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Gesundheit: „Es geht nur um gute Wissenschaft“

Heute nimmt der Europäische Forschungsrat seine Arbeit auf. Ein Gespräch mit dem Generalsekretär

Herr Winnacker, wo steht Europas Forschung?

Es gibt hervorragende Forschung, keine Frage. Aber es gibt auch Schwächen, an denen man arbeiten muss.

Was heißt das konkret?

Europa ist weit entfernt von dem Ziel, drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Deutschland liegt mit 2,5 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 1,9 Prozent, aber Länder wie Finnland und Schweden sind uns weit voraus. Und dann ist da natürlich eine strukturelle Schwäche durch die Fragmentierung in 27 Mitgliedsländer. Jedes Land wurstelt in der Forschungsförderung mehr oder weniger für sich allein, von einigen Großprojekten wie Teilchenbeschleunigern oder Fernrohren einmal abgesehen.

Was sind die Folgen?

Das behindert die Internationalisierung und schwächt die Qualität der Forschung. Wenn unter den weltbesten Universitäten nur wenige aus Europa sind, dann hängt das auch damit zusammen. Wer keine ausländischen Professoren hat, wird international einfach nicht wahrgenommen. An den deutschen Hochschulen gibt es vier Prozent Ausländer, an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der ETH, sind es 60 Prozent. Es ist kein Zufall, dass die ETH die erfolgreichste deutschsprachige Hochschule ist. Hinzu kommen mangelnde Perspektiven für junge Forscher in Europa. Es liegt nicht alles nur am Geld, das ist zu einfach.

Was kann der Europäische Forschungsrat da machen?

Der Forschungsrat ist paneuropäisch, er muss keine Rücksicht auf einzelne Mitgliedsstaaten nehmen. Unsere Gutachter kommen aus ganz Europa und der ganzen Welt. Mit dem Fördern von jungen Forschern wollen wir beginnen. Es geht um Wissenschaftler zwischen zwei und neun Jahren nach der Promotion. Wir wollen die frühe Selbstständigkeit hochtalentierter Köpfe unterstützen.

Der Europäische Forschungsrat soll nur nach Qualität entscheiden. Aber wie unabhängig kann er wirklich sein? Werden die EU-Mitglieder nicht Proporzansprüche erheben?

Bisher gibt es dafür keine Anzeichen, allerdings fallen die ersten Förderentscheidungen auch erst im Herbst. Aber die Europäische Kommission will unsere Autonomie schützen und hat sich zu unserem Schutzpatron erklärt. Schließlich sollte man nicht vergessen, dass nur 15 Prozent der EU-Fördermittel für die Wissenschaft über den Forschungsrat nach rein wissenschaftlichen Kriterien vergeben werden. Bei den restlichen 85 Prozent kommt es nicht nur auf Qualität an, sondern es kommen andere Maßstäbe wie die Regionalförderung hinzu.

Als Generalsekretär müssen Sie sich die fünfjährige Amtszeit mit einem spanischen Kollegen teilen, der im Juli 2009 auf Ihrem Stuhl Platz nimmt. Ist das nicht schon ein Kompromiss, wie er typisch für die EU ist?

Ich bin für die Aufbauarbeit geholt worden, und die ist Mitte 2009 abgeschlossen. Dann sind die Weichen gestellt.

Welche Förderinstrumente wird der Forschungsrat neben der Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern anwenden?

Wir wollen Wissenschaftlern helfen, die in späteren Phasen ihrer Karriere sind. Sie werden mit relativ großen Beträgen unterstützt, damit sie in Ruhe arbeiten können und nicht ständig Förderanträge schreiben müssen.

Gibt es einen Bonus für Antragsteller, die bei der deutschen Exzellenzinitiative gut abgeschnitten haben?

Es gibt überhaupt keinen Bonus oder Malus, hier geht es nur um gute Wissenschaft. Es gibt keine politischen oder sonstigen Rücksichtnahmen.

Wie werden die Mittel verteilt, werden zum Beispiel die Geisteswissenschaften ausreichend gefördert?

