zum Hauptinhalt

Gesundheit: Die Grotte als Gesamtkunstwerk

Welche Rolle spielte der Raum für die steinzeitlichen Höhlenmaler? Archäologen sagen: Er war Teil einer religiösen Inszenierung

Bei einer berühmten Kirche erwarten wir vom Reiseführer, dass er uns nicht nur die Geschichte der Bilder im Inneren erklärt, sondern auch auf die Architektur und Lage des Gotteshauses eingeht. Dagegen wurde bei der Beschreibung altsteinzeitlicher Bildkunst die Beziehung zwischen Raum und Kunst bisher vernachlässigt, nur weil die Höhlen, in der die Malereien zu finden sind, nicht von Menschen geschaffen wurden. Im Neanderthal Museum in Mettmann trafen sich Archäologen und Architekten, um das Phänomen von Höhlenkunst und Raum einmal interdisziplinär zu beleuchten.

Welche Rolle spielt der Raum bei Höhlengemälden? Der Archäologe Pablo Arias-Cabal von der Universität von Kantabrien hat die Untere Galerie der Höhle von La Garma in Spanien erforscht. Dort findet man visuelle und akustische Zeichen, die vermutlich zu einem Höhlenleitsystem aus der Altsteinzeit gehören. An einer Gabelung ist derjenige Weg durch Malereien hervorgehoben, welcher direkt vor einem großen Wandfries endet. An anderer Stelle muss der Besucher einen engen Raum durchqueren, in dem das Rauschen des Baches zu hören ist, der die Höhle in tiefer gelegenen Stockwerken durchfließt. Erst danach mündet der Weg in einen großen Bildersaal. Die Felsbilder und akustischen Effekte waren offenbar nicht nur Selbstzweck, sondern Teil einer sozial oder religiös motivierten Inszenierung.

Experimente mit Talklampen und Fackeln könnten zeigen, wie die Menschen der Altsteinzeit das Höhleninnere erlebten. Dabei kam der flackernden Flamme sicherlich eine große Bedeutung zu.

Auch in den berühmten Bilderhöhlen von Frankreich und Spanien finden sich Beispiele für eine bewusste Gestaltung und Inszenierung des Höhlenraumes. Der Architekt Thomas Kesseler aus Düsseldorf hat sich mit der Höhle von Niaux beschäftigt, die in den französischen Pyrenäen liegt. Dort erkennt er eine ganze Reihe von architektonischen Planungsprinzipien, die durch die Malerei in den Naturraum eingebracht oder verstärkt wurden. Kesseler sieht die Höhle als „Gesamtkunstwerk von erstaunlich bewusster Gestaltungskraft“.

Felsbilder in der freien Landschaft kontrastieren auf den ersten Blick stark mit den Kunstwerken in der dunklen Enge einer Höhle. Doch für den altsteinzeitlichen Menschen war auch seine oberirdische Umwelt sicher in starkem Maße raumzeitlich gegliedert und begrenzt.

Der Archäologe Tilman Lenssen-Erz, vom Heinrich-Barth-Institut in Köln untersucht seit vielen Jahren Felszeichnungen im Brandberg in Namibia, die Jäger- und Sammler-Gesellschaften vor 2000 bis 4000 Jahren hinterlassen haben. Inzwischen kann er weiblich und männlich, säkulare und religiöse, öffentlich und eher privat geprägte Felsbildstellen unterscheiden. „Weiblich“ geprägte Darstellungen findet man in der Nähe von freien Wohn- und Versammlungsflächen. Sie repräsentieren die kommunikative Rolle der Frau. Dagegen wurden „männlich“ geprägte Felsbildstellen während der Jagd und nur kurzzeitig aufgesucht.

Felskunst, ob unter- oder überirdisch, ist ein Produkt prähistorischer Menschen, bei dem klar ist, wo und meist auch wozu es hergestellt wurde. Indem die Kunst ihren unverrückbaren Platz hat, wird sie „begehbar“, das zweidimensionale Abbild wird zum Raumerlebnis. Erst wenn dieser Zusammenhang erkannt ist, können wir tiefer in die Vorstellungswelt des altsteinzeitlichen Menschen eindringen.

Mathias Orgeldinger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false