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Gesundheit: „Ein Kind zwischen Trümmern“

Der TU-Professor Mahr über den Wiederaufbau der Hochschulen in Afghanistan

Herr Mahr, geht es bei der AfghanistanKonferenz auf dem Petersberg auch um den Wiederaufbau des Bildungssystems?

Der afghanische Erziehungsminister ist anwesend, aber der Aufbau der Hochschulen steht nicht im Mittelpunkt.

In welchem Zustand befinden sich die Bildungseinrichtungen?

Nach 23 Jahren Krieg ist der Bildungsbereich weitgehend zusammengebrochen. Der größte Teil der Intelligenz hat das Land verlassen. An den Universitäten fehlen Tische und Stühle sowie Apparate und Maschinen für die Labore und Werkstätten. Wasser und Strom gibt es nur unregelmäßig, viele Gebäude sind zerstört. Die Agrarwissenschaft der Universität Kabul kann zum Beispiel ihre Äcker nicht bewässern und sie sind auch noch vermint. Die Atmosphäre erinnert an die Bilder von Berlin direkt nach dem Krieg.

Wie ist unter diesen Umständen die Ausbildung der Studenten möglich?

Eine Ausbildung nach westlichen Standards kann es unter diesen Bedingungen nicht geben. Die Studenten können überall nur theoretisch ausgebildet werden. Aber selbst das ist schwierig, denn es gibt kaum aktuelle Literatur und zu wenig qualifizierte Dozenten. Viele müssen ihren Lebensunterhalt nebenbei verdienen, weil ihre Gehälter nicht ausgezahlt werden können. Gerade in der Provinz, wo es an Bussen fehlt, sind die Studenten auf Unterkünfte auf dem Campus angewiesen.

Bewegt die Hilfe des Auslands bereits etwas?

Natürlich gibt es Projekte verschiedener Länder und Organisationen. Es kommen auch Gastdozenten nach Kabul, um zu helfen. Einige Gruppen afghanischer Dozenten waren im Sommer zu Gast an deutschen Hochschulen. Die TU Berlin baut mit Hilfe des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ein Rechenzentrum an der Universität Kabul auf und versucht, Know-how zu vermitteln. Die 40 Computer werden in Berlin konfiguriert und von der Bundeswehr eingeflogen. Bis jetzt steht das Internet in Afghanistan kaum zur Verfügung. Doch es wird ein enormes Hilfsmittel, um die Universität auf den internationalen Informationsstand zu bringen. Aber all diese Anstrengungen reichen noch lange nicht aus, um der höheren Bildung Afghanistans einen kräftigen Schub zu geben.

Wie reagieren die Afghanen auf die Situation?

Nach deutschen Vorstellungen ist es erstaunlich, wie ausgeprägt der Mangel an Plänen und Visionen ist. Es gibt eine idealisierte Vorstellung von der Vergangenheit vor 25 Jahren, die viele wiederaufleben lassen möchten. In Afghanistan spricht man oft in Bildern. Die Afghanen stellen sich ihr Land als Körper vor, dessen Teile krank sind. Sie fragen die Helfer: „Was willst du machen? Das Bein, die Hand oder den Kopf?“ Wir haben bei unserem Besuch versucht, ein anderes Bild dagegen zu setzen. Das eines Kleinkindes in Trümmern, über dessen Zukunft in zehn und zwanzig Jahren sich die Eltern natürlich Gedanken machen müssen.

Was muss geschehen, damit die Afghanen das Kleinkind Hochschule großziehen können?

Bei unserem Treffen mit den Rektoren der afghanischen Hochschulen haben wir einen Neunjahresplan erarbeitet, der in der afghanischen Presse viel beachtet wurde. In der ersten Phase kann es nur um die Lehre gehen. Für die Forschung fehlen vorerst alle Voraussetzungen. Die Universitäten sollten Partnerschaften mit dem Ausland schließen, um Lehrpläne zu entwickeln. Zuerst muss das Ziel ein nationales Niveau sein, im zweiten Schritt geht es um international vergleichbare Bachelor-Programme, auf die dann im dritten Schritt Masterstudiengänge aufgesattelt werden sollen. Die Forschung entwickelt sich dann mittelfristig mit dem Promotionsstudium.

Was spricht dafür, dass der Wiederaufbau des Bildungssystems gelingen kann?

Der Wille zu lernen ist unter den Studenten groß. 18 000 haben sich bei der Aufnahme des Lehrbetriebs im Frühjahr auf 16 500 Studienplätze beworben, ein Viertel davon sind Frauen. Inzwischen gibt es private Vorbereitungskurse für die Zugangsprüfung. Trotz der Kursgebühren ist die Nachfrage groß. Einer der beliebtesten Studiengänge ist Journalistik. Auch das kann man als Ausdruck einer Demokratisierung werten: Die Menschen haben den Wunsch zu sprechen und zu schreiben. Wir wissen nicht, ob sich die Universitäten nicht zu einem Ort politischer Auseinandersetzung entwickeln werden. Aber es ist besser, nicht mit dem Wiederaufbau zu warten. Denn die Hochschulen tragen zur Stabilisierung der Lage bei.

Das Gespräch führte Anja Kühne .

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