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Endometriose: „Stell dich nicht so an!“

Regelschmerzen gelten als normal. Doch wenn Frauen jeden Monat starke Krämpfe haben, kann Endometriose dahinterstecken. Dabei wuchert Gebärmutterschleimhaut im Körper – aber das bleibt oft jahrelang unentdeckt. Wie bei Andrea Schulz aus Berlin

Wann ihre nächste Schmerzattacke kommt, wusste Andrea Schulz immer ziemlich genau. Denn das Stechen im Unterleib begann jedes Mal kurz vor der Menstruation. Monat für Monat. Etwa eine Woche lang übernahmen dann starke Krämpfe und Übelkeit das Leben der damals 15-jährigen Schülerin aus Berlin. Und ihre Regelbeschwerden wurden immer stärker.

Ein Jahr lang entdeckte niemand die Ursache für ihr Leiden. Erst der fünfte Gynäkologe erkannte die Krankheit Endometriose – bei einer einfachen Ultraschalluntersuchung. Bei dieser im Volksmund „Frauenleid“ genannten Erkrankung wächst Gebärmutterschleimhaut – im Fachjargon Endometrium – an den falschen Stellen im Körper. Dort wuchert sie, und das löst die starken Schmerzen aus, die weit über das Maß bei normalen Regelbeschwerden hinausgehen.

Das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut unterliegt zyklischen Schwankungen, gesteuert durch die Hormone Östrogen und Progesteron. Nach dem Eisprung vergrößert sie sich und das Gewebe verändert sich so, dass sich eine Eizelle einnisten kann. Hat keine Befruchtung stattgefunden, werden Teile des Endometriums zum Ende der Menstruation mit der Regelblutung abgestoßen.

Bei Frauen, die wie Andrea Schulz an Endometriose leiden, sind Gebärmutterschleimhaut-Zellen in Bereiche des Körpers gelangt, wo sie nicht hingehören – zum Beispiel in die Eierstöcke und Eileiter oder in die Nähe der Harnblase, des Darms oder des Bauchfells. In seltenen Fällen können sogar Leber, Lunge oder Haut betroffen sein.

Jeden Monat kurz vor der Menstruation aktivieren die weiblichen Hormone die fehlgeleiteten Zellen, die daraufhin an den unpassenden Stellen Schleimhaut aufbauen. Diese Wucherungen und kleine Einblutungen in das umliegende Gewebe verursachen die zum Teil qualvollen Krämpfe. Gynäkologen an der Charité Berlin haben herausgefunden, dass im Gewebe um die Endometriosegeschwüre auch Nervenzellen vermehrt wachsen und somit die Schmerzen noch vergrößern.

Wie die Zellen an die falschen Stellen im Körper gelangen, ist bis heute nicht geklärt. In der medizinischen Literatur werden drei Theorien diskutiert: Bei einigen Patientinnen vermutet man eine angeborene Endometriose, die durch Schleimhaut-Zellen verursacht wird, die sich schon während der Entwicklung der Geschlechtsorgane in den falschen Körperregionen angesiedelt haben. Eine weitere verbreitete Meinung ist, dass die Endometrium-Zellen während der Regelblutung durch die Eileiter in Bereiche außerhalb der Gebärmutter verfrachtet werden und dort anwachsen. „Solche nach innen gerichteten Blutungen treten bei vielen Frauen auf“, sagt Achim Schneider, Leiter der Gynäkologie der Charité. „Aber nur wenn diese Endometrium-Zellen besonders wachstumsfreudig sind, docken sie an anderen Stellen im Bauchraum an.“

Von Gebärmutterschleimhaut-Zellen in der Lunge oder Leber vermuten Wissenschaftler, dass sie über die Blutbahn oder die Lymphflüssigkeit dorthin transportiert wurden.

„Das große Problem ist, dass Gynäkologen die schwere Krankheit häufig übersehen und von normalen Regelbeschwerden sprechen“, sagt Andreas Ebert, der das Endometriose-Zentrum am Vivantes Humboldt-Klinikum leitet. So war es auch bei Andrea Schulz. „Ich solle mich nicht so haben, sondern die Zähne zusammenbeißen, meinten die Ärzte“, erzählt sie. Die Beschwerden sind bei vielen Frauen so stark, dass für sie auch der Geschlechtsverkehr schmerzhaft ist. Deshalb – und weil durch die wuchernde Schleimhaut oft auch die Funktion der Gebärmutter oder der Eileiter gestört ist – können viele der Betroffenen keine Kinder bekommen. Neben den Schmerzen ist auch diese Sorge eine starke psychische Belastung für die Patientinnen.

Gynäkologen können eine Endometriose bei der Bauchspiegelung einwandfrei diagnostizieren. Vor diesem Eingriff unter Vollnarkose fürchten sich viele – insbesondere junge Mädchen. Daher dauert es nach Schätzungen der Endometriose-Vereinigung Deutschland durchschnittlich sechs Jahre, bis die Krankheit eindeutig diagnostiziert wird.

„Ich habe mich damals sofort für die Bauchspiegelung entschieden, denn die Ärzte sagten, dass danach alle Schmerzen weg seien“, sagt die heute 33-jährige Andrea Schulz. Denn die sichtbaren Schleimhautwucherungen kann der Arzt gleich bei der Bauchspiegelung wegschneiden. Nach dem Eingriff unterdrücken starke Hormonpräparate den Menstruationszyklus. „Die Betroffenen werden hormonell stillgelegt und befinden sich für die Zeit der Behandlung in den Wechseljahren“, sagt Achim Schneider. Neben den Spritzen wird häufig eine besondere Anti-Baby-Pille mit Gelbkörperhormonen verschrieben, die den Körper daran hindert, die Schleimhaut aufzubauen.

Doch die Hormontherapie hat auch Nebenwirkungen: „Ich hatte andauernd Hitzewallungen, habe enorm an Gewicht zugenommen, und mein Herz raste oft wie verrückt“, sagt Andrea Schulz. Dennoch ist die starke hormonelle Behandlung das einzige Mittel, die Endometriose längerfristig zu unterdrücken. Denn meist reicht eine Operation nicht aus, da die Wucherungen immer wieder auftreten können. Gynäkologen raten dennoch, früh über einen Eingriff nachzudenken: „Es wäre schön, wenn die Ärztinnen und Ärzte, an die sich die betroffenen Frauen wenden, großzügiger eine Bauchspiegelung in Betracht ziehen würden“, sagt Schneider, zu dessen Bereich das Endometriose-Zentrum der Charité gehört.

Das Ziel der Forscher an den Zentren in Berlin ist jedoch, so bald wie möglich eine Risikogruppe auszumachen. Sie vermuten, dass eine genetische Veranlagung und eine schwache Immunabwehr die Krankheit begünstigen. „Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft einen Test haben werden, mit dem wir Frauen noch vor Auftreten von Beschwerden einfach und schnell als gefährdet identifizieren und behandeln können, ohne dass wir operieren müssen“, sagt der Frauenarzt Achim Schneider.

Andrea Schulz musste bislang sechs Mal operiert werden. Die Krankheit war bei ihr inzwischen so weit fortgeschritten, dass die wuchernde Gebärmutterschleimhaut ihre Harnblase befallen hat. Die Schmerzen im Unterleib kommen aber zum Glück heute nur noch selten. Und sie bekam trotz ihrer Krankheit einen Sohn – dank einer künstlichen Befruchtung.

Stephan Struve, Dagny Lüdemann

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