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Erektile Dysfunktion: Das Schweigen der Männer

Impotenz, Unfruchtbarkeit, Hormonstörungen: Das starke Geschlecht tut sich schwer, nach Hilfe zu fragen. Dabei kann Abwarten lebensgefährlich sein. Andrologen wollen Männer zum Reden bringen.

Der Penis ist ein guter Frühwarner, das hat Thorsten Jäker von seinem Arzt gelernt. Wenn es mit dem Sex nicht mehr so gut klappt, kann das gefährlich werden – nicht für seine Ehe, sagt Jäker, nach 30 gemeinsamen Jahren gebe es Wichtigeres als Sex. Aber für sein Herz-Kreislauf-System.

Thorsten Jäker heißt nicht wirklich so, seinen richtigen Namen will der 59-jährige Berliner nicht in der Zeitung lesen. Vor zwei Jahren fing es bei ihm schleichend an. Er hatte Stress im Betrieb – damals arbeitete er bei einer Reinigungsfirma und musste Nachtschichten schieben. Kein Wunder, dass sich das irgendwann auf die Libido auswirkt, hat Jäker sich damals gedacht. Immerhin war es nicht so, dass er gar nicht mehr konnte. Der Penis blieb bloß nicht lange genug steif. Mit seiner Frau hat er darüber zuerst Witze gemacht. Irgendwann war es nicht mehr lustig.

Sein Arzt ist Wolfgang Harth, Leiter des interdisziplinären „Schwerpunkts Männergesundheit“, der vor sieben Monaten am Vivantes-Klinikum in Berlin Friedrichshain eingerichtet wurde. Nicht als eigene Station, sondern als zentraler Anlaufpunkt für alle Männerprobleme. Mit einer Sprechstunde; drei Tage die Woche findet sie statt, im Hauptgebäude in der Landsberger Allee, einmal ganz durchgehen und dann hoch in den ersten Stock. Zu Wolfgang Harth kommen Männer mit Haarausfall und solche mit Kinderwunsch. Oder Sterilisierte, die ihren Eingriff rückgängig machen möchten, in 90 Prozent der Fälle gelingt das. Und Männer wie Thorsten Jäker, bei denen die Potenz nachgelassen hat. Den meisten fällt es schwer, offen darüber zu sprechen, das ist ein Sozialisationsproblem, sagt Harth: „Mann sein heißt stark sein, Mann sein heißt viel trinken und schnell Auto fahren können.“ Krank zu sein gelte dagegen nicht als männlich. Das schafft Druck. Deshalb die Anlaufstelle.

Experten schätzen, dass zehn Prozent der Männer unter 40 Jahren dauerhaft unter Potenzstörungen leiden – und zwischen 30 und 50 Prozent der Männer über 40. Erektile Dysfunktion, so heißt der Fachbegriff für Potenzstörung, kann eine ganze Bandbreite von Ursachen haben. Das liegt an der Kette von Reaktionen, die für eine Erektion nötig sind.

Vier Schwellkörper hat der Penis. Im Ruhezustand sind ihre Muskelfasern angespannt, so dass nur wenig Blut hindurchfließt. Bei sexueller Erregung sendet das Gehirn Signale an das Rückenmark, das schickt Nervenimpulse an den Penis weiter, und dort produzieren dann Nervenzellen – aber auch die Endothelzellen an der Gefäßwand – das gasförmige Molekül Stickstoffmonoxid. Das lässt die Muskelfasern der Schwellkörper erschlaffen und Blut fließt verstärkt hinein. Mit wachsendem Volumen der Schwellkörper werden die abfließenden Arterien zugedrückt. Binnen einer halben Minute können die Schwellkörper etwa das Siebenfache an Blut aufnehmen. Wird dieser Ablauf an einer einzigen Stelle unterbrochen, kommt es zur Dysfunktion. In 20 Prozent der Fälle gilt psychischer Druck als Hauptursache. Auch Diabetes, ein Mangel an dem männlichen Hormon Testosteron, Hirnschäden und Bluthochdruck sind häufig, ebenso die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln oder Rauschgift. Auch Bandscheibenvorfälle können impotent machen, wenn dabei an der Wirbelsäule auf Nerven gedrückt wird, die zu den Lenden führen. Hinter Potenzstörungen können aber auch Gefäßerkrankungen stecken. Dann wird es gefährlich, weil dieselbe Erkrankung möglicherweise auch in anderen Gefäßen des Körpers auftreten kann. Jahre später kann dies zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen.

