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Gesundheit: Ein Band für schwere Fälle

Abnehmen mit dem Messer: Weil andere Therapien versagen, wird bei Übergewicht immer häufiger operiert

Als der amerikanische Chirurg Michael Sarr von der Mayo-Klinik in Rochester sich auf Berlins Straßen umsah, wunderte er sich: So viele Radfahrer und Fußgänger! „Da können wir von euch lernen“, meinte der Mediziner jetzt beim Deutschen Chirurgenkongress. Die Zahlen sprechen eher dafür, dass der Lernprozess umgekehrt läuft. Denn auch die Europäer bewegen sich immer weniger. Die Anzahl der Übergewichtigen nimmt weiter zu (siehe Kasten) – und damit auch die Zahl der Fälle, in denen Dicksein mit der radikalsten Methode bekämpft wird: einer Bauchoperation. Auf dem Chirurgenkongress wurde über die verschiedenen Operationsmethoden diskutiert.

„Ein plötzlicher Tod kommt bei den Dicken häufiger vor als bei den Dünnen.“ Der Satz des antiken Arztes Hippokrates könnte von einem modernen Versicherungsunternehmen stammen. Wenn stark Übergewichtige abnehmen, erhöhen sie damit ihre Lebenserwartung. Nur ist das in den allermeisten Fällen leichter gesagt als getan – schon wegen des gefürchteten Jojo-Effekts.

Diät bringt meist nichts

„Mit den bisherigen Abnehm-Programmen wird nur bei fünf Prozent der Teilnehmer eine dauerhafte Gewichtsabnahme erreicht“, schätzt der Mediziner und Ernährungsexperte Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. „Viele Menschen können ihr Essverhalten nicht steuern, sondern folgen dem Auftrag der Evolution“, sagte der Münchner Fettsucht-Experte Johannes Wechsler auf dem Kongress. „Fünf Millionen Jahre lang ist die Menschheit vom Hunger gesteuert worden, erst seit 50 Jahren vom Überfluss.“ Nicht nur für die behandelnden Ärzte gibt es kaum etwas Frustrierenderes als den Kampf gegen das krankhafte Übergewicht.

Seit etwa 20 Jahren wird er auch mit dem Messer des Chirurgen geführt. Und das immer öfter. „Die Fettsucht-Epidemie in den USA hat eine zweite Epidemie zur Folge – die der einschlägigen Operationen“, kommentiert das Fachblatt „New England Journal of Medicine“. Wurden in den USA in den frühen 90er Jahren noch etwa 16000 dieser Operationen im Jahr gemacht, so waren es im Jahr 2003 schon über 100000.

Eine von ihnen besteht im Legen eines Magenbandes („Gastric Banding“). Dafür wird ein oberer kleiner Teil des Magens, meist in einem Schlüsselloch-Eingriff, mittels eines befüllbaren Silikonrings mehr oder weniger stark eingeschnürt. Der Erfolg: Der verkleinerte Magen führt schnell zu Völlegefühl. Man kann also schlicht und einfach nicht mehr so viel essen.

Inzwischen zeigt sich allerdings, dass viele Operierte sich selbst austricksen, indem sie sich zum Ausgleich konzentrierte, fettreiche Nahrung zuführen. „In unserem Land bringt diese Methode keinen Erfolg“, berichtete Sarr aus den USA, dem Eldorado der Eiscreme. Sein Kollege Karl Miller aus dem österreichischen Hallein berichtete hingegen von guten Erfolgen mit dem verstellbaren Magenband. „Im Schnitt verlieren die Operierten 60 Prozent ihres überschüssigen Fetts.“ Voraussetzung für diese Erfolgsbilanz sei gute Teamarbeit, zum Beispiel mit Ernährungsberatern und Psychologen. „Eine Operation allein nützt überhaupt nichts, wenn nicht das anschließende Verhaltenstraining darauf abgestimmt ist“, sagt auch die Ulmer Chirurgin Doris Henne-Bruns. Grundsätzlich bleibt es aber problematisch, dass viele Operierte sich dauerhaft mit Problemen an der Speiseröhre und mit Erbrechen plagen.

Bypass für den Bauch

Doppelt wirksam sind Eingriffe wie der „Magen-Bypass“ (siehe Infografik). Dafür wird ein operativ verkleinerter Magen unter Umgehung des Zwölffingerdarms direkt an den Dünndarm angeschlossen, dem durch einen neuen Anschluss die Verdauungssäfte zufließen.

Neben geringerer Kapazität des Magens trägt bei diesem und ähnlichen Verfahren auch die verminderte Verdauungsleistung zum Abspeck-Erfolg bei. Dadurch gehen allerdings auch wichtige Vitamine und Mineralien verloren. Außerdem kommt es bei den Kombi-Verfahren zu Durchfällen und Problemen mit der Gallensäure. Auch das Risiko, das mit diesen größeren Operationen selbst einhergeht, ist bei Übergewichtigen naturgemäß deutlich erhöht. „Die Dicksten profitieren am meisten, aber sie tragen auch das höchste Risiko“, meint der New Yorker Chirurg Robert Brolin.

Nach übereinstimmender Expertenmeinung sollte der Chirurg erst eingreifen, wenn alle anderen Therapiestrategien versagt haben: Zuerst kommen die Versuche, den Lebensstil zu ändern, einschließlich psychologischer Unterstützung, dann spezielle Medikamente wie Orlistat, das die Fettaufnahme, oder Sibutramin, das den Appetit hemmt. Erst wenn der Body-Mass-Index (BMI) trotzdem über 40 bleibt oder schon Folgekrankheiten wie Diabetes oder Atemaussetzer im Schlaf (Apnoe) vorliegen, ist eine Operation sinnvoll. Bis zu einem BMI von 55 entscheidet sich der Düsseldorfer Chirurg Bernhard Husemann zunächst für das Magenband. „Erst wenn das scheitert, steigen wir auf ein anderes Verfahren um.“

Welcher Eingriff für welchen Patienten wirklich am besten ist, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Auch die Kostenübernahme durch die Krankenkasse muss im Einzelfall geklärt werden. Zukunftsmusik sind Verfahren wie die elektrische Stimulation des Magens, die zum Sättigungsgefühl beitragen soll. Schon heute ist jedoch erwiesen, dass es für den Stoffwechsel bereits deutliche Verbesserungen bringt, wenn ein Viertel des Übergewichts abgebaut werden kann. Ein medizinischer, nicht unbedingt ein kosmetischer Erfolg. Sehen kann man diesen Unterschied nämlich meist nicht.

Adelheid Müller-Lissner

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