abgekühlten Liebe nachweisbar neues Feuer ein.

So verordnete der Psychologe einer Gruppe von Eheleuten, die im Schnitt seit über 14 Jahren verheiratet waren, jede Woche anderthalb Stunden eine Aktivität, die sie selbst als aufregend eingestuft hatten – Bergsteigen, ins Konzert oder Tanzen gehen. Eine Kontrollgruppe sollte sich während des gleichen Zeitraums auf eine Beschäftigung beschränken, die sie zwar als angenehm, nicht aber als besonders aufregend empfanden, wie Freunde besuchen, Essen gehen oder zusammen etwas Neues kochen.

Ergebnis: Die Paare, die in den letzten zwei Monaten Aufregendes gemacht hatten, waren mit ihrer Beziehung eindeutig glücklicher als zuvor. Bei den anderen hatte sich dagegen nichts getan.

„Die Liebe gleicht einem Fieber“, schrieb der französische Romancier Stendhal. „Sie überfällt uns und schwindet, ohne dass der Wille im Geringsten beteiligt ist.“ Arthur Aron hat dazu auf Grund seiner Experimente eine ganz andere Meinung. Mag ja sein, dass die Liebe wie ein Fieber kommt, aber, davon ist der Forscher überzeugt, sie muss nicht ebenso wieder gehen. Seine Liebesformel lautet: Suchen Sie gemeinsame Herausforderungen und Aufregung im Alltag.

Der Text ist ein gekürzter Ausschnitt aus dem Buch „Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt“ von Bas Kast. Es erscheint morgen im S. Fischer Verlag, 224 Seiten,

17 Euro 90.

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