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Gesundheit: „Die Studenten können sich beschweren“

Andreas Pinkwart, Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, über zweckentfremdete Studiengebühren

Herr Pinkwart, Recherchen des Tagesspiegels haben ergeben, dass etliche Hochschulen die Studiengebühren anlegen für Imagebroschüren und Hochschulsportgeräte – oder, um Löcher in ihren Haushalten zu stopfen. Darin sehen viele eine Zweckentfremdung der Gebühren. Ist die Verwendung der Mittel in ihrem Sinne?

Die nordrhein-westfälischen Hochschulen gehen sehr verantwortungsvoll mit den Studienbeiträgen um. Das werden wir nicht durch einzelne schwarze Schafe diskreditieren lassen. Unser Ministerium geht jedem Hinweis auf eine mögliche Zweckentfremdung von Mitteln nach und verordnet gegebenenfalls Korrekturen.

Das Centrum für Hochschulentwicklung kommt in einer Studie aber zu dem Schluss, nur wenige Hochschulen in Nordrhein-Westfalen hätten eine durchdachte Strategie zur Verwendung der Gebühren. Einen langfristigen Qualitätssprung in der Lehre werde es nicht geben.

Insgesamt kommt das CHE zu einem positiven Urteil. In NRW haben im Winter nur die Erstsemester gezahlt, und zwar nur an der Hälfte der Hochschulen. Es ist natürlich klar, dass die Unis mit dem Blick auf das Sommersemester noch konzeptioneller rangehen müssen, wenn die Studienbeiträge für alle Studierenden anlaufen. Das wird auch gemacht. Die Hochschulen müssen sich auf diese Situation einstellen, dass sie mit mehr Geld die Lehre tatsächlich verbessern können. Sie stimmen ihre Pläne mit ihren Studierenden ab. Solche Prozesse brauchen Zeit. Ich gehe davon aus, dass sich die Qualität der strategischen Konzeption sehr bald erheblich verbessern wird.

Warum haben sich Politik und Hochschulen im Vorfeld nicht auf vernünftige Gebührenkonzepte geeinigt?

Genau das haben wir in NRW ja gemacht. Die Politik hat die Rahmenbedingungen geschaffen, das Studienbeitragsgesetz in NRW ist erstens das sozial verträglichste, zweitens das freiheitlichste aller Bundesländer. Jede Hochschule entscheidet bei uns selbst, ob sie Beiträge erhebt, wie hoch die sind, und was sie damit macht. Das Gesetz regelt allerdings klar: Die Einnahmen dürfen ausschließlich für Lehre und Studienbedingungen eingesetzt werden. Und darauf achten wir jetzt. Ich baue auf die Chancen, die der Wettbewerb und die Freiheit vor Ort geben, um die besten Lösungen zu finden.

Die Studiengebühren sollen dazu dienen, Missstände in der Lehre massiv angehen zu können. Jetzt scheinen die Unis das Geld eher kopflos auszugeben. Werden die Studiengebühren dann nicht hinfällig – weil sie eine einseitige Belastung für Studenten sind, ohne etwas zu bringen?

Unsere Hochschulen machen das insgesamt sehr gut, weil Hochschulleitung, Fachbereiche, Professoren und Studierende gemeinsam überlegen: Wo kann das Geld am besten eingesetzt werden? Ich habe schon im Januar gesagt, dass ich davon ausgehe, dass die Hochschulen die Gebührenpläne gesetzestreu umsetzen und dass ich meine Rolle als Rechtsaufsicht wahrnehmen werde, falls dies nicht geschieht. Ich habe den Eindruck, dass das seine Wirkung nicht verfehlt hat.

Sie haben eine Geld-zurück-Garantie versprochen, falls sich die Lehre nicht verbessern sollte. Wird die jetzt greifen?

An jeder Hochschule, die Studienbeiträge erhebt, gibt es eine Schiedskommission. Es ist jetzt an den Studierenden, sich mit ihren Beschwerden an die Kommissionen zu wenden. Diese werden entsprechende Empfehlungen an die Unileitungen geben, und wir werden sehen, wie die mit den Empfehlungen verfahren werden.

Studierendenvertreter kritisieren die Garantie als PR-Gag – weil die Professoren der Rückerstattung zustimmen müssen.

