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Dr. WEWETZER: Rauchfrei dank Ostblock

Als ich der Zigarette Lebewohl sagte, geschah das von einem Tag auf den anderen.

Das war im März 1993. Seitdem haben wir uns nicht mehr getroffen, und ich lege auch keinen gesteigerten Wert darauf. Aber vielleicht hatte ich nur Glück. Denn viele kommen vom Tabak einfach nicht los.

Wer es nicht schafft, rauchfrei zu werden, sollte Medikamente in Erwägung ziehen. Etwa nikotinhaltige Pflaster, Sprays oder Kaugummis. Und vielleicht irgendwann auch Cytisin. Das ist ein pflanzlicher Wirkstoff, der aus dem Samen von Goldregen gewonnen wird. Cytisin ist das Goldregen-Gift. In geringer, garantiert ungiftiger Dosis kann das Alkaloid jedoch Rauchern helfen, vom Tabak loszukommen, wie eine britisch-polnische Studie nun belegt.

Es ist kein Zufall, dass an der Untersuchung polnische Forscher beteiligt sind. Denn die Geschichte von Cytisin zur Raucherentwöhnung beginnt im früheren Ostblock. In Bulgarien bringt 1964 ein Apotheker den Wirkstoff auf den Markt, er wird im sozialistischen Lager über Jahrzehnte gegen Nikotinsucht eingesetzt. Mit dem Fall der Mauer ist es auch um „Tabex“ – so der Markenname – fast geschehen. Polen gehört zu den Ländern, in denen das Präparat noch zugelassen ist. Viele der Studien, in denen Cytisin einst erprobt wurde, genügen nicht mehr heutigen Ansprüchen. Bei der jetzt im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Untersuchung ist das anders. 740 Raucher nahmen teil, die eine Hälfte erhielt für 25 Tage Cytisin, die andere ein wirkstofffreies Scheinmedikament, ein Placebo.

Nach einem Jahr waren in der Cytisin-Gruppe noch 8,4 Prozent der Teilnehmer abstinent (31 Personen), in der Placebo dagegen nur 2,4 Prozent (9 Personen). Das ist kein bahnbrechendes, aber ein durchaus respektables Ergebnis und im Rahmen dessen, was man auch mit im Westen etablierten Wirkstoffen erreicht. Nebenwirkungen betrafen vor allem den Verdauungstrakt, gelegentlich traten Bauchschmerzen, Übelkeit, Verdauungsprobleme und ein trockener Mund auf.

„Tabex“ könnte also eines Tages eine Renaissance erleben. Vor allem sein niedriger Preis ist ein Wettbewerbsvorteil. Eine Ration pflanzliches Cytisin kostet in Polen etwa 15 Euro, für das bei uns zugelassene synthetische Nachahmerprodukt „Champix“ mit dem Wirkstoff Vareniclin muss man hierzulande 110 Euro bezahlen. Vor allem in ärmeren Ländern macht der Preis einen gewaltigen Unterschied. Die Wirkung beider Präparate ist dagegen gleich. Sie sind Spielverderber, blockieren die „Antennen“ für Nikotin auf den Zellen. Rauchen erzeugt kein Hochgefühl mehr, seine Wirkung verpufft.

Aber die körperliche Entgiftung ist nur die eine Seite der Medaille, gibt Hubertus Friederich zu bedenken, Experte für Raucherentwöhnung an der Tübinger Uniklinik. „Der ehemalige Raucher muss lernen, sich ohne Tabak wohlzufühlen“, sagt Friederich. „Er muss die Lücken in seinem Leben stopfen, die früher durch Zigarettenpausen und Ähnliches gefüllt waren.“ Die Sucht beginnt und endet im Kopf. Hoffentlich.

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