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Gesundheit: Dielenschwielen - der kleine Traum vom abgeschliffenen Dielenfußboden (Glosse)

Iiiioing, iiiioing: Da ist es wieder, jenes typisch herbstliche Geräusch, das in den Elendsquartieren des Berliner Ostens und Neuköllnkreuzbergs vom nahen Semesterbeginn kündet. Wer frisch zum Studieren nach Berlin gekommen ist, wer sich mit der in den Ferien kennengelernten Sommerliebe ein gemeinsames Winternest einrichten oder seiner verschatteten Hinterhofwohnung zu etwas mehr Helligkeit verhelfen will, der greift jetzt zur Schleifmaschine und verwirklicht sich den kleinen Traum vom abgeschliffenen Dielenfußboden.

Iiiioing, iiiioing: Da ist es wieder, jenes typisch herbstliche Geräusch, das in den Elendsquartieren des Berliner Ostens und Neuköllnkreuzbergs vom nahen Semesterbeginn kündet. Wer frisch zum Studieren nach Berlin gekommen ist, wer sich mit der in den Ferien kennengelernten Sommerliebe ein gemeinsames Winternest einrichten oder seiner verschatteten Hinterhofwohnung zu etwas mehr Helligkeit verhelfen will, der greift jetzt zur Schleifmaschine und verwirklicht sich den kleinen Traum vom abgeschliffenen Dielenfußboden.

Allerdings ist dieser Trendsport gar nicht ungefährlich. Die Gewalt grundlegender Naturphänomene wie Elektrizität oder Schwerkraft wird vom schmalbrüstigen akademischen Nachwuchs häufig unterschätzt. Das auf pädagogisierenden Tonfall ansonsten weitgehend verzichtende Merkblatt des Schleifmaschinenverleihs warnt daher: "Steckdosen müssen mit mindestens 16 Ampere gesichert sein. Besorge mehrere Sicherungen, feste Schuhe, Arbeitshandschuhe, Ohrenschutz und Staubmaske!"

Doch selbst sorgfältige Vorbereitung schützt nicht vor allen Gefahren: Bereits einmaliges Überfahren des Elektrokabels kann zu einem interessanten Lichtbogen führen; ein glühender Metallspan - etwa von einem Nagel - kann den Staubsack entzünden und zu einem Großbrand führen. "Willst du den?", fragt das Merkblatt moralisierend.

Eine Umfrage im Bekanntenkreis fördert denn auch Tragödien zu Tage: Da ist zum Beispiel Conni, die sich beim Nacharbeiten der Zimmerecken mit dem Winkelschleifer ins Knie geflext hat. Oder Mandy, der nach stundenlanger Tortur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit zum Verhängnis wurde: Die "Flex" hatte sich erst unter der Scheuerleiste verhakt und war ihr dann impulsgeladen ins Schienbein geschossen. Höhere Leihgebühren fürchtend hatte die schwer Blutende jedoch unverdrossen weitergemacht - das lädierte Gliedmaß in einen 20-Liter-Müllbeutel gehüllt, der es gleichermaßen gegen eindringende Späne wie gegen austretendes Blut abdichtete. Denn der größte Feind frisch abgeschliffener Dielen sind Flüssigkeiten jeder Art.

Um nicht weiter das Klischee zu bedienen, dass nur Frauen sich dämlich anstellen, sei abschließend der bedauernswerte Fall des Industriedesign-Studenten Thomas angeführt. Er hatte zwar, wie der überwiegende Teil seiner Freunde anerkennend feststellte, handwerklich ein beeindruckendes Ergebnis erzielt. Beim Heruntertragen der zentnerschweren Maschine aus dem dritten Stock zog er sich jedoch einen schlimmen Hexenschuss zu, so dass er von der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Doch spätestens, wenn alle Wunden verheilt und die frisch abgeschliffenen Dielen wieder unter Möbeln und Teppichen verschwunden sind, können Holzliebhaber zufrieden auf ein bestandenes Abenteuer zurückblicken. Und so sitzt Conni beim ersten Herbststurm an einem Referat und grübelt, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, wieder einmal umzuziehen.

Martin Kiesler

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