Nein, das ist nicht der Fall. Die Gremien sind zur Hälfte mit Studierenden, zur Hälfte mit anderen Mitgliedern der Hochschule besetzt. Die entscheidende Stimme hat der Vorsitzende, eine unabhängige Person von außen. Ich gehe davon aus, dass dieses Instrument einen erheblichen Beitrag zur Qualitätssicherung bei den Studienbeiträgen leisten wird. Dazu müssen aber auch Eingaben der Studierenden kommen. Das Beispiel Broschüre, das sie angeführt haben, zeigt, dass man sorgfältig prüfen muss. Handelt es sich wirklich um eine allgemeine Werbemaßnahme einer Hochschule? Oder gibt es darin für die Erstsemester vorbereitende Informationen, die den Einstieg ins Studium verbessern? Dann würde ich von einer Informationsbroschüre sprechen, und dann ist sie auch sachgerecht.

Studenten, die die Gebühren nicht sofort zahlen können, müssen Kredite aufnehmen. Warum hat es die Politik nicht wie versprochen geschafft, nachgelagerte Studiengebühren einzuführen?

Es handelt sich um nachgelagerte Studienbeträge, weil die Beiträge mithilfe von Darlehen erst gezahlt werden müssen, wenn man sich nach erfolgreichem Studium im Berufsleben befindet und ein hinreichendes Einkommen hat.

Wirklich? Studierende müssen doch sofort zahlen, und wenn sie das nicht können, nehmen sie Kredite auf.

Bei uns in NRW hat jeder ein Anrecht auf ein Studienbeitragsdarlehen, ohne jegliche Bonitätsprüfung. Die meisten BAföG-Empfänger zahlen gar nichts zurück. Trotzdem stellen wir sicher, dass die Beiträge sofort etwas verbessern. Hätten wir ein rein nachgelagertes Modell gehabt, wie es etwa die Privat-Uni Witten-Herdecke hat, leiden die Hochschulen darunter, dass sie aktuell keine hinreichenden Einnahmen haben, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Das heißt, die Beiträge kämen in Wahrheit erst der nächsten oder gar übernächsten Studierendengeneration zugute.

Die Zinsen einiger Studienkredite, wie beim KfW-Studienkredit, sind bereits gestiegen. Die Hürden für ein Studium werden dadurch noch höher. Das kommt allerdings nicht den Universitäten zugute. Stattdessen profitieren die Banken.

Stimmt nicht. Die NRW-Bank, die bei uns die Gebührenkredite vergibt, ist eine staatliche Bank und macht keinen Gewinn mit den Darlehen. Insofern profitiert sie auch nicht. Der Zinssatz muss sich aber an den Refinanzierungskosten des Instituts orientieren und wird dementsprechend alle drei Semester angepasst. Anders kann man das Studienbeitragssystem nicht organisieren, wenn man ein kostendeckendes, aber nicht gewinnorientiertes Darlehen für alle Studierenden anbieten will.

In Großbritannien sind solche Kredite nur mit der Inflationsrate verzinst.

Dann wäre der Kredit nicht kostendeckend. Die Refinanzierungskosten würden wieder zulasten des Studienbeitragssystems gehen. Oder man müsste es durch zusätzliche staatliche Gelder finanzieren, die man den Hochschulen wieder abziehen müsste.

Ein Teil der Gebühren fließt in einen Ausfallfonds. Aus dem Fonds erhalten die Banken ihr Geld zurück, falls Studenten ihren Kredit nicht zurückzahlen können. Warum müssen die Unis und die Studierenden für insolvente Kommilitonen geradestehen?

Wenn Sie keine Solidarität mit Studierenden aus einkommensschwachen Familien wollen, dann müssten Sie den Zinssatz erheblich erhöhen, sofern sie ein kostendeckendes System haben wollen.

Die Politik hat immer versprochen, zeitgleich mit den Gebühren würden umfangreiche Stipendiensysteme eingeführt. Können Sie uns erklären, wie und wo die neuen Stipendien zu finden sind?

Ich weiß nicht, welche Politik das angekündigt hat. Ich habe gesagt, dass wir das umsetzen, was das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat: eine sozialverträgliche, nachgelagerte Finanzierung der Beiträge. Das ist mit unserem Darlehensmodell gelungen. Das Bemerkenswerte für mich ist, dass einige Hochschulen die Einführung der Studienbeiträge mit der Gründung einer Stiftung verbunden haben, aus der Stipendien gezahlt werden. Daran beteiligt sich auch die Wirtschaft. Dieses Modell weitet sich aus.

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

Mehr im neuen Internet-Dossier:

www.tagesspiegel.de/studiengebuehren

Andreas Pinkwart, 46, ist seit 2005 Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Er ist stellvertretender Ministerpräsident des Landes und stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.

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