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Gesundheit: Die Sandkastenspiele der US-Studenten

Mit Krisenszenerien vermitteln Hochschulen ihren Politologen die Realität der MachtVON ROBERT VON RIMSCHA Wenige Stunden nach der Vereidigung des amerikanischen Präsidenten trafen sich der neue CIA-Direktor und der indonesische Außenminister. China hat gerade eine Grenzstadt Burmas bombardiert, um den gefährlich angeschwollenen Drogenstrom zu stoppen, 250 Menschen starben.

Mit Krisenszenerien vermitteln Hochschulen ihren Politologen die Realität der MachtVON ROBERT VON RIMSCHA Wenige Stunden nach der Vereidigung des amerikanischen Präsidenten trafen sich der neue CIA-Direktor und der indonesische Außenminister. China hat gerade eine Grenzstadt Burmas bombardiert, um den gefährlich angeschwollenen Drogenstrom zu stoppen, 250 Menschen starben.Doch Jakartas Außenminister darf nichtmal öffentlich protestieren, geschweige denn eine UNO-Resolution einbringen.Das ärgert ihn."Der Kontrollrat hat nein gesagt, und dabei wird es wohl bleiben." Wir befinden uns im Jahr 2001.Es kriselt an mehreren Ecken der Welt.Ägyptens Präsident Mubarak ist schwer krank, die Islamisten drohen mit der Machtübernahme.Deutschland ist verzweifelt bemüht, den Euro am Leben zu erhalten, obwohl drei Staaten aus der Einheitswährung aussteigen wollen.Und ausgerechnet ein paar Studenten sollen all diese Probleme lösen. "Crisis simulation" heißt das Spiel.Die amerikanischen Studenten nehmen es bitter ernst.Über vier Wochen hinweg tagen Ausschüsse und Kabinette.Studenten sind plötzlich Minister oder UN-Botschafter.Die Vereidigung des neuen US-Präsidenten und seine Rede zur Lage der Nation wird nachgespielt; es gibt einen Nachrichtensender namens SNN und ehrgeizige Reporter, die Geheimpapiere an Land zu ziehen trachten.Der Student Toshi, ein in Taiwan aufgewachsener Japaner, mimt den indonesischen Außenminister.Sein Kommilitone Nolan ist CIA-Direktor geworden.In seinem Lebenslauf steht: "Hielt inspirierende Anti-Terrorismus-Rede bei der Exekution von Timothy McVeigh, Bombenleger von Oklahoma". Ein bißchen schwarzen Humor leisten sich die Krisen-Studenten.Zu Beginn der Simulation hat jeder Teilnehmer indes ein bitterernstes, umfangreiches Dossier erhalten, in dem der Stand der Entwicklung für jedes Land dargestellt wird. Es gibt falsche Siegel und gefälschte Lebensläufe.Und über allem sitzt jener Kontrollrat, bestehend aus Studenten und Dozenten, der entscheidet, welche Schritte zulässig sind und welche nicht. In der Aula der "Paul Nitze School of Advanced International Studies" (SAIS) der Johns Hopkins Universität im Herzen Washingtons sind auf zwei riesigen Stellwänden die Schlagzeilen der ersten Wochen im Jahre 2001 nachzulesen."Deutsche Regierung beginnt Umzug nach Berlin" steht da, oder "Papst Zbigniew I hält erste Messe.Ansonsten ist aus der Welt im wesentlichen das geworden, was man Anfang 1997 erwarten würde.Tony Blair regiert Großbritannien.Ein Republikaner hat als Nachfolger Bill Clintons das Weiße Haus gewonnen. Ansonsten sind die Vizes an die erste Stelle gerückt.Raul Castro regiert Cuba, Wolfgang Schäuble die Bundesrepublik. Die Johns Hopkins Universität ist nicht die einzige, die immer im Februar ihren "graduate students" - also denen im Aufbaustudium nach dem College-Abschluß - mit ausgefeilten Krisensimulationen ein Gefühl für die Realitäten der Macht in der richtigen Welt geben will.Dutzende Hochschulen in den USA haben ähnliche Programme.Einmal im Jahr, immer im März, lädt auch die UNO den Nachwuchs aus aller Herren Länder nach New York, wo die Studenten dann gleichfalls Weltpolitik spielen und hierzu in Ausschüssen sitzen, die wie die richtigen heissen.Der echte Ausschußvorsitzende erklärt, warum man so verfährt, wie man verfährt.Amerika nimmt das "learning by doing" eben sehr wichtig.Das Institut SAIS an der Johns Hopkins Universität gilt als eines der besten der USA.Jahrelang landeten die meisten Absolventen bei internationalen Organisationen oder in der Politik, oft als Mitarbeiter eines Kongreß-Abgeordneten, gelegentlich auf jenen Posten, die sie zuvor simuliert hatten.Da in den USA das Geld für Außenpolitik knapper wird, hat sich das Berufsfeld ein wenig verschoben. Heute geht ein größerer Prozentsatz der US-Absolventen mit einem Abschluß in internationaler Politik in die Wirtschaft, meist zu multinational tätigen Investmentfirmen.Nolan beispielsweise, der einen Monat lang CIA-Direktor ist, mußte die letzte Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates platzen lassen.Das wirkliche Leben rief in Form eines Vorstellungsgespräches bei Lehman Brothers, einem jener Finanzhäuser, bei denen immer mehr jener Amerikaner landen, die eigentlich Außenminister oder Präsidentenberater werden wollten.Nolan scheint es geahnt zu haben.In seinem Lebenslauf als CIA-Chef ist als Dissertation der Titel zu finden: "Von Castro bis Abu-Nidal - Terroristen und ihr Einfluß auf die internationalen Finanzmärkte."

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