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Gesundheit: Die Kompromisslose

Edelgard Bulmahn steht für einen Bund, der in der Wissenschaft mitredet – oft mehr, als die Verfassung erlaubt

STUDIENGEBÜHREN

Bundesbildungsministerin Bulmahn ist strikt gegen Studiengebühren für das Erststudium in der Regelstudienzeit. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr Verbot im Hochschulrahmengesetz jedoch gekippt: Der Bund habe seine Kompetenzen überschritten. Bislang haben nur unionsgeführte Bundesländer angekündigt, Gebühren einführen zu wollen. akü

BAFÖG

Unter der Regierung Kohl waren die Ausgaben für das Bafög auf einen historischen Tiefstand gesunken. 1983 war die Schülerförderung weitgehend aufgehoben worden. Bis 1990 wurde das Bafög nur als Volldarlehen gewährt. 1997 wurden noch 17 Prozent aller Studierenden gefördert. Bulmahns große Bafög-Reformen, wonach Studenten unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern ein Ausbildungsgeld bekommen sollten, verhinderte jedoch Bundeskanzler Schröder: Er argumentierte mit Mehrausgaben von umgerechnet einer Milliarde Euro. Statt des großen Wurfs hob die SPD die Fördersätze und deckelte die Schulden bei 10000 Euro. Inzwischen bekommt jeder vierte Student Bafög. In den siebziger Jahren wurde jedoch fast jeder zweite gefördert. Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm, es werde beim Volldarlehen bleiben. akü

INNOVATION FÜR HOCHSCHULEN

Während die Union Hochschulpolitik für eine reine Ländersache hält, will sich die SPD trotz ihrer beiden Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht dort weiter betätigen. In ihrem Wahlprogramm ist die Rede von einem „neuen Innovationsprogramm für Hochschulen“: Es soll Autonomie, professionelles Management, Frauenförderung und „die Entwicklung verlässlicher Karrierewege“ (auch „Tenure track“ genannt) unterstützen. Das erinnert an das über die Hochschulrektorenkonferenz abgewickelte Programm zur Finanzierung von Bologna-Experten an zwanzig Hochschulen – gegen das aber Hessen und Bayern klagen. akü

WEITERBILDUNG

Die jetzige Bundesregierung will „mittelfristig die Weiterbildung zur vierten Säule der Bildung machen“ und dabei auch die Hochschulen stärker mit einbeziehen. akü

JUNIORPROFESSUR

Eins der großen Reformprojekte von Bulmahn ist die Juniorprofessur. Damit soll der wissenschaftliche Nachwuchs schon früher selbstständig arbeiten und ohne die zeitaufwändige Habilitation Professor/in werden. Damit die Reform nicht an den konservativen Fachbereichen scheitert wie die Assistenzprofessur in den siebziger Jahren, schloss Bulmahn die Habilitation als Weg zur Professur faktisch im Hochschulrahmengesetz des Bundes aus. Wie schon das Studiengebührenverbot kippte Karlsruhe das Gesetz, die Habilitation bleibt als Weg zur Professur erhalten. Fast die Hälfte der rund 900 Juniorprofessuren plant, zusätzlich zu habilitieren, um sich abzusichern. In einer Umfrage sagten über 90 Prozent der befragten Juniorprofessoren, sie seien mit ihrer Arbeitssituation zufrieden. Ob sich die Juniorprofessur aber tatsächlich durchsetzt, ist noch offen. akü

BEFRISTUNGSREGELUNG

Viele Nachwuchswissenschaftler, aber auch der Wissenschaftsrat und die Wissenschaftsorganisationen kritisieren seit Jahren die von Bulmahn mit der Juniorprofessur eingeführte Befristungsregelung. Danach sollen mit Drittmitteln beschäftigte Wissenschaftler nach zwölf Jahren fest angestellt werden – oder aber ausscheiden. Das bislang übliche Hangeln von Projekt zu Projekt wird dadurch unterbunden. Die Initiative „Maintain brain“ gibt an, 12000 Unterschriften gegen die Regelung gesammelt zu haben. Schützenhilfe bekommt Bulmahn jedoch von der Union. Die Wissenschaft brauche keine „ungeregelte Verkettung befristeter Arbeitsverträge“, hat Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg festgestellt. akü

