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Gesundheit: Ein Erreger aus dem Hexenkessel

Die hochansteckende Lungenentzündung „Sars“ hat ihren Ursprung dort, wo Mensch und Tier dicht aufeinander leben

Die neue Atemwegsinfektion „Sars“ hält die Gesundheitsbehörden rund um den Globus in Atem. Sie begann, als ein 64-jähriger Arzt aus der Provinz Guangdong im Süden Chinas am 23. Februar nach Hongkong reiste, um dort an einer Familienfeier teilzunehmen. Er quartierte sich im 9. Stock des Hotels Metropole ein, eine Herberge, die von Touristen aus aller Welt frequentiert wird. Der Arzt fühlte sich unwohl und fieberte. Am nächsten Morgen wurde er mit Verdacht auf Lungenentzündung in das Prince-of-Wales-Krankenhaus eingeliefert. Dort starb er binnen 24 Stunden. Vorher steckte er noch zwei Mitglieder seiner Familie an (von denen eine Person starb), sowie vier Mitarbeiter des Krankenhauses, die ihrerseits die Infektion an weitere Ärzte, Schwestern und Medizinstudenten weitergaben.

Zwölf Personen, die am gleichen Tag wie der Arzt in dem Hotel gewohnt hatten (die meisten von ihnen ebenfalls im 9. Stock) hatten sich in der Zwischenzeit ohne es zu wissen angesteckt. Sie flogen wenige Tage später zurück in ihre Heimatländer und brachten so einen neuen Krankheitserreger innerhalb von 24 Stunden auf drei Kontinente.

Wie infektiös der neue Erreger ist, lässt sich aus dem Ausbruch in Singapur – eine Woche nach den Ereignissen in Hongkong – ablesen. Alle bislang in dem Stadtstaat aufgetretenen Fälle lassen sich auf drei Personen zurückführen, die von Geschäfts- bzw. Privatreisen aus Hongkong zurückkehrten. Von den drei Indexfällen sprang die Infektion auf 21 Kontaktpersonen über. Die Infizierten der zweiten Generation steckten binnen weniger Tage 26 andere Individuen an. Dann allerdings waren die Gesundheitsbehörden auf der Hut. Man hatte strikte Hygienemaßnahmen bei medizinischem Personal eingeführt, die Patienten mit Atemwegserkrankungen versorgten. Außerdem waren Kontaktpersonen der Patienten unter strikte Quarantäne gestellt worden. Durch die Kombination der Maßnahmen konnte die dritte „Erkrankungsrunde“ auf 28 Personen begrenzt werden. Von diesen sind bislang keine weiteren Infektionen ausgegangen.

Global betrachtet ist die Situation allerdings weiterhin beunruhigend. Weltweit sind bislang mehr als 1500 Personen erkrankt, von denen etwa 60 gestorben sind. Mit einer Todesfallrate von rund drei Prozent ist Sars damit deutlich gefährlicher als die asiatische Grippe.

Den mysteriösen Erreger glauben Forscher aus dem Hamburger Tropenmedizinischen Institut sowie aus dem Center for Disease Control in Atlanta mittlerweile identifiziert zu haben. Es handelt sich vermutlich um ein Virus aus der Familie der Coronaviren (so benannt nach der ungewöhnlichen Struktur, die – nur im Elektronenmikroskop sichtbar – die Virushülle wie ein Hakenkranz erscheinen lässt). Der Erreger wurde aus Bronchialsekret des Singapurer Patienten isoliert, der in der Isolierstation der Frankfurter Uniklinik behandelt wird. Es scheint, dass es sich um ein bisher nicht bekanntes Mitglied der Coronavirusfamilie handelt. Nach Angaben der Hamburger Forscher unterscheidet sich die Erbsubstanz des neuen Erregers um 50 bis 60 Prozent im Vergleich zu typischen Vertretern dieses Virusclans.

Coronaviren sind häufig bei Vögeln, allerdings auch bei zahlreichen Säugetieren zu finden. Sie besiedeln aber auch den Nasenrachenraum des Menschen und führen dann – zusammen mit diversen anderen Virusarten – zu einer banalen Erkältung. Die Erreger vermehren sich in den Zellen der Atemwege, dringen allerdings ebenfalls in die Schleimhaut des Magen-Darms-Trakts und in das Nervengewebe ein. Dies erklärt die vielfältigen Symptome bei den Patienten mit Sars.

Warum gerade die Provinz Guangdong zum Ausgangspunkt einer neuen viralen Erkrankung wurde, liegt für Experten auf der Hand. In kaum einem anderen Gebiet der Erde leben so viele Menschen und Haustiere – vor allem Enten und Hühner – auf so engem Raum zusammen wie im Süden Chinas. In der subtropischen Region an der Grenze zu Hongkong ist das Wasser verschmutzt, spielen Kinder neben Enten und Hühnern im Müll. Toiletten sind häufig verdreckt und die Benutzung von Taschentüchern ist wenig verbreitet. Statt dessen wird Rotz und Schleim üblicherweise auf den Fußboden gespuckt.

Das enge Miteinander von Mensch und Tier begünstigt das Überspringen von Erregern, die normalerweise nur im Tier vorkommen, auf den Menschen. Dass in diesem infektionsmedizinischen „Schmelztiegel“ immer wieder einmal Erregervarianten entstehen, die für den Menschen außerordentlich gefährlich sind, zeigt das Beispiel Influenza-Virus. Im Januar 1997 breitete sich urplötzlich eine Mutante des Grippe-Erregers in der Hühnerpopulation Hongkongs aus, der beim Menschen zu einer bedrohlichen Lungenentzündung führte. Um die Übertragungskette zu unterbrechen, ließen die Behörden binnen wenigen Tagen 1,2 Millionen Hühner schlachten. „Die Gegend ist ein mikrobiologischer Hexenkessel“, sagt der Frankfurter Virologe Manfred Preiser, „die Gesundheitsbehörden müssen stets argwöhnen, ob sich eine neue Epidemie anbahnt.“

Bleibt zu klären, warum die mysteriöse Krankheit erst dann der Öffentlichkeit bekannt wurde, als sie sich im Tempo der Düsenjets von Hongkong in alle Richtungen des Globus ausbreitete. Immerhin waren die ersten Fälle bereits Mitte November in Guangdong aufgetreten. Und zum Jahreswechsel war die Provinz mit 305 Erkrankungen und sechs Toten bereits zum Zentrum einer unabweisbaren Epidemie geworden. Gleichwohl wurde die Erkrankung klein geredet.

Manfred Bergbauer

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