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Gesundheit: Elite

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

In der neuesten Nummer der Zeitschrift „Gegenworte“, die die Berlin-Brandenburgische Akademie herausgibt, findet sich ein interessantes Argument. „Elite“ sei eine Sache von sehr zweifelhaftem Wert, weil sie im Gegensatz zu Avantgarde, „die im Dienst des Volkes steht oder sich stellen will oder vorgibt sich zu stellen“, auf „eine unübersteigbare Schranke zwischen der großen Masse und den wenigen setzt“. Geschrieben hat das vor über 20 Jahren Jacob Taubes, einer der jüdischen Remigranten, die nach Europa zurückkehrten und an der Freien Universität Berlin lehrten.

Natürlich zögert man, einem ebenso anregenden wie klugen Gelehrten zu widersprechen, und ist für einen zornigen Zwischenruf in Sachen „Elite“ durchaus dankbar. In der deutschen Bildungsdiskussion war der Begriff über Jahre tabuisiert. Selbst das Wort „Eliteschule“ löste je nach Standort Kopfschütteln, Schaudern oder Aggression aus, und von „Eliteuniversitäten“ in Deutschland konnte man nun wirklich nicht sprechen. Plötzlich aber wirkte es dann so, als habe irgendwer einen großen Gong geschlagen, und seit kurzem reden alle wieder ganz selbstverständlich von „Elite“. Und möglichst viele wollen dazugehören.

Wahrscheinlich haben viele schon vergessen, dass es im Blick auf die Universitäten eine Sozialdemokratin war, die den Gong schlug. Im Januar 2004 rief die seinerzeitige Bundesministerin Edelgard Bulmahn unter dem Stichwort „Brain-up“ in einer Rede unter dem Titel „Deutschland. Das von morgen“ den Wettbewerb aus. Erst sollte eine Eliteuniversität gekürt werden, dann fünf, dann zehn, und nun werden es vielleicht auch nur sechs.

Bei sorgfältiger Analyse der Rede der Bundesministerin („Sehr geehrte Herren und Damen“) und ihres medialen Echos hätte man bemerken können, dass Frau Bulmahn den Begriff „Elite“ sorgsam vermied, aber Befürworter und Kritiker ihn sofort in den Mund nahmen. Alle miteinander taten das recht selbstverständlich, die einen begeistert, die anderen entsetzt oder polemisch. Sorgfältige Debatte darüber war selten – und umso dankbarer ist man für kluge Beiträge.

Es ist allerdings keine besonders kluge Idee, das alte Argument von Taubes im Jahre 2007 zu recyceln. Sicher, für die Eliten allzumal des 19. und 20. Jahrhunderts galt, dass die Schranken, die sie von der Masse trennten, unüberwindlich waren. Der längst auf Permanenz gestellte Wettbewerb der Universitäten verhindert aber gerade unüberwindliche Schranken. Und wenn sich der Vorsitzende des Wissenschaftsrates mit seinem Vorschlag durchsetzt, ihn nach dem Modell der Fußball-Bundesliga zu organisieren, dann kann erst recht kein Zweifel daran sein, dass es Aufsteiger und Absteiger geben wird. Eine so durchlässig gestaltete Elite entspricht den Grundwerten einer demokratischen Gesellschaftsordnung – und sollte daher auch von ihren Kritikern als Wertsache akzeptiert werden.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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