Eigentlich haben wir keinen Verteilungsschlüssel. Aber intern haben wir festgelegt, dass 15 Prozent der Mittel in die Geistes- und Sozialwissenschaften fließen, 45 Prozent in die Natur- und Ingenieurwissenschaften und 40 Prozent in die Lebenswissenschaften und die Medizin. Das sind Mittelwerte aus Förderorganisationen. Der Wert für die Geisteswissenschaften schwankt zwischen zehn und 20 Prozent, da haben wir uns für 15 entschieden. Doch wir sind flexibel. Wenn viele und gute Anträge eingehen, werden es mehr werden.

Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ist in Deutschland stark eingeschränkt, in Großbritannien weitgehend freigegeben. Wie entscheiden Sie?

Wir richten uns nach den Gesetzen der Mitgliedsstaaten. Wer in Deutschland arbeiten will, muss deutsches Recht einhalten. Das gilt übrigens auch für die Gehälter. Entscheidend ist das Gastland.

Wie hoch wird der Anteil der Anträge sein, die durchkommen und bewilligt werden?

Da nehme ich noch Wetten an! Es ist ein zweistufiges Verfahren. Für die Nachwuchsförderung können die Anträge elektronisch vom 18. März an eingereicht werden, die Frist endet am 25. April. Das ganze Verfahren ist sehr unbürokratisch und benutzerfreundlich. 20 Gutachtergruppen treffen eine Vorauswahl, und dann werden etwa 500 Antragsteller aufgefordert, sich für die zweite Runde etwas ausführlicher zu bewerben. Jeder wird gehört werden. Im November fällt die endgültige Entscheidung.

Welche Rolle spielen die Forschungseinrichtungen, in denen die Antragsteller arbeiten oder arbeiten wollen?

Zunächst: die Nationalität der Bewerber spielt keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass in Europa geforscht wird. Das ist die einzige Bedingung. Es kann sich also ein Chinese bewerben, der nach Deutschland will. Oder ein Deutscher, der in den USA forscht und nach Großbritannien möchte. Auf die Institute und Hochschulen, an denen diese handverlesenen Leute arbeiten wollen, kommt einiges zu. Sie müssen ein gutes akademisches Umfeld bieten, also Doktoranden bereitstellen, unabhängiges Publizieren ermöglichen und ein anständiges Gehalt zahlen. Geschieht das nicht, dann sind die jungen Leute bald weg, vielleicht in die USA. Die europäischen Institutionen müssten sich schon jetzt fragen: Wem kann ich ein Angebot machen, wen wollen wir holen?

Werden Sie überprüfen, ob die Fördermittel auch richtig verwendet werden?

Natürlich, dazu sind wir verpflichtet.

Was halten Sie vom geplanten European Institute of Technology, das ein Pendant zu US-Spitzenhochschulen wie dem Massachusetts Institute of Technology, dem MIT, werden soll?

Ich war sehr kritisch gegenüber den allerersten Vorschlägen. Man wollte dieses „EIT“ auf der grünen Wiese errichten. Dabei haben wir in Europa sehr gute technische Hochschulen. Jetzt kursieren abgespeckte Varianten für ein EIT. Eine sieht vor, ein europäisches Netzwerk von Projekten, Instituten und Zentren zu schaffen. Ein gutes Vorbild wäre das Howard Hughes Medical Institute in den USA, das Spitzenforscher an Hochschulen fördert. Wenn das EIT in diese Richtung geht, kann man es akzeptieren.

Was sind zentrale Aufgaben für die europäische Forschung?

Der Forschungsrat gibt keine Inhalte vor. Aber ich glaube, dass das große Thema die komplexen Systeme sind. Nehmen Sie das menschliche Gehirn: Es ist nicht zu verstehen, wie aus 100 Milliarden Nervenzellen Bewusstsein entsteht. Nehmen Sie die Genomforschung: Das Erbgut von Mensch, Fliege und Wurm umfasst jeweils rund 20000 Gene – und doch ist das Ergebnis völlig verschieden. Nehmen Sie Klimaforschung, Artenvielfalt, Erdbebenvorhersagen, Finanzmärkte, das expandierende Universum. Immer geht es um Systeme, die aus vielen Einzelteilen bestehen, aber mehr sind als die Summe ihrer Teile und die neue Eigenschaften besitzen. Das ist eine wunderbare Zeit für Forscher! Wenn ich noch einmal 30 wäre, würde ich Neurobiologie oder Astrophysik studieren.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

Ernst-Ludwig Winnacker (65) ist Generalsekretär des neuen Europäischen Forschungsrats. Zuvor war der Biochemiker Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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