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Gesundheit: Erstmals seit 150 Jahren werden bei uns wieder wilde Wolfswelpen gesichtet - Einwanderung hauptsächlich aus Polen

Dietrich Bennewitz glaubt seinen Augen an diesem kühlen Dezembermorgen nicht: Vorsichtig ruft der pensionierte Förster des Reviers Grubenmühle bei Beeskow das schlanke, graue Tier an, das kaum achtzig Meter von seinem Hochsitz entfernt vorbei trabt. Als das Tier die Stimme hört, erstarrt es zur Salzsäule, starrt kurz zum Hochsitz hinauf und trabt dann schnell weiter, hinein in das schützende Dunkel des Waldes.

Dietrich Bennewitz glaubt seinen Augen an diesem kühlen Dezembermorgen nicht: Vorsichtig ruft der pensionierte Förster des Reviers Grubenmühle bei Beeskow das schlanke, graue Tier an, das kaum achtzig Meter von seinem Hochsitz entfernt vorbei trabt. Als das Tier die Stimme hört, erstarrt es zur Salzsäule, starrt kurz zum Hochsitz hinauf und trabt dann schnell weiter, hinein in das schützende Dunkel des Waldes. Dietrich Bennewitz zweifelt: Sollte das wirklich ein Wolf sein, nur fünfzig Kilometer südöstlich von Berlin? Wo sollte er herkommen? Wölfe (Canis lupus) gelten in Mitteleuropa seit Jahrhunderten als ausgerottet.

Der Biologe Christoph Promberger kennt die Antworten auf die Fragen des Försters. Seit einem Jahrzehnt erforscht er im Auftrag der Wildbiologischen Gesellschaft (WGM) die Wölfe Europas. Es gibt sie nämlich durchaus noch. In langen Nächten erschauern noch heute die Menschen in den rumänischen Karpaten und in den weiten Wäldern Rußlands, wenn das lang gezogene Heulen der Raubtiere zwischen den Bäumen widerhallt.

Etwa dreißigtausend Wölfe leben dort noch, auch in den italienischen Abruzzen und in Nordspanien überlebte der Wolf den Kugelhagel, mit dem ihn der Mensch in weiten Teilen der alten Welt ausgerottet hat. Genau wie seit Jahrmillionen ziehen die Rudel dort ihre Welpen auf. Sind die Jungen knapp zwei Jahre alt, vertreiben die Leitwölfe im November und Dezember ihre eigenen Nachkommen, bevor deren Geschlechtstrieb aufflammt.

Ruhelos streifen die Jungwölfe umher, huschen von Waldstück zu Waldstück, suchen ein eigenes Revier. In den Weiten Rußlands und in den Karpaten aber finden sie das kaum. Alle Reviere sind bereits von Leitwölfen markiert. Durch die feuchten Niederungen der Urstromtäler erreichen die suchenden Wölfe schließlich Polen, wo sie erstmals freie Reviere finden. Und seit die polnischen Jäger dem Isegrim nicht mehr auflauern, vermehren sich die Rudel auch in Polen.

Problemlos durchschwimmen sie die Oder und schleichen anschließend durch die Wälder Brandenburgs und Vorpommerns, für die jungen Raubtiere eine Art Schlaraffenland: Keine Spur von anderen Wölfen weit und breit. Auch der Erbfeind des Wolfes, der Mensch, hat sich auf großen Flächen im Osten Deutschlands rar gemacht.

Längst hat die Rote Armee ihre riesigen Truppenübungsplätze geräumt, heute hat dort nach den Willen der Landesregierungen die Natur Vorrang. Beute findet Isegrim in Deutschland reichlich, gibt es hierzulande doch mehr Rehe, Hirsche und Wildschweine als in den meisten anderen Regionen der Erde. Sobald ein Rüde eine Fähe findet, gründet er ein Rudel. Erstmals seit 150 Jahren wurden in Deutschland wieder Wolfswelpen beobachtet. Auch mit dem Menschen kommt der Wolf problemlos zurecht: er geht ihm schlicht aus dem Weg.

Wohlgemerkt geht Canis lupus (Grauer Wolf) dem Homo sapiens aus dem Weg, nicht aber seiner Zivililsation. In der Kulturlandschaft des Menschen kommt der Wolf durchaus zurecht, das hat er in Europa längst bewiesen. In den großen Getreidesteppen Nordspaniens ziehen die Rudel ihre Welpen in den Feldern auf, die ihnen genau so gut Deckung geben, wie ihr eigentlicher Lebensraum, der Wald. Aus den Abruzzen ziehen Wölfe durch den gesamten Apennin, durch Seealpen und Westalpen bis in die Schweiz. Auch in der Toskana hat sich Isegrim längst wieder etabliert.