Männer leben nicht so lange wie Frauen, im Durchschnitt sieben Jahre kürzer. Lange dachte man, das sei genetisch bedingt. Dagegen spricht eine Untersuchung unter 12 000 Mönchen und Nonnen: In katholischen Klöstern – ohne Zeitdruck, Stress und ungesunde Ernährung – leben beide Geschlechter gleich lange. Männer sind also offenbar stärker von negativen Umwelteinflüssen des modernen Lebens gefährdet. Und sie gehen deutlich später zum Arzt, sagt Wolfgang Harth vom Vivantes-Klinikum. Zur Vorsorge häufig gar nicht. „Männer machen Reparaturmedizin. Sie gehen zum Arzt, wenn der Schaden schon da ist.“ Ein Beispiel: Die häufigste Krebsart bei Männern ist der Prostatakrebs, jedes Jahr erkranken allein in Deutschland 50 000 daran. Trotzdem geht nur jeder Siebte zur Früherkennungsuntersuchung.

Mit Problemen, die ihre Männlichkeit infrage stellen, gehen viele gar nicht zum Arzt. Auch weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Deshalb hat die Bundesärztekammer die Zusatzqualifikation „Androloge“ eingeführt. Wolfgang Harth, eigentlich Hautarzt, ist einer der ersten Berliner, die sie erworben haben. Auch Urologen und Hormonspezialisten können die Bezeichnung in einer 18-monatigen Weiterbildung erwerben. Die Zusatzqualifikation ist ein „reiner Segen“, sagt Eberhard Nieschlag, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Andrologie. 18 Jahre hat er mit seinen Kollegen darum gekämpft. „Die Bezeichnung schafft Vertrauen. Frauen wissen, dass sie beim Gynäkologen richtig sind. Dem Mann fehlte diese Sicherheit.“ In Berlin haben den Titel seit Einführung erst zwölf Ärzte erworben. Auch eine Frau ist darunter. „Die Zahl der Androloginnen wird aber zunehmen“, glaubt Nieschlag. Seiner Erfahrung nach vertrauten sich Männer gerne Frauen an, auch in intimen Fragen. „Dass es bisher so wenige gibt, liegt eher an den Ärztinnen, die sich für eine andere Spezialisierung entscheiden.“

Viele von Wolfgang Harths Patienten haben eine Leidensgeschichte hinter sich. Entweder, weil sie jahrelang aus Scham geschwiegen haben – oder weil sie sich an den Falschen gewandt haben. Thorsten Jäker war vorher schon beim Urologen. Wer auf die 60 zugeht, muss mit Impotenz rechnen, hat der damals gesagt. Und dass man da nichts gegen machen kann. Außer Viagra zu nehmen. Seien Sie froh, dass es so etwas gibt, hat der Urologe gesagt. Jäker nahm die Pillen anderthalb Jahre lang. Bis er im Fernsehen einen Beitrag über die neue Anlaufstelle in Friedrichshain sah.

Wer im Vivantes-Klinikum zur Männersprechstunde geht, muss zunächst einen Fragebogen ausfüllen. Darin gibt er an, ob er oft müde ist. Ob er leicht schwitzt, sich nervös oder depressiv fühlt. Und ob vielleicht sein Bartwuchs nachgelassen hat. Das können Symptome sein für eine Krankheit, von denen viele zuerst nicht glauben wollen, dass es sie wirklich gibt: die Wechseljahre des Mannes. Mit 40 Jahren nimmt die Ausschüttung des Sexualhormons Testosteron ab. Jedes Jahr um etwa ein Prozent. Bei Übergewichtigen geht es schneller: Das Hormon wird im Fettgewebe zu Östrogen umgebaut. Und das vermindert über einen Regelmechanismus die Anregung der Testosteronproduktion. Nach dem ersten Bluttest weiß Thorsten Jäker jetzt, dass er bald kein Viagra mehr braucht. Er hat deutlich zu wenig Testosteron – und das ist eine gute Nachricht. Denn dagegen gibt es Präparate, die helfen. Seit er das weiß, macht er wieder Witze mit seiner Frau.

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