zum Hauptinhalt

Gesundheit: Ein Schauplatz blutrünstiger Geschichten

Mord an der Universität/Mit dem Campus-Krimi ist ein neues Genre auf dem VormarschVON SUSANNA NIEDER UND BODO MROZEKEin schauriges Schicksal erlitt Professor Schreiner, Philosoph.In vierundfünfzig Teile fragmentiert fand man ihn, säuberlich in Gefrierbeutel verpackt über die Fächer seiner Fakultät verteilt.

Mord an der Universität/Mit dem Campus-Krimi ist ein neues Genre auf dem VormarschVON SUSANNA NIEDER UND BODO MROZEK

Ein schauriges Schicksal erlitt Professor Schreiner, Philosoph.In vierundfünfzig Teile fragmentiert fand man ihn, säuberlich in Gefrierbeutel verpackt über die Fächer seiner Fakultät verteilt.Ähnlich erging es Professor Adamson, der mit zehn Messerstichen vom Leben zum Tode befördert und obendrein noch seiner Zunge beraubt wurde.Beides, wir vermuten es bereits, scheußliche Verbrechen kaltblütiger Mörder, die immer häufiger auf dem Unigelände zuschlagen. Bevor Mißverständnisse entstehen: es geht hier um Kriminalromane.Nicht irgendwelche, sondern Campus-Krimis.Immer mehr Krimiautoren, genauer: Autorinnen, denn Frauen überwiegen, bevorzugen in den letzten Jahren die Universität als Schauplatz ihrer blutrünstigen Geschichten gegenüber herkömmlichen Szenerien, wie etwa den nebligen Ufern der Themse. Zum Beispiel Thea Dorn.Ihr Debut "Berliner Aufklärung" (Rotbuch 1994, 156 Seiten, 16,90 DM) hat das Genre des Uni-Krimis nach Berlin verpflanzt, auf den Campus der FU.Das Philosophenmassaker wird von der Romanheldin Anja Abakowitz, einer weiblichen Inkarnation Philip Marlowes mit Zügen von Supergirl, ebenso souverän wie rücksichtslos aufgeklärt.Weder die Uni noch ihre Studenten kommen dabei besonders gut weg, von den Lehrenden ganz zu schweigen.Die Recherche führt die unvermeidlich lesbische Amateurdetektivin nicht nur in den Sumpf universitärer Klüngel: zum orgiastischen Finale kommt es im Pissoir eines Schwulenclubs.Das Buch trägt zu stark auf und ist nicht besonders spannend, läßt sich aber mit einigem Vergnügen lesen. Mit einem Freizeit-Marlowe kann auch die Hamburger Universität aufwarten.Quincy Hermann, Langzeitstudent und Held aus "Engel fallen tiefer" von Jan Schröter (Klönschnack-Krimi 1994, 183 Seiten, 14,80 DM), verbringt zwar seine Zeit lieber auf dem Sofa als im Seminar, doch als er gebeten wird, nach einer verschwundenen Kommilitonin zu forschen, kann er nicht nein sagen.Seine Suche führt ihn von Altona über Brambek nach Blankenese.Seine Sprüche wirken zum Teil etwas angestrengt, doch insgesamt liefert der Roman eine amüsante Lektüre, und die Lösung des Rätsels ist angemessen gruselig. Die dritte im Bunde der studentischen Ermittlerinnen ist Willa Jansson, ein kleines Kraftpaket von einer Jurastudentin an der Malhousie Universität in San Francisco.Die Tochter zweier Blumenkinder möchte unbedingt einen Job in einer sozial engagierten Anwaltskanzlei haben und arbeitet an der Fachzeitschrift ihrer Fakultät mit, um ihre Qualifikation zu verbessern.Doch dann wird die Chefredakteurin erschlagen an ihrem Schreibtisch aufgefunden.Mißtrauen macht sich unter den Studenten breit, und der nächste Mord läßt nicht lange auf sich warten.Lia Matera gehört eindeutig zu den begabteren Autorinnen von Campus-Krimis."Studentenfutter" (Rotbuch 1992, 215 Seiten, 16 DM) ist lakonisch, spannend und weniger aufgesetzt als die meisten Kriminalromane, deren Helden Einzelgänger sind. An "Denn bitter ist der Tod" von Elizabeth George (Goldmann 1992, 478 Seiten, 14, 90 DM) dürften vor allem