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Gesundheit: Erlahmtes Licht

Einstein zufolge ist die Lichtgeschwindigkeit überall im Universum gleich hoch. Hat er sich geirrt?

Von Thomas de Padova

Nichts währt offenbar ewig. Jetzt stellen australische Forscher sogar die Unveränderlichkeit der Lichtgeschwindigkeit in Frage. Sie spekulieren darüber, dass sich die Lichtgeschwindigkeit, die seit Albert Einsteins Zeiten als unverrückbares Charakteristikum des ganzen Universums gilt, mit den Jahrmilliarden verändert hat. Das Licht, das im leeren Raum in jeder Sekunde 300 000 Kilometer zurücklegt, könnte zu Beginn des Universums schneller gewesen sein als heute.

Die Hypothese kommt nicht aus dem Labor – sonst hätten sich sogleich mehrere Forscherteams mit Präzisionsmessgeräten an ihre Überprüfung gemacht. Sie kommt aus einem entlegenen Winkel der Kosmologie. Der Astrophysiker John Webb von der University of South Wales in Sydney beobachtete über viele Jahre ferne Galaxien mit einem der dafür empfindlichsten Teleskope: dem Keck-Teleskop in Hawaii.

Blick auf entfernte Galaxien

Webb schaute weit in die Vergangenheit zurück. Das Licht der von ihm ins Auge gefassten Galaxien war viele Milliarden Jahre unterwegs, ehe es den Teleskopspiegel traf. Ein Teil dieses Lichtes wurde unterwegs verschluckt.

Gaswolken, die im Universum allgegenwärtig sind, absorbieren bestimmte Frequenzen der sie durchquerenden Lichtstrahlen. Daher enthält das Licht entfernter Galaxien stets schwarze Linien. Das Linienmuster entspricht einem chemischen Fingerabdruck der interstellaren Gaswolken. Es lässt erkennen, ob das Gas chemische Elemente wie Natrium, Eisen oder Magnesium enthält, ja sogar, wie alt die Gaswolken sind. Und bei näherem Hinsehen verrät der Fingerabdruck noch mehr: ob nämlich in fernen Regionen des Kosmos und damit weit zurück in der Vergangenheit dieselben Naturkräfte wirkten, wie wir sie heute beobachten.

Denn es zeigt sich, dass die Absorptionslinien in viele schwarze Striche aufgespalten sind. Astrophysiker können diese Feinstruktur mit einem Spektrographen, der an das Teleskop angeschlossen wird, genau analysieren. Die Abstände zwischen den feinen Linien sind keine unabhängigen Messwerte. Eine physikalische Konstante bestimmt das Strichmuster: die Feinstrukturkonstante. Ihre heutige Größe ist aus Labormessungen auf der Erde genauestens bekannt.

John Webb und seine Kollegen verglichen die Feinstruktur des Galaxienlichts mit den Labordaten. Um die Genauigkeit noch zu steigern, fassten sie geeignete Linien in Gruppen zusammen.

„Die Wissenschaftler haben mit ihren Messungen einen weiten Bereich des beobachtbaren Kosmos erfasst“, sagt Gerhard Börner, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Dabei hätten sie herausgefunden, dass die Linienabstände geringfügig von den Labordaten abwichen.

Ein überraschendes Ergebnis. Denn die Feinstrukturkonstante, die bisher als Naturkonstante galt, ist demnach möglicherweise gar keine Konstante. Scheinbar war sie in der Vergangenheit kleiner als jetzt. Sie variierte den Beobachtungen zufolge zwar nur um etwa ein Hunderttausendstel. Aber diese Abweichung erachten die Forscher als durchaus signifikant.

Denn die Feinstrukturkonstante bestimmt die Stärke der in der Natur wirkenden Kräfte. Sie ist auch mit einigen anderen physikalischen Größen untrennbar verknüpft, unter anderem mit der Lichtgeschwindigkeit und der elektrischen Ladung des Elektrons.

Gefangen im Schwarzen Loch

Paul Davies von der Macquarie Universität in Sydney überprüfte anhand theoretischer Modelle, welcher der beiden Parameter sich im Laufe der Zeit gemeinsam mit der Feinstrukturkonstante geändert haben könnte: Ist die Lichtgeschwindigkeit kleiner oder die elektrische Ladung größer geworden?

Die Astrophysiker halten eine Abnahme der Lichtgeschwindigkeit für plausibler als eine wachsende Elektronenladung. Sie begründen dies im Wissenschaftsmagazin „Nature“ (Band 418, Seite 602) mit den Konsequenzen für den Energiehaushalt Schwarzer Löcher im Universum.

Ein Schwarzes Loch ist eine extrem dichte Materieansammlung, wie sie wohl in den meisten Zentren der Galaxien vorzufinden ist. Es ist von einer undurchdringlichen Sphäre umgeben. Innerhalb dieses „Ereignishorizontes“ gibt es selbst für Licht keinerlei Entrinnen. Das Licht bleibt im Gravitationsfeld des Schwarzen Loches gefangen. Die Reichweite des Ereignishorizontes hängt rechnerisch von der Größe der Lichtgeschwindigkeit und der Elektronenladung ab. Aus diesem mathematischen Zusammenhang folgern die australischen Forscher, dass sich allenfalls die Lichtgeschwindigkeit seit der Frühzeit des Universums verringert haben könnte.

Ein Anwachsen der Elektronenladung sei deswegen auszuschließen, weil der Ereignishorizont eines Schwarzen Loches im Laufe der Zeit nicht schrumpfen könne. Er könne nur größer werden – etwa wenn das Schwarze Loch an Masse zulegt und sich Sterne aus der Umgebung einverleibt.

Sollte die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich einst höher gewesen sein, dann wäre das Universum unter anderen Bedingungen geboren, als Forscher bislang vermuteten. Zum Beispiel müssten in diesem Falle die Vorstellungen von der Entstehung der chemischen Elemente revidiert werden. Vielen Wissenschaftlern erscheinen die Indizien aber noch zu dürftig, um an Einsteins Physik zu rütteln. Sie fordern eine genaue Überprüfung der bisherigen Ergebnisse.

„Die Lichtgeschwindigkeit hat eine fundamentale Bedeutung für die Relativitätstheorie“, sagt Gerhard Börner. „Und es gibt bisher keine direkten experimentellen Hinweise darauf, dass sie sich im Laufe der Zeit verändert.“ Dem schließt sich auch Jürgen Ehlers an, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Golm bei Potsdam. „Grundsätzlich kann man jede Theorie abändern. Aber man sollte sich vorher gründlich überlegen, ob man die Natur dann besser beschreibt oder nicht.“

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