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Gesundheit: Die Panik-Bombe

Die USA fürchten, dass Terroristen „schmutzige“ Waffen aus radioaktiven Abfällen bauen könnten – das Material dazu ist selbst in Amerika leicht zu beschaffen

Von Thomas de Padova

„Jahrzehntelang wurde radioaktives Material weltweit zum Nutzen der Menschheit eingesetzt: zur Behandlung von Krankheiten, zur Beobachtung von Ölquellen und zur Bestrahlung von Lebensmitteln, um Mikroben zu vernichten“, sagt Mohamed ElBaradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Genf. Doch mit der Verbreitung radioaktiver Stoffe ist auch die Gefahr des Missbrauchs gewachsen. „Der Mangel an Kontrolle über Tausende weltweit in Gebrauch stehende Strahlenquellen lässt es als durchaus möglich erscheinen, dass Terroristen sich diese aneignen und sie auch einsetzen.“

Die Bedrohung, von der ElBaradei spricht, hat einen n: „dirty bomb“. Terroristen können radioaktive Substanzen unter einen herkömmlichen Sprengstoff mischen und eine „schmutzige Bombe“ bauen. Wie leicht dies geht, machten tschetschenische Rebellen vor: 1995 deponierten sie einen Container mit radioaktivem Cäsium-137 in einem Moskauer Park und drohten, ihn in die Luft zu jagen. Womöglich informierten sie dann selbst einen Fernsehsender, um Panik auszulösen und ihre Stärke zu demonstrieren.

Der Container konnte rechtzeitig sichergestellt werden. Doch die Furcht vor der Terrorwaffe ist seither gestiegen. Und das, obschon die Gesundheitsgefährdung durch radioaktive Strahlung bei einem solchen Anschlag als „relativ gering“ einzustufen ist, wie Herwig Paretzke meint, Direktor des Instituts für Strahlenschutz in Neuherberg. Bei der Detonation einer „schmutzigen Bombe“ können radioaktive Stoffe über Luft, Wasser oder Nahrung in den menschlichen Körper gelangen. Sie werden bei der Explosion aber so fein verteilt, dass eine weiträumige Gesundheitsgefährdung kaum zu befürchten ist.

„Die psychologische Wirkung und der ökonomische Schaden können jedoch viel größer sein als direkte Gesundheitsschäden“, sagt Paretzke. Denn unabhängig von der tatsächlichen Strahlenbelastung würde schon das Bekanntwerden der radioaktiven Gefahr Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Und genau das ist das Ziel von Terrorakten.

Kein Land kann sich derzeit vor der Terrorwaffe sicher fühlen. Denn was man für eine „schmutzige Bombe“ braucht, ist nach Erkenntnissen der IAEO in nahezu jedem Land zu beschaffen. Als Besorgnis erregend gilt insbesondere der Umgang mit Atommüll und strahlenden Abfällen in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Allein in Georgien sind seit Mitte der 90er Jahre bereits 300 verwaiste radioaktive Strahlenquellen aufgetaucht.

Anfang dieses Jahres etwa fanden drei georgische Waldarbeiter einen warmen Metall-Container im kaukasischen Schnee. Als sie ihn als Heizung mit ins Camp schleppten, ahnten sie nicht, dass sie geradewegs in ihr Verderben liefen. Das Gehäuse enthielt eine strahlende Fracht: Strontium-90. Und zwar in so großer Menge, dass die Männer nach wenigen Tagen mit lebensbedrohlichen Strahlenschäden ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Strontium-90 ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie. In der Sowjetunion machte man Batterien daraus. Um die Entsorgung kümmert sich niemand.

Auch von radioaktiven Stoffen, die anderswo auf der Welt in falsche Hände geraten, ist allenfalls bei Unfällen die Rede: In Thailand starben im Frühjahr 2000 drei Menschen, die mit Überresten eines medizinischen Cobalt-60-Strahlers in Berührung kamen. In Istanbul wurden 1999 aus dem selben Grund 18 Personen mit akutem Strahlensyndrom ins Krankenhaus eingeliefert. Dass radioaktive Stoffe über solche Unfälle hinaus ein hohes Sicherheitsrisiko bergen, ist vor allem den US-Amerikanern seit dem 11. September bewusst geworden. „Die Terroranschläge vom letzten September haben die Sicherheitsfrage schlagartig in den Mittelpunkt des Interesses gerückt“, sagt ElBaradei. „Der Einfallsreichtum der Attentäter, das offensichtliche Ziel, Panik und Zerstörung in großem Ausmaß hervorzurufen, und die Bereitschaft der Terroristen, zum Erreichen ihrer Ziele das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, lassen die Bedrohung durch die schmutzige Bombe weitaus realistischer als früher erscheinen.“ Seit Juni dieses Jahres unterstützt die US-Regierung die IAEO dabei, nach gefährlichen Strahlenquellen zu suchen. 25 Millionen Dollar hat das US-Energieministerium zunächst dafür bereit gestellt. Schon die erste Aktion vor drei Wochen war spektakulär: Ein Spezialkommando stellte am Vinca-Institut für Nuklearforschung nahe Belgrad 50 Kilogramm hoch angereichertes Uran sicher. Das Uran hätte nicht nur für „schmutzige Bomben“ getaugt, sondern auch zum Bau zweier Atombomben.

Die Sorge der USA gilt aber nicht nur dem Handel mit radioaktiven Stoffen im Ausland. Auch in Amerika selbst sind seit 1996 knapp 1500 radioaktive Quellen verloren gegangen. Mehr als die Hälfte davon haben Behörden nicht wieder auffinden können.

Nicht alle Quellen eignen sich für eine schmutzige Bombe. Einige Substanzen, die in der Medizin eingesetzt werden, etwa Jod-131, strahlen nur kurzzeitig. Cobalt-60, Cäsium-137 oder Americium-241 kommen dagegen durchaus für die Terrorwaffe in Betracht. Zur Sicherheit des eigenen Personals bewahren Krankenhäuser die entsprechenden Therapiegeräte meist in geschützten Räumen auf. Aber mit dem nötigen Wissen könnten Unbefugte die Quellen in manchen Einrichtungen leicht entwenden, befürchten Experten.

Bisher bergen Unfälle mit radioaktiven Materialien allerdings eine wesentlich höhere Gefahr als der Missbrauch zu Terrorzwecken. Dem eingangs erwähnten Anschlag tschetschenischer Rebellen in einem Moskauer Park ist bis heute kein weiterer gefolgt. Foto: Ullstein

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