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Gesundheit: Ein hilfreicher Griff

Nur jeder vierzehnte Aids-Infizierte in Afrika erhält die Medikamente, die das Virus in Schach halten können

Das Drama von HIV-Infektionen findet derzeit auf verschiedenen Schauplätzen statt. Und der Ausgang des Schauspiels hängt maßgeblich vom Ort des Geschehens ab. Mehr als 95 Prozent der 14000 Neuinfektionen, die jeden Tag zu verzeichnen sind, ereignen sich in einem der armen Länder der Erde. In einigen Regionen südlich der Sahara sind 30 Prozent der Erwachsenen infiziert.

Die effektiven Therapien, die das Virus in Schach halten, kommen dort heute ganzen sieben Prozent der Infizierten zugute. Bei der 15. internationalen Aids-Konferenz, die seit gestern in Bangkok stattfindet, stehen die Probleme dieser Länder im Mittelpunkt.

Es geht auch um die Strategien, mit denen es gelingen soll, der Seuche Einhalt zu gebieten. Eine von ihnen ist das „3-by-5“-Konzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Drei Millionen Menschen, so sieht der ehrgeizige Plan vor, sollen in den armen und ärmeren Ländern dieser Erde bis Ende 2005 Zugang zu der Kombinationstherapie bekommen, mit der nach einer HIV-Infektion der Ausbruch der Immunschwäche-Krankheit Aids auch für längere Zeit hinausgezögert werden kann.

„Zugang zu den Medikamenten ist das zentrale Element jeder wirksamen Strategie im Kampf gegen HIV und Aids“, schreibt Peter Piot vom UN-Aids-Programm im Fachmagazin „Science“ (Band 304, Seite 1682).

„Wie kommt es, dass wir immer vom Problem der Medikamentenverteilung sprechen, wo es doch in Afrika kaum einen Platz gibt, wo man nicht ein kühles Cola bekommen kann?“, fragt dort provozierend der Holländer Joep Lange, Präsident der Internationalen Aids-Gesellschaft.

Doch es sind inzwischen auch Erfolge zu vermelden. Vom Aids-Programm der Weltbank und mehreren anderen Initiativen gibt es Geld. Die Medikamente werden inzwischen in deutlich verbilligten Versionen hergestellt. Die Behandlung kostet für ein Jahr damit weniger als 250 US-Dollar.

Und es gibt Kombinationspräparate, von denen nur täglich zweimal eine Tablette genommen werden muss. Französische Forscher haben jetzt in der Fachzeitschrift „Lancet“ (Band 364, Nummer 9428) die Ergebnisse ihrer Untersuchung in Kamerun veröffentlicht.

Das Kombipräparat drückte bei 60 Aids-Patienten, die 24 Wochen behandelt wurden, die Viruslast entscheidend nach unten. Doch in einem Kommentar wird auf mögliche weitere Hürden der Behandlung hingewiesen: Die Begleitung der Therapie mit Tests führt zu zusätzlichen Kosten. Viele Patienten brauchen später Medikamente, die so genannte Proteasehemmer enthalten. Das sind „antiretrovirale“ Medikamente (s. Kasten), die die Vermehrung des Virus in einem relativ späten Stadium behindern. Sie sind deutlich teurer und müssen ununterbrochen gekühlt werden. Das führt zu neuen logistischen Problemen.

Vor allem aber fehlt es in den von massenhaften Aids-Erkrankungen gebeutelten Ländern an professionellen Helfern. Eines der Hauptprobleme des öffentlichen Gesundheitssektors bestehe dort darin, das noch vorhandene gut ausgebildete Personal zum Bleiben zu motivieren, schreibt Lange. In Südafrika sind Tausende von Posten im Gesundheitssektor unbesetzt, in Mosambik kommen auf einen Arzt 30000 Einwohner.

Zwei belgische Gesundheitsexperten, die nach einer Rundreise durch mehrere afrikanische Länder südlich der Sahara in „Lancet“ diese Zahlen präsentieren, schlagen vor, vermehrt auf Helfer zurückzugreifen, die zur Gruppe HIV-positiver, behandelter Laien gehören.

Auch um für Vorbeugung zu werben, wird Personal gebraucht. Während die Zunahme an Infektionen in asiatischen Ländern mit „Hochrisiko-Aktivitäten“ wie Drogeninjektion und Prostitution in Verbindung steht, sorgt in Afrika einer anderen Untersuchung zufolge vor allem das gleichzeitige Bestehen mehrerer sexueller Beziehungen für die rasante Verbreitung des Virus. Denn die Viruslast ist während der ersten Wochen nach einer Infektion besonders hoch.

Wenn eine Frau auf dem Kondom besteht, wird das aber gerade in solchen festen Beziehungen als Misstrauensbeweis angesehen. Gels, die in der Scheide eine chemische Barriere bilden sollen, sind kein Ersatz für sicheren Schutz, aber es könnte sein, dass sie das Ansteckungsrisiko etwas verringern. Die Wirkstoffe, die sie enthalten, sollen entweder das Virus inaktivieren, seinen Eintritt in die Schleimhaut verhindern oder seine Vermehrung bremsen. Sechs von ihnen werden in großen Studien getestet, oder stehen kurz vor der Erprobung.

Auch ein unvollständiger Schutz könnte angesichts der großen Zahlen zu Buche schlagen. Das Ergebnis entsprechender Modellrechnungen liefert US-Forscher Paul Coplan in „Science“: „Wenn ein nur teilweise wirksames Mikrobiozid von wenigstens 20 Prozent der Frauen, die ein Risiko eingehen, in der Hälfte aller gefährlichen Situationen benutzt wird, könnten dadurch innerhalb von drei Jahren 2,5 Millionen Infektionen verhindert werden.“

Auch bei den Konzepten für Impfungen werden derzeit nur bescheidene Teilerfolge angepeilt. Denn das HI-Virus ist für Impfstoffdesigner wegen seiner Wandlungsfähigkeit und seines direkten Angriffs auf das Immunsystem ein besonders harter Brocken. Eine zentrale Idee verschiedener Ansätze besteht darin, die Abwehr auf zellulärer Ebene zu stärken, so dass sie im Ernstfall mehr Power hat.

Eine Ansteckung verhindern können die Impfstoffe wahrscheinlich nicht. Dafür werden weiter Kondome gebraucht, deren Anwendung wenigstens nicht am Preis scheitern sollte. „Sogar in den reichsten Ländern der Welt liegt der richtige Preis für Kondome bei null“, so heißt es klipp und klar in „Lancet“.

Adelheid Müller-Lissner

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