Liebhaber von Krimi-Schinken Freude haben.Die anglophile Amerikanerin siedelt ihre Mordgeschichten zumeist in der High Society der britischen Inseln an, doch diesmal lauern "gefährliche, unterschwellige Strömungen" (Klappentext) hinter den efeuumrankten Mauern der Universität Cambridge.Scotland Yard sieht sich "einer arroganten Männerwelt, einem tödlichen Gespinst aus bedingungsloser Liebe, falschem Stolz, uneingestandenen Schuldgefühlen und dem Bedürfnis nach Rache" gegenüber.Wenn das nicht dramatische Enthüllungen verspricht.Und wie immer lösen Inspektor Lynley und Sergeant Havers den Fall routiniert und elegant. Weniger vornehm in seinen Methoden ist Lieutnant Stryker, der in Paula Goslings "Tod auf dem Campus" (rororo 1992, 250 Seiten, 8,90 DM) einen Professorenmord aufzuklären hat.Zur Seite steht dem Rauhbein die intelligente und natürlich ausnehmend attraktive Dozentin Kate Trevorne.Der Fall liegt kompliziert: Für den Mord an Professor Adamson hätten alle mehr als ein Motiv gehabt, denn er galt als ausgemachtes Ekel - bei Kollegen wie bei Studenten. Eine gutaussehende, gescheite Assistentin bekommt auch Detective Boaz Dixon in "Bei Tagung Mord" von D.J.H.Jones (Rotbuch, 278 Seiten, 1995, 16,90 DM), doch als Krimi ist das Buch ziemlich dröge.Die alljährliche Fachtagung der amerikanischen Literaturwissenschaftler und deren Verhaltensweisen interessieren den Autor weit mehr als ein straffer Plot. Interessanterweise sind die beiden empfehlenswertesten Campus-Krimis die, die am deutlichsten über das Genre hinauswachsen: Donna Tartts "Geheime Geschichte" (Goldmann 1993, 570 Seiten, 16,90 DM) ist der gefeierte Erstling der New Yorker Akademikerin und eigentlich schon mehr Literatur als Krimi.Richard, ein Junge aus der Mittelschicht, gerät durch ein Stipendium in eine Studenten-Clique von Kindern reicher Eltern.Sie verschlingen griechische Klassiker, Unmengen von Alkohol und schachtelweise Pillen - nichts, was sie von ihren Kommilitonen wesentlich unterscheiden würde.Wäre da nicht ein charismatischer Altphilologe, unter dessen verderblichem Einfluß sie die graue Theorie des Klassikerstudiums durch praktische Erfahrungen in dionysischen Exzessen zu bereichern suchten: ein Club der tötenden Dichter.Tartt bietet ein überzeugend dichtes Psychogramm der Charaktere.Man möchte das Buch kaum wieder aus der Hand legen. Auch "Doctor Criminale" von Malcolm Bradbury (dtv, 431 Seiten, 1995) ist mehr als ein Krimi - strenggenommen eigentlich gar keiner, und mit Campus hat er nur am Rande zu tun.Vielmehr nimmt der englische Literaturprofessor Bradbury die Suche des Journalisten Francis Kay nach dem ominösen Baszlo Criminale als Aufhänger für ein postmodernes Spektakel, das an Virtuosität den Romanen von Umberto Eco in nichts nachsteht.Die Jagd nach dem Wissenschaftler, der im Grunde nichts anderes ist als die Verkörperung des kulturellen Nachkriegseuropa, ist so spannend wie amüsant und scharfsinnig und noch dazu hervorragend ins Deutsche übersetzt (von Sonja Hauser). Eines haben alle besprochenen Krimis gemeinsam: die Fassaden akademischer Seriosität bröckeln wie morscher Putz von den Wänden der ehrwürdigen Akademien.Wie kaum ein anderes Szenario eignet sich die verschrobene Wissenschaftswelt für Kriminalgeschichten, deren Reiz ja in der Enthüllung scheinbar normaler Milieus liegt.Und wirklich: Wo anders sind die Charaktere so klischeehaft, wo die Rollen so eindeutig und ungleich verteilt wie an der Universität?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false