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Gesundheit: "Die Umarmungen sollen den Protesten die Spitze abbrechen"

Krumm vom Schulterklopfen - Was finden Politiker an Studentenprotesten gut - und was nicht? / Podiumsdiskussion an der TUVON INGO BACH"Wir wollen nicht nur verwertbar für die Industrie sein" Studenten und Politiker in einem Raum sind derzeit eine explosive Mischung.

Krumm vom Schulterklopfen - Was finden Politiker an Studentenprotesten gut - und was nicht? / Podiumsdiskussion an der TUVON INGO BACH"Wir wollen nicht nur verwertbar für die Industrie sein" Studenten und Politiker in einem Raum sind derzeit eine explosive Mischung.Trotzdem machte eine Gruppe von TU-Studenten den Versuch, Berliner Hochschulpolitiker und Vertreter der Wirtschaft mit den Studenten ins Gespräch zu bringen.Auf der Podiumsdiskussion am Dienstag abend im vollbesetzten Audimax der TU sollte es um die Solidarisierung der Politiker mit den Studenten, um den Einfluß der Wirtschaft auf die Hochschulen und um die Verbesserung der finanziellen Situation an den Hochschulen gehen. Krummer als sonst gingen die Studenten derzeit durch die Unis, krumm vom vielen Schulterklopfen, leitete Moderatorin Dorothee Nolte (Tagesspiegel) die Diskussion ein."Mit welchen konkreten Forderungen der Studenten solidarisieren Sie sich, welche lehnen Sie ab?" fragte sie in die Runde. Manfred Kappeler, Professor am TU-Fachbereich 2 - Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften -, sieht in den Umarmungen "den Versuch der Politiker, den Protesten die Spitze abzubrechen".Auch er sympathisiert mit den Studenten, hat doch sein Fachbereich unter den Kürzungen im Hochschulbereich besonders zu leiden.Die Leitung der TU will die Lehrerbildung massiv abspecken und diese Aufgabe der HU und FU überlassen.Die Hochschulverträge mit dem Land Berlin müßten gekündigt werden, forderte Kappeler.Darin sind die staatlichen Zuschüsse an die Hochschulen bis zum Jahre 2000 festgelegt, also auch die Kürzungen.Mit der Erprobungsklausel im Haushaltsstrukturgesetz sollten die Universitäten nach betriebswirtschaftlichen Regeln umgestaltet werden, klagte Kappeler."Das sind dann Unternehmen und keine Bildungseinrichtungen mehr." Für einen moderateren Sparkurs sprach sich namens der Wirtschaft Karl-Heinrich Höpfner von Siemens aus.Berlin brauche mindestens 100 000 Studienplätze, während die Senatswissenschaftsverwaltung gerade mal von 85 000 ausfinanzierten Plätzen - oder sogar weniger - ab dem Jahr 2000 ausgeht (derzeit sind es 105 000)."Wir brauchen innovative und motivierte junge Mitarbeiter." Und die sollen möglichst schnell studieren.Höpfner beschwor die internationale Konkurrenzsituation: "Französische Studenten beenden im Schnitt schon mit 24 Jahren ihr Studium, deutsche dagegen erst mit 27." Das provozierte den Widerstand der studentischen Vertreterin auf dem Podium."Wir wollen nicht mehr Bücher, um besser für die Industrie verwertbar zu sein", protestierte Birgit Dietrich vom TU-AStA.Den Studenten gehe es um die Möglichkeit einer interdisziplinären Ausbildung.Sie habe es satt, ständig von den Kräften des Marktes zu hören."Die haben noch kein Problem gelöst." Interdisziplinarität im Studium will auch Manfred Kappeler.In den Studienordnungen der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächer der TU möchte er einen obligatorischen Anteil geisteswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen verankert wissen."Nur so kann den Technikern auch die ethische Dimension ihrer Tätigkeit vermittelt werden." Staatsekretär Erich Thies von der Senatswissenschaftsverwaltung wandte sich gegen eine solche Reglementierung.Die Studenten sollten selbständig wählen können, welche Lehrveranstaltungen sie besuchten, meinte er, fing sich damit aber den Vorwurf Christian Gaeblers (SPD) ein, gerade die Wissenschaftsverwaltung blockiere die im Hochschulgesetz vorgesehene Wahlfreiheit der Studierenden.Thies warnte vor einem Ausstieg aus den Hochschulverträgen."Sie sind der einzige Schutzwall gegen weitere Kürzungen im Hochschulbereich - eine Kündigung wäre Unvernunft!" Skeptisch beurteilte der Staatssekretär auch die studentischen Forderungen nach einem Verbot von Studiengebühren."Plätze in Kindertagesstätten kosten auch Geld." Spätestens in zehn Jahren werde es in Deutschland sozial differenzierte Studiengebühren geben, prophezeite Thies, und alle anderen Parteien würden früher oder später der gleichen Ansicht sein.Thies sprach sich auch gegen mehr studentische Mitbestimmung in den Hochschulgremien aus.Dort sei schon jetzt eine extreme Gruppenbildung zur Besitzstandswahrung zu spüren, die jede Entscheidung verkompliziere."Auch den Studentenvertretern geht es vor allem um Besitzstände", sagte Thies. Getreu der politischen Oppositionsrolle von Bündnis90 / Die Grünen sah deren hochschulpolitischer Sprecher Anselm Lange aufgrund der von Thies skizzierten Hochschulpolitik die Gefahr einer "Hochschulprovinz Berlin" heraufziehen.Auf die Frage aus dem Auditorium, wo denn die Grünen in Berlin das Geld hernehmen würden, fielen Lange allerdings auch nur der Stop für den Eurofighter und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ein - alles bundespolitische Kompetenzen. Damit war der Startschuß zu dem unter Politikern beliebten Schwarzer-Peter-Spiel gegeben.Auch Christian Gaebler (SPD) schaute in Richtung Bonn.Die Steuerpolitik der Bundesregierung und ihr mangelndes Enagagement im Hochschulbau hätten das jetzige Dilemma verursacht.Auf Landesebene bleibe da nur Krisenmanagement, das in Berlin eben den Namen Hochschulverträge trage.

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