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Gesundheit: Durch die Hörsäle pfeift der Wind

Studieren in Ruinen: Der Rektor der Uni Kabul berichtet

Von Matthias Eggert

Eigentlich wollte Professor Akbar Popal am 22. März dieses Jahres dazu beitragen, dass Kabul wieder so wird wie früher. Zumindest wieder so, wie es war, bevor die Taliban 1996 das Leben in der afghanischen Hauptstadt erstickten und auch das Studieren verboten. Der Rektor der Kabuler Universität wollte an jenem 22. März die neuen Studenten begrüßen und den Alltag auf dem Campus erleben, dort wo japanische Kiefern die Wege säumen, wo die Rinden der Bäume unzählige Einschusslöcher haben und einzelne Fakultätsgebäude nur noch Ruinen sind. Doch daraus wurde nichts. Die Unterlagen der Aufnahmeprüfungen waren noch nicht ausgewertet.

Wie auch? Mehr als 18 000 Menschen bewarben sich Anfang Februar für die zehn Universitäten des Landes. Jeder einzelne Fragebogen musste per Hand ausgewertet werden. Inzwischen ist festgestellt: Mehr als 16 500 haben sich qualifiziert. „Hätten wir die Auswertung computerunterstützt machen können“, sagte Popal auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung am Montag in Berlin, „wären wir nach zwei Tagen fertig gewesen“. So hat es fast ein halbes Jahr gedauert, bis Akbar Popal ein Stück Normalität nach Kabul bringen konnte.

Jeder vierte Student ist weiblich

Der Professor ist stolz darauf, dass an seiner Universität wieder gearbeitet wird. Er zählt auf: Seit Anfang Juli unterrichten etwa 400 Mitarbeiter der Kabuler Universität mehr als 4500 Studenten, etwa 1000 von ihnen sind Frauen. Für sie gibt es auch ein eigenes Institut, wo sie lernen sollen, Führungsaufgaben zu übernehmen. Insgesamt sind 14 Fakultäten mit 56 Instituten auf dem rund 20 Fußballfelder großen Campus untergebracht, an denen der Bachelor of Arts oder der Bachelor of Science als Abschluss möglich sind. Die Bibliothek zählt inzwischen 30 000 Bücher. Meist sind sie neu und kommen aus dem Ausland. 100 Computer sind auch schon da, die Cafeteria versorgt Studenten und Universitätspersonal mit Essen drei Mal am Tag, wer medizinische Hilfe benötigt bekommt sie – wie alles andere auch – kostenlos.

Etwa 3000 Studenten leben auf dem UniGelände, wobei eigentlich nur Platz für 1500 ist. Viele hätten sonst nicht einmal ein Dach über dem Kopf und zahlen müssen sie auch nichts für ihre Unterkunft. Kinder der Studenten werden auf dem Campus in der Kinderkrippe betreut. Auch für diese Dienste muss nichts gezahlt werden. Auf den ersten Blick, so scheint es, sind das Zustände, von denen deutsche Studenten träumen.

Labore wurden geplündert

Der Schein trügt. Die Unesco hat zwar jeder Fakultät als Starthilfe 100 000 Dollar zur Verfügung gestellt, doch es fehlt an den grundlegenden Dingen, die zu einem Lehrbetrieb gehören. In manchen Vorlesungsräumen pfeift der Wind durch, Tische fehlen, mancherorts auch die Türen. Was wertvoll war, ist zerstört oder unbrauchbar. Labore, in denen früher experimentiert wurde, sind geplündert. Geräte für praktische Übungen gibt es nicht, was für Chemiestudenten eingentlich unvorstellbar ist. Dennoch wird Chemie gelehrt - indem der Dozent seinen Studenten aus den Büchern in die Blöcke diktiert. Den Stoff nachlesen können die Studenten nicht, weil es im Land nicht genügend Druckmaschinen für Lehrbücher gibt. In vielen Fächern fehlt qualifiziertes Lehrpersonal oder die Dozenten sind auf einem überholten Wissensstand. Viele der ehemaligen Professoren sind ins Exil gegangen.

„Die Lehrpläne sind völlig veraltet“, sagte Rektor Popal. Sein größter Wunsch ist, dass die Labore wieder ausgestattet und Lehrbücher gedruckt werden können. Außerdem will er ein Gästehaus auf dem Gelände für ausländische Gastprofessoren bauen. Doch wie bei allem: Er ist angewiesen auf ausländische Hilfe. Partnerschaften zu deutschen Universitäten bestehen bereits, unter anderem zur TU Berlin. Nächste Woche werden fünf Universitäts-Mitarbeiter für zwei Wochen nach Kabul reisen, um ein Computernetzwerk aufzubauen. „Ich will unsere Verbindungen zur Wirtschaft nutzen“, sagte Bernd Mahr, Professor am Institut für Telekommunikationssysteme, „um ein Computerzentrum aufbauen und finanzieren zu können“. Im September kommen 19 afghanische Dozenten, um sich für einen Monat an der Berliner Universität fortzubilden.

Es sind solche Projekte, die Rektor Popal Mut machen und die ihn glauben lassen, dass Kabul wieder so wird wie früher: eine Stadt, in der auf höchstem Niveau gelehrt wird. „Die Lehrer und Studenten“, sagte er, „glauben an die Stabilität des Landes und sind sehr optimistisch“. Auch auf wissenschaftlicher Basis will Popal diese Stabilität untermauern. Im Oktober soll ein Zentrum für politische Wissenschaft eröffnet werden. Diesmal, so hofft Popal, pünktlich.

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