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Gesundheit: Ein kleiner Triumph über Aids

Die Übertragung des Immunschwäche-Virus auf das Kind lässt sich heute fast immer vermeiden

Von Adelheid Müller-Lissner

Die junge Frau, die wegen einer Schwangerschaftsunterbrechung in die Ambulanz der Klinik kam, hatte sich eigentlich ein Kind gewünscht. Nun erwartete sie Zwillinge. Doch ihr Frauenarzt hatte sie nach den ersten Bluttests auch mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert: HIV-positiv. Anschließend hatte er die völlig ratlose, verzweifelte junge Frau zu einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie überwiesen. Der befürwortete in seinem Gutachten einen Abbruch der Schwangerschaft nach § 218, Absatz 1: Nachteilige Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit der Patientin seien zu befürchten.

In der Infektionsambulanz der Klinik für Geburtsmedizin im Virchow-Klinikum der Charité wurden in den letzten 15 Jahren 280 Schwangerschaften HIV-infizierter Frauen erfolgreich betreut und begleitet. „Berlin hat bundesweit die höchsten Zahlen an HIV-infizierten Schwangeren zu verzeichnen“, sagt deren Leiter Ulrich Büscher.

Die meisten dieser Frauen haben sich beim Geschlechtsverkehr mit einem Mann angesteckt, nicht mehr, wie noch zu Beginn der 90er, durch eine verunreinigte Nadel beim Drogen-Spritzen. Über die Hälfte von ihnen ist deshalb ahnungslos und wird erst zu Beginn der Schwangerschaft mit der einschneidenden Diagnose konfrontiert.

Auf 10 000 Schwangerschaften kommen nach Büschers Schätzungen 1,4 bis 5,7 positive HIV-Tests. Allerdings werde immer noch nicht jeder Frau ein HIV-Test angeboten - und nicht jede Frau, der er vom Frauenarzt angeboten werde, mache auch davon Gebrauch, bedauert Büscher. Ein ganz normaler Test ist er eben immer noch nicht geworden, obwohl er in den Mutterschaftsrichtlinien als solcher vorgesehen ist.

In der Ambulanz im Virchow-Klinikum werden die ratsuchenden Frauen zuerst darüber aufgeklärt, welche Gefahren für sie selbst und für das Ungeborene tatsächlich bestehen. Die junge Schwangere, von der zu Beginn die Rede war, entschied sich nach einem solchen Beratungsgespräch dafür, die Schwangerschaft fortzusetzen, und ist jetzt Mutter von zwei gesunden kleinen Mädchen.

Vor allem eine Zahl ist es dabei wahrscheinlich gewesen, die die Ratsuchende zum Umdenken brachte: Nur zwei der 156 Babys HIV-infizierter Mütter, die in der Ambulanz seit 1995 betreut wurden, sind selbst Träger des Virus. Und diese beiden Frauen haben sich aus verschiedenen Gründen nicht an alle Sicherheitsregeln gehalten.

Drei Grundregeln gegen das Virus

Es sind drei Grundregeln, deren strikte Einhaltung in den letzten Jahren zu einer so drastischen Reduktion der Infektionsraten führte: Zunächst der geplante, rechtzeitige Kaiserschnitt, denn in drei Viertel aller Fälle wird das Virus während einer vaginalen Entbindung übertragen. Dann zur Sicherheit medikamentöser Begleitschutz gegen die Viren für Mutter und Neugeborenes mit dem Präparat Zidovudin (AZT). Schließlich strenges Stillverbot, denn auch über die Muttermilch kann es – in schätzungsweise vier bis 15 Prozent – zu einer Übertragung des Virus kommen.

Alle drei Vorsichtsregeln zusammen begrenzen das Risiko des Kindes, sich bei der Mutter mit dem Immunschwäche-Virus anzustecken, auf ein Minimum. Ohne die Sicherheitsmaßnahmen liegen die Übertragungsraten zwischen geschätzten 13 bis 32 Prozent in Ländern mit guter medizinischer Versorgung und 26 bis 48 Prozent in den Entwicklungsländern.

Die enge Betreuung in der Ambulanz soll vor allem das Risiko einer Frühgeburt, einer vorzeitigen Wehentätigkeit oder eines Blasensprungs senken, die keine Zeit mehr für den sauberen Schnitt bei der Entbindung lassen. „Eine HIV-Infektion ist heute kein Grund mehr für eine Abtreibung", fasst Büscher diese Fortschritte zusammen. Über 90 Prozent der Frauen entscheiden sich denn auch, ihre Schwangerschaft fortzusetzen.

Doch kann und darf man, wenn man von der Infektion schon weiß, ein Kind planen? Vier von fünf Frauen mit HIV-Infektion sind im gebärfähigen Alter. Vielen geht es dank der Einnahme eines Medikamenten-Cocktails, der die Retroviren in Schach hält, heute so gut, dass sie sich trotz der Bedrohung durch die Krankheit ein Kind wünschen. Die große Sicherheit vor einer Übertragung des Virus bestärkt sie in diesem Wunsch.

Allerdings wird sie durch den Verzicht auf die körperlichen und seelischen Wohltaten des Stillens und auch auf die Erfahrungen einer „normalen“ Entbindung erkauft. HIV-infizierte Frauen, die ihren Partner nicht durch ungeschützten Geschlechtsverkehr gefährden wollen, müssen zudem schon für die Zeugung auf technische Hilfen zurückgreifen. Vor allem aber bedrängt die Frauen trotz der so deutlich gestiegenen Lebenserwartung die Frage, wie lange und wie gut sie für ihr Kind werden sorgen können.

Kein negativer Einfluss

Und: Ist das Kinderkriegen selbst nicht eine zusätzliche Belastung? „Eine Schwangerschaft hat langfristig keinen negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf“, versichert Büscher. Kurzfristige Schwankungen von Viruslast einerseits und Anzahl der Helferzellen andererseits sind allerdings möglich, und es gilt abzuwägen, wie während der Schwangerschaft mit den Medikamenten verfahren werden sollte.

Noch gibt es keine Erfahrungen mit den langfristigen Folgen für das Kind, man weiß zum Beispiel nicht, ob im späteren Leben das Krebsrisiko steigt. Die Therapie sollte deshalb aus geburtshilflicher Sicht überprüft werden. Regelmäßige Bluttests müssen sicherstellen, dass die Belastung durch die Viren nicht zu- und die körpereigene Abwehr nicht abgenommen hat. Wenn diese Werte für eine Therapie sprechen, muss sie auch während der Schwangerschaft fortgesetzt oder sogar neu angesetzt werden. Eine Gratwanderung.

Kontakt: Infektionsambulanz der Klinik für Geburtsmedizin der Charité, Campus Virchow, Telefon 4505-64112

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