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Gesundheit: „Die Leute glauben, sie sterben am Feinstaub“

Die kleinsten Partikel sind am gefährlichsten, sagt Joachim Heyder. Aber niemand weiß, was sie im Körper anrichten

Die Feinstaubdiskussion in Deutschland wurde durch die Überschreitung des EUGrenzwertes an 35 Tagen im Jahr in einigen Städten entfacht. Dieser Wert von 50 Mikrogramm Staub pro Kubikmeter Luft bezieht sich auf Teilchen von bis zu zehn Mikrometern Größe. Halten Sie diesen Grenzwert für sinnvoll?

Was gemessen wird, ist die Masse aller Teilchen kleiner als zehn Mikrometer, und zwar unabhängig von ihrer chemischen Zusammensetzung und Größenverteilung. Wenn man die Masse als das Maß für eine mögliche Gesundheitsgefährdung nimmt, bedeutet das: Je größer ein Teilchen ist, desto größer seine Gefahr. Inzwischen ist die Wissenschaft aber der Meinung, dass es genau umgekehrt ist. Wir denken: Je kleiner das Partikel, desto größer die mögliche Gefahr für den Menschen.

Wenn die kleinen Teilchen gefährlicher sind als die großen, messen dann die Messstationen derzeit das Falsche?

Richtig. Die keinen Teilchen tragen so wenig Masse, dass sie zur Gesamtmasse aller Teilchen fast nichts beitragen. Wenn unsere Hypothese richtig ist, dann messen wir das Falsche.

Inzwischen ist das Wort Feinstaub in aller Munde. Was bedeutet der Begriff wirklich?

In den USA spricht man bei Teilchen unter 2,5 Mikrometern Größe von Feinstaub, in Europa bei solchen unter zehn Mikrometern.

Die Politik reagiert jetzt mit Lkw-Fahrverboten, Verkehrsumleitungen und Straßenspülungen. Was halten Sie davon?

Ich bin Wissenschaftler. Was da sinnvoll oder praktikabel ist, kann ich eigentlich nicht beantworten. Trotzdem muss man etwas tun. Die EU-Richtlinie, die am 1.Januar 2005 in Kraft getreten ist, wurde schon vor fünf Jahren beschlossen. Seither wusste man, dass das jetzige Dilemma eintreten wird. Und man hat nichts getan. Die Leute müssen sich klarmachen, dass das Zeug in der Luft nicht plötzlich vom 31. Dezember 2004 auf den 1. Januar 2005 gefährlicher geworden ist. Es hat sich überhaupt nichts verändert. Auch in der Vergangenheit sind die jetzt gültigen Grenzwerte überschritten worden.

Man vermutet, dass Feinstaub gesundheitsschädigend ist. Weiß man, wie diese Teilchen im Körper wirken und ob sie Krankheiten auslösen oder verstärken?

Dass diese Teilchen Reaktionen im Körper auslösen, ist ziemlich sicher. Sehr viele toxikologische Untersuchungen haben das gezeigt. Allerdings kennen wir bisher nur Kurzzeitwirkungen. In Experimenten, bei denen kleine Nager über einen Tag lang ultrafeinen Teilchen (unter 0,1 Mikrometer) ausgesetzt wurden, kommt es zu entzündlichen Reaktionen in der Lunge. Aber nach wenigen Tagen sind diese Entzündungen abgeklungen. Und jetzt taucht die Frage auf: Wie bewertet man das im Bezug auf die Gesundheit des Menschen? Man kann nicht einfach sagen: Jeder Effekt, den wir sehen, ist schädigend. Diese Schlussfolgerung ist nicht richtig, geistert aber munter durch die Literatur und die Medien. So werden Ängste und Unsicherheit geschürt. Feinstaub ist kein neues Phänomen. Wer heute lebt, ist diesen Partikeln bereits Zeit seines Lebens ausgesetzt. Welche Konsequenzen das langfristig hat, ist nach wie vor unbekannt. Was die Langzeiteffekte angeht, fehlen vernünftige Studien.

Es gibt ja bereits Studien, die sich mit der Gefährdung für den Menschen befassen. Darin wird die Feinstaubgefahr in Toten pro Jahr oder als verkürzte Lebenszeit angegeben.

Ich halte das für unseriös. Diese Zahlen beruhen auf dem statistischen Zusammenhang zwischen der täglichen Sterblichkeit und der Teilchenmasse in der Luft, der in epidemiologischen Studien festgestellt wurde. Aber dieser Zusammenhang bedeutet nicht, dass es sich um einen ursächlichen Zusammenhang handelt. Wenn die Luftverschmutzung zunimmt und gleichzeitig mehr Personen sterben, heißt das noch lange nicht, dass sie am Feinstaub gestorben sind. Man kann solche Zahlen unter Wissenschaftlern diskutieren, aber man darf sie nicht einfach der Öffentlichkeit mitteilen und damit Ängste schüren. Die Leute glauben jetzt wirklich, sie sterben an dem, was sie einatmen. Ich finde das schlimm.

Können die Staubteilchen, wie einige Studien besagen, in die Blutbahn gelangen?

