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Gesundheit: „Ein Gefühl der Geborgenheit“

Die Generaldirektorin freut sich auf den neuen Lesesaal – für die Elite

Frau Schneider-Kempf, wie wird der neue Lesesaal die Staatsbibliothek verändern?

Das Haus Unter den Linden bekommt seine Mitte zurück, sein Herz. Der zentrale Lesesaal ist ja seit dem Zweiten Weltkrieg zerstört, seitdem war das Haus logistisch nicht mehr zu verstehen. Der Architekt des Altbaus, Ernst von Ihne, hatte die Bibliothek genial als Haus für die Bewahrung und Benutzung von Büchern geplant, und diese Inszenierung gipfelte – auch funktional – im Lesesaal. In dem Moment, wo er zerstört wurde, war das Haus seiner Wirkung beraubt.

Das Haus Potsdamer Straße – 1978 eröffnet im Westteil der Stadt – blieb auch nach der Wiedervereinigung Berlins beliebteste wissenschaftliche Bibliothek. Wird der Merz- Bau diesem Haus den Rang ablaufen?

Ich verspreche mir künftig ein Gleichgewicht der beiden Häuser, weil sie einen gleichwertigen Schwerpunkt haben sollen: Unter den Linden entsteht die historische Forschungsbibliothek, in der Themen bis 1900 bearbeitet werden können, und in der Potsdamer Straße die Forschungsbibliothek der Moderne ab 1900. Ein Gleichgewicht der Nutzerströme allerdings wird es wohl nie geben. Denn in der Potsdamer Straße bieten wir auch weiterhin 870 Leseplätze an, während es Unter den Linden 380 sein werden.

Sie haben ihr Amt als Generaldirektorin mit der Mission angetreten, die Staatsbibliothek zu Berlin zu einer Elite-Bibliothek zu machen. Soll der neue Lesesaal Arbeitsplatz der Forscherelite werden?

Das ist das Ziel, und wir wollen die Bedingungen dafür schaffen. Das Angebot für die Benutzer, die Unter den Linden wissenschaftlich arbeiten wollen, wird überaus attraktiv sein. Wir richten 160 Forscherarbeitsplätze ein, ein großer Teil als Kabinen, die mit modernem Mobiliar und modernster elektronischer Informationstechnik ausgestattet sind. Sicher werden sich die Forscher auch von der Präsentation des Bestandes angezogen fühlen.

Sie haben auch einen direkteren Zugriff auf Literatur aus den Magazinen in Aussicht gestellt. Wie steht es damit?

Die Staatsbibliothek ist weiterhin eine Magazinbibliothek, aber wir schaffen große Freihandbereiche. Unter den Linden werden die Leser direkten Zugriff auf über 380 000 Bände haben, davon steht ein großer Teil im neuen Freihandmagazin, welches viel benötigten Altbestand mit Erscheinungsjahr bis 1945 birgt. Im Haus Potsdamer Straße stehen 185 000 Bände unmittelbar zur Verfügung; und auch dort richten wir Freihandmagazine für Zeitschriften und für 25 000 Bände mit Quellen zur Moderne ein.

Wird es Unter den Linden Zugangsbeschränkungen wie in der Bibliothèque Nationale de France geben?

Das ist noch nicht entschieden. Aber wir werden sicherstellen, dass die 160 besonders gut ausgestatteten Forscherarbeitsplätze nur von qualifizierten Benutzern eingenommen werden. Wir können allerdings noch nicht einschätzen, wie das Angebot von weit über 1000 Plätzen in beiden Häusern ausgelastet sein wird.

Braucht die Generation Google womöglich gar keine Lesesäle mehr?

Das ist die große Frage, die sich alle Bibliothekare heute stellen. Bis zu einem gewissen Niveau werden wissenschaftliche Arbeiten heute im Internet recherchiert. Ich vermute aber, dass Wissenschaftler für die qualifizierte Arbeit, die Arbeit mit den Quellen, auch weiterhin die Bibliothek nutzen werden. Bislang stellen wir auch kein Absinken der Benutzerzahlen fest – auch nicht, nachdem wir die Gebühren angehoben haben und keine Tageskarten mehr anbieten. Schon kurz danach waren unsere Besucherzahlen wieder auf dem alten Stand.

Wie soll das Konzept von „einer Bibliothek in zwei Häusern“ langfristig funktionieren? Wissenschaftler, die zeitübergreifend forschen, werden weiterhin pendeln müssen – und empfinden das als zeitraubend.

Die Notwendigkeit der zwei Häuser ergibt sich aus der Geschichte der Bibliothek, der Trennung der Bestände. Die eine große Staatsbibliothek ist nun einmal in Berlin nicht entstanden. Wir haben nach der Wiedervereinigung das Haus Unter den Linden behalten, wir bauen es sogar für sehr viel Geld aus. Das ist durch die Nähe zu den vielen historischen Museen in unmittelbarer Nähe zusätzlich gerechtfertigt.

Diese Ausgabe des Tagesspiegels wird im Grundstein des neuen Lesesaals eingemauert. Wie erklären Sie das Gebäude jenen, die sie dort in ferner Zukunft finden mögen?

Dies ist sicherlich eines der größten Gebäude, die in Europa je für Bibliotheken gebaut wurden. Seit knapp 350 Jahren bewahrt und vermittelt die Bibliothek das kulturelle Erbe der Menschheit, davon schon seit über neunzig Jahren in diesem Haus. Der neue Lesesaal – eingefasst in einen Lichtkubus, der von Tageslicht durchflutet ist und bei Dunkelheit leuchtet – strahlt Wärme aus, er vermittelt ein Gefühl der Geborgenheit, wie man es sich für eine Bibliothek nur wünschen kann.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Barbara Schneider- Kempf (52) ist seit 2004 Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin. Zuvor leitete die studierte Architektin die Universitätsbibliothek in Potsdam.

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