W-BESOLDUNG

Im Jahr 2001/02 hat die Bundesregierung die Professorenbesoldung „W“ eingeführt. Die Professoren verdienen mit steigendem Alter nun nicht automatisch mehr, sondern verdienen sich Leistungszuschläge zu ihrem Grundgehalt (W2: rund 3900 Euro, W3 4700 Euro). Die große Interessenvertretung der Professoren, der Hochschulverband, kritisiert, die neue Regelung setze eine „ruinöse Konkurrenz“ in Gang, da die Reform insgesamt kostenneutral gestaltet werden muss. akü

ELITE-UNIS

Als Bundeskanzler Schröder im Januar vor einem Jahr am Rande des SPD-Parteitags sagte, Deutschland brauche Spitzenuniversitäten, trat er damit eine lebhafte Diskussion um das deutsche Hochschulwesen los. Kurz darauf verkündete Edelgard Bulmahn den Wettbewerb „Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten“. Fünf bis zehn von Deutschlands 100 Universitäten sollten am Ende mit insgesamt 1,9 Milliarden Euro belohnt werden. Die Länder setzten jedoch eine stärkere Förderung in der Breite durch (Förderung von Exzellenzclustern und Graduiertenschulen). Monatelang wurde das Programm als Faustpfand im Verfassungsstreit von Hessens Ministerpräsident Roland Koch blockiert. Erst jetzt kann es starten. akü

FORSCHUNG

„Innovation“ ist eines von Bulmahns Lieblingsworten. Forschung ist Innovation, ein Mittel, um Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum zu garantieren. Die zweckfreie Wissenschaft steht dagegen nicht mehr hoch im Kurs. In dieser Auffassung sind sich die großen Parteien eigentlich einig. Eines der großen Projekte Bulmahns war es, die Helmholtz-Gemeinschaft der Großforschungseinrichtungen nach dieser Idee umzustrukturieren: Setzen von strategischen Schwerpunkten, mehr Wettbewerb, mehr Marktnähe. Kurzum: mehr „Innovation“. wez

GANZTAGSSCHULEN

Das große Ganztagsschulprogramm im Umfang von vier Milliarden Euro gehört zu den Vorzeigeprojekten von Edelgard Bulmahn. Ab diesem Schuljahr sollen laut Bulmahn mindestens 5000 neue Ganztagsangebote an Deutschlands mehr als 40000 allgemein bildenden Schulen bereitstehen. Der Bund darf jedoch der Verfassung nach nur bauliche Maßnahmen bezahlen. Für die Finanzierung des zusätzlichen Personals sind allein die Länder zuständig. Deshalb wird das Programm von manchen Länderchefs mit Skepsis gesehen. akü

ENGAGIERT

Edelgard Bulmahn, 54, ist seit 1998 im Amt. Sie gehört zu den engagiertesten Bildungs- und Forschungsministern, die das Land je hatte.

REFORMFREUDIG

Bulmahn ist es zu verdanken, dass das in der Ära Kohl abgewirtschaftete Bafög wieder zum Leben erwachte. Sie hat die Juniorprofessur angeschoben, eine neue Besoldung für Professoren durchgesetzt oder ein großes Ganztagsschulprogramm auf die Beine gestellt.

KOMPROMISSLOS

Doch sie hat die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Bundes mit Maximalforderungen überstrapaziert, wie ihre Niederlagen in Karlsruhe zeigen: Weder Studiengebühren noch die Habilitation durfte der Bund verbieten. Die Grauzone, in der Bulmahns Vorgänger agieren konnten, ist damit in gleißendes Licht getaucht: Jetzt kann jeder sehen, wie eng die Grenzen des Bundes in der Bildung sind.

UNGESCHICKT

Wenn die Länder den Bund völlig aus der Bildung drängen wollen, ist das auch eine Reaktion auf Bulmahns diplomatisches Ungeschick. Wer sich so aktiv im Hoheitsgebiet der Länder einmischt, muss virtuos kommunizieren können. Bulmahn aber gilt als unelastisch, beratungsresistent und schnell beleidigt.

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