Setzt man kleine Nager Kohlenstoffteilchen aus, wie sie bei Verbrennungsprozessen entstehen und dann in der Atmosphäre herumschwirren, kann man bereits nach wenigen Stunden Teilchen in den Lungenzellen finden — sowohl im Epithel als auch im Endothel. Epithel ist das, was zur Luftseite hin zeigt, Endothel das, was zur Blutseite hin zeigt. Die Mechanismen kennen wir nicht. Wenn die Partikel so schnell in Zellen, unmittelbar an der Grenze zur Blutbahn vordringen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch ins Blut gelangen, relativ groß.

Könnten sie blutverdickend wirken?

Damit beschäftigen sich auch Forscher an der GSF. In epidemiologischen Studien werden biologische Parameter am Herz-Kreislaufsystem gemessen und mit der Teilchenbelastung der Außenluft verglichen. Aber wie bereits gesagt, beweist das nicht, dass der Feinstaub die körperlichen Veränderungen auslöst. Ein statistischer Zusammenhang ist eben kein Kausaleffekt. Herauszufinden, ob Feinstaub tatsächlich der Grund für solche Veränderungen im Körper ist, ist jetzt Aufgabe der Toxikologie.

Wir wissen also weder, ob wir die richtigen Teilchen messen, noch, wie sich Feinstaub auf die Gesundheit auswirkt. Alles, was wir wissen, ist, dass Feinstaub vermutlich in irgendeiner Weise die Gesundheit beeinflusst. Was raten Sie Politikern in dieser Situation?

Das ist schwer zu beantworten. Die Hypothese, dass Feinstaub krank macht, steht im Raum. Deshalb ist die Wissenschaft verpflichtet, herauszufinden, ob das stimmt. Die Politik kann aber nicht warten, bis wir wissen, ob an dieser Hypothese was dran ist oder nicht, sondern es müssen Maßnahmen ergriffen werden. Das Einfachste ist, den Staub in der Luft so stark wie möglich zu reduzieren, und zwar alle Teilchen, auch die ultrafeinen, die kleiner als 0,1 Mikrometer sind. Aber erst wenn wir genau wissen, welche Partikel gefährlich sind, können wir vernünftig messen und sinnvolle Grenzwerte festlegen.

Derzeit wird viel Geld in Sofortmaßnahmen gesteckt, von denen unklar ist, ob sie langfristig etwas bringen. Sollte nicht lieber verstärkt Geld in die Forschung investiert werden, um möglichst schnell herauszufinden, wie schädlich Feinstaub ist?

Die Wissenschaft braucht mehr Geld, um diesen Fragen nachzugehen. Die ultrafeinen Teilchen, von denen wir annehmen, dass sie das größte Gesundheitsrisiko darstellen, haben eine andere Qualität als die größeren Partikel. Um sehen zu können, was diese Winzlinge im Körper anrichten, brauchen wir neue Technologien. In den USA werden Unsummen dafür ausgegeben. Die Amerikanische Umweltbehörde finanziert fünf Forschungszentren, die nur daran arbeiten, dem Feinstaub und seinen Gefahren auf die Schliche zu kommen. Was dabei herauskommt, wird politische Konsequenzen haben. Ich kenne in Europa kein vergleichbares Projekt.

Im Zentrum der Diskussion stehen die Dieselfahrzeuge. Nun sollen Filter eingebaut werden. Dabei machen Dieselabgase nur einen sehr geringen Teil des Feinstaubs aus. Halten Sie die Rußfilter für sinnvoll?

Im Vergleich zu den Maßnahmen, die den Feinstaub nur verteilen, weg von den Messstationen, halte ich die Rußfilter für die beste, weil die Teilchen wirklich zurückgehalten werden. Ich weiß allerdings nicht, ob die Filter auch die ganz kleinen und vermutlich gefährlichsten Teilchen zu fassen kriegen. In jedem Fall sollte man Fahrzeuge so schnell wie möglich mit Filtern ausstatten.

Was würden sie Leuten raten, die jetzt Angst haben?

Es gibt keinen Grund zur Angst. Die Grenzwerte wurden herabgesetzt und plötzlich werden sie überschritten – das ist kein Wunder und jeder konnte es kommen sehen. Für die Bevölkerung hat sich überhaupt nichts geändert. Ich glaube, es ist inzwischen ziemlich sicher, dass gesunde Personen, bei den Feinstaubwerten hier in Mitteleuropa, überhaupt nichts zu befürchten haben. Zwar kann es auch bei ihnen zu Entzündungen in der Lunge kommen, aber das sind normale Abwehrmechanismen. Wer fit ist, kann das verkraften. Kranke, Kleinkinder und Senioren können aber kurzfristig Probleme durch Feinstaub bekommen. Ob sich bestehende Krankheiten durch die verschmutzte Luft dauerhaft verschlechtert, ist unbekannt. Über Zigarettenrauch, der ebenfalls viel Feinstaub enthält, weiß man hingegen, dass er Lungenkrebs direkt verursachen kann. Zusammenfassend kann man sagen: Es gibt Menschen, deren Gesundheit kurzfristig unter dem Feinstaub in der Luft leidet. Ob Feinstaub aber langfristig krank macht, weiß heute niemand.

Das Interview führte Dagny Lüdemann.

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