Sogar in der Großstadt jagen die Rudel bisweilen, wie Christoph Promberger von der WGM aus seinen Forschungen in den rumänischen Karpaten weiß. Unterstützt vom World Wildlife Found International, dem Verein Vier Pfoten e.V. in Hamburg und dem Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin hat der Wissenschaftler dort mehrere Wölfe gefangen und betäubt. Nachdem er sie mit kleinen Radiosendern ausgerüstet hat, entließ er die Tiere wieder in die Freiheit und konnte mit einem Empfänger ihre Wege nachzeichnen.

Selbst in den hellen, kurzen Sommernächten zieht eines der beobachteten Rudel regelmäßig bis hinein in die zweitgrößte Stadt des Landes, Kronstadt. Kaninchen auf Parkwiesen, aber auch streunende Katzen und Hunde holen sich die Wölfe unmittelbar neben den Schlafzimmern der Rumänen. "Wenn der Mensch sie lässt, können Wölfe sich ihren Lebensraum problemlos mit dem Menschen teilen", kommentiert Christoph Promberger seine Beobachtungen.

Doch nicht immer klappt das Zusammenleben problemlos. In der Schweiz und in Norwegen wird der Wolf auch heute noch geschossen. Martin Schneider-Jacoby, der bei der Stiftung Euronatur in Radolfzell am Bodensee ein internationales Wolfsprojekt leitet, kennt die Hintergründe: In beiden Ländern ist der Wolf seit Jahrhunderten ausgerottet, auch andere große Raubtiere sind längst verjagt. Auf den großen Freiflächen lassen die Schäfer ihre Herden daher völlig unbeachtet umherziehen, erst im Herbst werden die Tiere wieder geholt. Für den Wolf aber sind die nahezu wehrlosen Schafe ein gefundenes Fressen - und die Schäfer beklagen am Ende der Saison große Verluste. "Die Menschen müssen sich erst wieder an den Wolf gewöhnen", meint Martin Schneider-Jacoby. "Sie müssen wieder lernen, ihre Herden zu bewachen." Wie man das macht, zeigen die Schäfer in Rumänien, wo der Wolf nie gänzlich verschwand. Dort leben so genannte Herdenschutzhunde mitten in den Schafherden, sie empfinden ihre Herde quasi als Rudel. Bis zu zehn dieser großen, trägen Tiere traben friedlich mit den Wiederkäuern mit. Wehe aber, ein Rudel Wölfe greift die Herde an. Dann beginnen diese Hunde ihr eigenes "Rudel" mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.

Wie effektiv diese Herdenschutzhunde arbeiten, hat Annette Mertens entdeckt, die ebenfalls im Großräuberprojekt der WGM in Rumänien arbeitet. Sie nahm die Wirtschaftlichkeit der Schafzucht unter die Lupe: Wölfe und Bären zusammen reißen jedes Jahr gerade einmal zwei Prozent der Schafe, die in den Karpaten weiden. Dabei gibt es dort mehr Wölfe und Bären auf relativ engem Raum als irgendwo in der Welt.

In Deutschland dagegen können die Schafzüchter auf Herdenschutzhunde verzichten, wenn der Wolf hierzulande wieder heimisch wird, meint Christoph Promberger. Denn hier werden die Herden meist mit Elektrozäunen eingepfercht, um das Weglaufen der Tiere zu verhindern. Man muss demnach nur statt drei Drähten fünf spannen, um den Wolf vom Vordringen zur Herde abzuhalten.

Kein Problem scheint demnach die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland zu machen. Wenn es da nicht diese Urangst gäbe, die sich in Märchen wie "Rotkäppchen" und in Schauergeschichten aus dem Dreißigjährigem Krieg widerspiegelt. Diese Märchen und Geschichten stammen aus einer Zeit, die sich grundlegend von der Moderne unterscheidet. Dem Menschen selbst wird Isegrim nicht gefährlich. Zwar reißt im Norden Kanadas ein einzelner Wolf schon mal einen ausgewachsenen Elch. Ein Mensch wäre demnach überhaupt kein Problem. Aber der Wolf hat seit Jahrtausenden gelernt, daß er praktisch nur einen Feind hat, der ihm wirklich überlegen ist: Eben der Mensch.

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