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Gesundheit: „Diese Datenbank wird Leben retten“

Sir Alec Jeffreys, Erfinder des genetischen Fingerabdrucks, plädiert dafür, dass jedermann seine DNS speichern lässt

DIE SPUR FÜHRT INS LABOR: REVOLUTION IN DER KRIMINALTECHNIK

Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie den genetischen Fingerabdruck erfanden?

Oh ja, sehr gut. Es war eine völlig zufällige Entdeckung. Wir forschten damals mit menschlicher Erbsubstanz und versuchten, Abschnitte der DNS zu finden, die von Person zu Person stark variierten. Wir wollten genetische Kennzeichen finden, um sie für medizinische Zwecke einzusetzen, vor allem für die genetische Grundlagenforschung. Eine lange Reihe von Experimenten führte dann zu dem Ergebnis, dass solche Abschnitte von DNS tatsächlich existierten und dass es zweitens möglich sein könnte, viele dieser stark variierenden Abschnitte gleichzeitig zu ermitteln. Also machten wir das Experiment, und ich glaube es war der 15. September 1984, ein Montag ...

Und die Uhrzeit?

Es war morgens, fünf nach neun – ich erinnere mich genau. Ich ging also in die Dunkelkammer, um auf dem Röntgenfilm nachzusehen, ob das Experiment funktioniert hatte. Was aus dem Entwicklerbecken herauskam, war der Welt erster genetischer Fingerabdruck. Ich machte das Licht an und dachte: Oh Gott, ist das kompliziert! Was ist hier los? Und dann kapierte ich: Was ich sah, war ein völlig individuelles, ein einzigartiges Bandenmuster. Da wurde ich sehr aufgeregt. Mir wurde schlagartig klar, dass wir vermutlich ein ganz anderes Problem der Biologie gelöst hatten – die Frage der Identifizierung mit Genetik. Es war ein echter HeurekaMoment. Diese fünf Minuten haben mein Leben völlig verändert!

Wie schnell war Ihnen klar, dass Ihre Erfindung die ganze Gerichtsmedizin radikal verändern würde?

Wir sahen hypothetische Anwendungsmöglichkeiten. Das wirkliche Problem für uns war: Würde überhaupt jemand unsere Entdeckung zur Kenntnis nehmen? Da hatten wir den schlauen Einfall, diese Bandenmuster „genetischen Fingerabdruck“ zu nennen. Und plötzlich war die Öffentlichkeit sehr interessiert.

Wie ging es weiter?

Nun, unser erster „Fingerabdruck“ sah noch schrecklich aus, aber innerhalb von Monaten konnten wir die Technik enorm verbessern. Die Frage war nun, ob das Verfahren einen praktischen Nutzen haben könnte, ob es einen „Fall“ geben würde. Ich dachte, es würde viele Jahre dauern, bis es soweit sein könnte – aber ich irrte mich total. Unsere erste wissenschaftliche Veröffentlichung datiert vom Frühjahr 1985, sechs Monate nach der Entdeckung. Es gab eine sehr gute Berichterstattung darüber im „Guardian“, einer überregionalen Tageszeitung.

Und dann kam der erste Fall?

Ein Londoner Anwalt las die Zeitung und fragte sich, ob diese Technik ihm bei der Lösung eines schwierigen Einwanderungsproblems helfen könnte. Er schrieb mir und ich sagte: Ja, lass’ es uns versuchen. Die ganze Sache funktionierte wunderbar. Wir konnten nachweisen, dass ein kleiner Junge tatsächlich eng verwandt mit einer Familie hier in London war, so dass er im Land bleiben durfte. Eine herzwärmende Geschichte und eine überzeugender molekulargenetischer Versuch. Das war die Geburtsstunde der DNS in der Gerichtsmedizin.

Aber es gab später erhebliche Zweifel an der Genauigkeit. Beim Mordfall Castro 1987 in New York trat als Gutachter der Verteidigung der Genforscher und Mathematiker Eric Lander auf und zerpflückte den Test.

Es gibt keine perfekte Methode, nichts und niemand ist unfehlbar. Bei jedem Test kann etwas schief gehen. Doch das ist heute sehr selten. Betrachtet man die Anfänge des genetischen Fingerabdrucks, so muss man sagen, dass viele Leute zu hastig waren, vor allem im kommerziellen Bereich. Der Castro-Fall war das typische Beispiel dafür. Es gab eine Firma, die das Verfahren nicht wirklich beherrschte. Die Qualität der Untersuchung war schlecht, die Beweise unzureichend für die Gerichtsverhandlung aufbereitet.

Wie sieht es heute aus? Ist der genetische Fingerabdruck inzwischen zuverlässig?

Die Herausforderung für das Verfahren war enorm. Einfach deshalb, weil den Leuten klar wurde, welche Macht der genetische Fingerabdruck besaß. Dieser Druck war eine große Hilfe. Die ganze Sache wurde viel professioneller, jeder Schritt des Verfahrens wurde perfektioniert. Immer empfindlicher und gleichzeitig so robust wie möglich. Die Technik entwickelte sich also über die Jahre, der ursprüngliche genetische Fingerabdruck wird nur noch ganz selten in der Gerichtsmedizin verwendet. Er ist durch viel schnellere Maschinen ersetzt worden, die auf der Basis der Polymerase-Kettenreaktion arbeiten. Aber das Prinzip ist das gleiche geblieben: Von Mensch zu Mensch stark variierende Abschnitte der DNS, die eine Art Fingerabdruck darstellen.

Zurzeit sind in Großbritannien etwa zwei Millionen Personen in einer zentralen DNS-Datenbank registriert, in Deutschland dagegen nur eine Viertelmillion ...

