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Heroin auf Rezept

© ddp

Drogentherapie: Menschenwürde aus der Ampulle

Schwerstabhängige sollen unter staatlicher Aufsicht den Heroin-Ersatzstoff Diamorphin erhalten. Dafür zeichnet sich im Bundestag nach langem Streit eine Mehrheit aus SPD und Opposition ab.

Die Drogenambulanz im Karlsruher Süden stand im November wieder einmal vor dem Aus. Wegen Untätigkeit des Gesetzgebers, der dem Provisorium eine solide Rechtsgrundlage verweigere, werde er das Geld stoppen, hatte Sozialbürgermeister Harald Dennecken an die Geschäftsführung der Arbeiterwohlfahrt geschrieben. Doch Gemeinderäte und der örtliche Bundestagsabgeordnete konnten ihn noch einmal umstimmen. Ärztin Sabine Tanger und ihr Team durften die etwa 80 Patienten der Praxis auch nach Weihnachten mit suchtstillenden Ersatzstoffen wie Diamorphin versorgen, der reinen Form des Heroins.

An diesem Donnerstag könnte der Bundestag dieses und weitere  Modellprojekte in anderen Städte nach jahrelangem Streit zu Dauereinrichtungen machen: Zur Abstimmung steht ein Gesetzentwurf, der Diamorphin als verschreibungspflichtigen Drogenersatz auf Kassenkosten legalisiert. Ärzte sollen den schätzungsweise 2000 bis 4000 Schwerstabhängigen in Deutschland, bei denen sämtliche Therapieversuche misslungen sind, das künstliche Opiat verordnen dürfen. Die Chance des Antrags steht nicht schlecht: Etwa 250 Abgeordnete unterschrieben das Papier schon im Vorfeld. Kommt es durch, wäre die Legalisierung von Diamorphin eines der seltenen Projekte, das eine Koalitionspartei mit der Opposition durchsetzte: Die Unterstützer kommen von SPD, FDP, Linksfraktion und Grünen.

Bei der Therapie von Drogensucht stehen sich zwei Fronten gegenüber: Die einen wollen Schwerstabhängigen mit Ersatzrauschmitteln zunächst wieder Halt im Leben geben, Beschaffungskriminalität eindämmen und die so Stabilisierten in einem zweiten Schritt von ihrer Sucht befreien. Die anderen wollen die Fixer radikal vom Stoff trennen, sofortiger Entzug lautet das Konzept. Wenn der Staat schon Geld aufwende, solle dies der Vorbeugung dienen. Drogenpraxen wie die 2002 in Karlsruhe eingerichtete sind für die Vertreter der radikalen Linie nur ein vorübergehendes Experiment.

So wollen CDU und CSU im Bundestag das 2002 begonnene Heroin-Modellprojekt mit seinen bundesweit sieben Ambulanzen zwischen Hamburg und München lediglich verlängern. Einen solchen Antrag unterschrieben 120 Abgeordnete. Ihnen sind die Ergebnisse des Drogenexperiments "nicht ausgeprägt genug". Gegen Änderungen am Betäubungsmittelgesetz sträubt sich die Union insgesamt.

Die SPD diagnostizierte beim Koalitionspartner "ideologische Vorbehalte" und will den Drogenzentren nun gemeinsam mit der Opposition eine Existenzgarantie zusichern: "Die Ambulanzen sollen in die Regelfinanzierung übernommen werden", sagt die SPD-Gesundheitspolitikerin Marlies Volkmer. Für die Medizinerin sind die Diamorphin-Gaben "Hilfe zum Überleben", wenn die Suchtkranken an anderen Therapien gescheitert sind.

Ein drittes Papier, eingebracht vom Bundesrat, gleicht dem der Diamorphin-Befürworter und dürfte daher in der Abstimmung bedeutungslos sein.

Wenn demnächst die Kasse den Rauschersatz zahlt, fußt das auch auf den Erfahrungen in den sieben Drogenambulanzen. Einer Hälfte der 1120 dort Versorgten spritzten Mediziner Diamorphin, also künstliches Heroin, der anderen Hälfte Methadon, den jüngeren, stark schmerzstillenden Opiat-Ersatz. Das Ergebnis überzeugte Suchtforscher wie Christian Haasen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: "Fast allen Patienten ging es nach dem Umstieg auf Diamorphin gesundheitlich deutlich besser", sagt der studierte Politologe und Ökonom, der den Modellversuch ausgewertet hat. Dem Ersatzstoff fehlt etwa die euphorisierende Wirkung des Heroins, es stille lediglich die Sucht.

Die mit Diamorphin Versorgten zogen eine feste Wohnung dem Leben auf der Straße vor, arbeiteten, begannen mitunter sogar eine Ausbildung. "Für die Abhängigen ist das ein Weg, ein menschenwürdiges Leben zu führen", sagt SPD-Gesundheitspolitikerin Volkmer. Denn der Besuch der Ambulanzen nimmt den Süchtigen den Druck, sich auf kriminelle Weise Geld zu beschaffen. Den Vorwurf, dass Abhängige den Besuch beim Drogendienst als Dauerlösung betrachten könnten, versucht Suchforscher Haasen zu entkräften. Es gehe darum, Abhängige so zu stabilisieren, dass sie eine Abstinenzbehandlung beginnen können. "Gelegentliche Behauptungen, künftig könnten 90.000 Junkies ihren Stoff vom Staat bekommen, sind Unsinn."

Ist der erwartete Nutzen auch groß, die Kosten würden steigen: Diamorphin ist weit teurer als Methadon. "Deshalb sollten sich auch die Länder und Kommunen an der Finanzierung beteiligen und damit die Kassen entlasten", verlangt Suchtforscher Haasen. Die Staatskasse dagegen wird entlastet: "Weil Diamorphin-Patienten kaum noch Straßenheroin konsumieren, sind weniger Polizeieinsätze, weniger Gerichtsverfahren, weniger Krankenhausaufenthalte nötig." Wie die Auswertung des Modellversuchs ergab, sinken die Kosten für Strafauffälligkeiten und Haft für jeden Drogensüchtigen im ersten Behandlungsjahr um 4460 Euro. Nur noch 39 Prozent der mit Diamorphin Behandelten bekamen es im ersten Jahr mit der Polizei zu tun, fand das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen heraus, zuvor waren es 55 Prozent. Bei den Methadon-Konsumenten sank dieser Anteil nur um drei Prozentpunkte. (Zeit Online)

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