Vielleicht haben Sie weniger Kriminelle? (lacht)

In Deutschland werden DNS-Profile nur bei erheblichen Verbrechen erhoben, etwa bei Mord oder Vergewaltigung.

Das ist ein Fehler, ein schwerer Fehler.

Deutschland sollte mehr tun?

Auf jeden Fall. Weil es Leute gibt, die gewohnheitsmäßig Verbrechen begehen – einmal einen „harmlosen“ Einbruch, das nächste Mal aber eine schwere Vergewaltigung. Wir haben viele Schwerverbrecher gefasst, weil sie wegen eines leichteren Vergehens in die DNS-Datenbank aufgenommen wurden und sich plötzlich herausstellte, dass sie noch ganz andere Dinge auf dem Kerbholz hatten.

In Großbritannien wird diskutiert, ob nicht jeder seinen genetischen Fingerabdruck in einer zentralen Datenbank hinterlegen sollte.

Die Idee kam zuerst in den späten 80ern auf. Damals war die Technik aber noch nicht soweit. Jetzt könnte man es machen. Ich würde es befürworten, wenn es sehr strenge Auflagen für eine umfassende DNS-Datei gibt. Dazu müssen wir unsere Wahrnehmung verändern. Die meisten Leute denken bei DNS nur an Tatort und Spurensuche. Das sollte sich ändern, denn die DNS könnte so etwas wie unsere persönliche Identifikationsbescheinigung sein. Es ist sinnvoll für Sie als Individuum, dass Sie ihr persönliches DNS-Profil besitzen, irgendwo in einer Datenbank gespeichert.

Aber warum?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen an einem schönen, warmen Tag über die Straße und Sie haben Ihr Sakko nicht dabei, in dem sich Ihr Personalausweis befindet. Dann werden Sie plötzlich angefahren und ins Krankenhaus gebracht. Dort weiß man nicht, wer Sie sind. Wenn Sie aber in einer zentralen Datenbank gespeichert sind, kann man mit einer Blutprobe blitzschnell Ihre Identität klären. Dann können Ihre Familie und Ihre Freunde informiert werden. Ein anderes Beispiel: Das World Trade Center. 25000 Körperteile mussten nach dem Anschlag mit DNS-Profilen identifiziert werden. Wo war die Referenz-Datenbank? Es gab keine. Die Untersucher mussten also zu den Opfern nach Hause gehen und zum Beispiel von Zahnbürsten DNS-Spuren nehmen. Das war eine doppelte Belastung für die Angehörigen, die nicht nur um ihr Familienmitglied trauerten, sondern auch in ihrer Intimsphäre gestört wurden. Ich bin also für eine Datenbank für jedermann, die parallel zur Forensischen Datenbank der Polizei arbeitet.

Wie wollen Sie den Missbrauch verhindern?

Die Herausforderung besteht darin, die Zusammenarbeit dieser beiden Datenbanken vernünftig zu gestalten. Auf welche Weise darf zum Beispiel die Polizei die globale DNS-Datenbank benutzen? Diese Datenbank enthält keine DNS, sondern lediglich DNS-Profile, die keine Informationen über Krankheiten in sich bergen, keine Informationen mit Ausnahme der Identität und familiärer Beziehungen. Solche Sicherheitsvorkehrungen sind meines Wissens auch in deutschem Recht schon festgeschrieben. Wenn man dagegen den Verlust bügerlicher Freiheiten anführt, muss ich darauf verweisen, dass Verbrechensopfer einen viel größeren Verlust bürgerlicher Freiheiten beklagen. Diese Datenbank wird Leben retten und zu weniger Verbrechen führen. Und sie wird ziemlich sicher ihre Kosten einspielen.

Wird so eine Datenbank in Großbritannien eingerichtet?

Wer weiß das schon? Wir haben ja noch nicht einmal Personalausweise! Vermutlich sind wir deshalb nicht die besten Kandidaten. Es wird irgendwo gemacht werden, da bin ich sicher. Einige kleinere Länder denken ziemlich ernsthaft darüber nach. Ich glaube, Kuwait hat so etwas geplant. Der große Druck kommt in Großbritannien von der Polizei. Das macht mich ein bisschen nervös. Ich fände es besser, wenn das eine andere Behörde machen würde. Die Polizei soll ihre eigene Datenbank haben, damit habe ich keine Probleme. Aber eine Datenbank für jedermann, die im Besitz der Polizei ist – das riecht für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr nach „Big Brother“. Das ist das falsche Signal für die Öffentlichkeit.

Was denken Sie über neue Tests, mit denen man zum Beispiel Gesichtszüge oder die Haarfarbe aus den Genen herauslesen kann?

Damit habe ich größte Probleme. Zum einen geht es gegen das Prinzip, nur solche Kennzeichen der DNS zu benutzen, die einer Identifizierung dienen. Mit Gen-Tests sammelt man nämlich Informationen, die wichtig für ein Individuum sein könnten. Damit dringt man in die genetische Privatsphäre ein. Zum Zweiten ist das ganze im Moment noch reine Science fiction. Man kann nach rotem Haar suchen, das stimmt. Was schön ist, wenn die Person keine Glatze hat oder sich die Haare nicht gefärbt hat. Und es gibt ein paar Tests, mit denen man versucht, der Augenfarbe auf die Spur zu kommen. Aber die sind nicht sehr handfest. Die ganze Idee mit den Gesichtszügen – da stehen wir noch nicht einmal in den Startblöcken Aber warum sollten wir es überhaupt tun? Wenn Sie ein Verbrechen untersuchen, DNS haben, sie mit der bisherigen Datenbank vergleichen und keinen Treffer haben, dann gibt es keinen Verdächtigen. Wenn Sie aber eine globale Datenbank für jedermann haben, ist das Problem gelöst.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

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