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Gesundheit: „Es wäre ein Jammer“

Günter Stock, Ex-Forschungschef bei Schering, sieht die Entwicklung in Gefahr

Im Falle einer Fusion von Merck und Schering soll die Konzernzentrale künftig in Darmstadt sein. Hat das Konsequenzen für die Berliner Wissenschaft?

Es würde den Gesundheits- und Wissenschaftsstandort Berlin deutlich schwächen. Die Stadt ist eine der wenigen Metropolen, in der die ganze Wertschöpfungskette der Lebenswissenschaften angesiedelt ist. Angefangen von der frühesten Forschung über Entwicklungsmöglichkeiten in der Charité, und andernorts bis hin zu einer Menge kleiner Biotechnik-Unternehmen – an die 300 „Startups“ sind in den letzten Jahren hier entstanden – und einem großen internationalen Pharmakonzern. Das alles könnte mit der Verlegung geschwächt werden.

Wie hat sich diese Wertschöpfungskette in der Vergangenheit ausgewirkt?

In den 90er Jahren hat Schering die Gründung des Berliner Biotechnik-Büros „Biotop“ unterstützt, und sich beim Bioregio-Wettbewerb engagiert. Dann kam die Region nur auf Platz vier, aber wir ließen uns nicht entmutigen und gemeinsam haben Politik, Wissenschaft und Industrie eine Bioregion geschaffen. Das wäre ohne die Unterstützung von Schering deutlich schlechter gelaufen.

Hat Schering Geld gegeben?

Auch, natürlich. Schering hat „Biotop“ und die Technologiestiftung Berlin unterstützt. Bei Berufungen in der Chemie und den Lebenswissenschaften hat Schering geholfen, wenn die staatlichen Zusagen an den Bewerber nicht ganz reichten, hat sich aber nicht aus primärem Eigeninteresse eingemischt, sondern wirklich alles getan, um den Standort in den Lebenswissenschaften zu stärken.

Warum droht mit der Verlegung der Zentrale eine Schwächung?

Dann wird in Berlin nur noch die zweite oder dritte Linie der Entscheidungsträger vor Ort sein. Gerade wenn es um die Unterstützung von Universitäten geht, ist das von Bedeutung. Denn so etwas ist immer eine Vorstandsentscheidung. Hinzu kommt, dass zehn Prozent der Belegschaft entlassen werden sollen, wie ich der Zeitung entnehme. Und bei Firmenfusionen werden meist auch Forschung und Entwicklung geschwächt.

Sie können sich auch vorstellen, dass Forschungskapazitäten von Schering nach Darmstadt abwandern?

Das ist durchaus denkbar. Ich hielte es aber für falsch, weil Schering in Berlin eine Forschungskapazität hat, die ihresgleichen sucht. Schering ist wissenschaftlich außerordentlich gut mit den Forschungseinrichtungen der Stadt vernetzt. Das würde schon anders werden. Nicht im ersten halben Jahr – aber mit der Zeit verlagert sich das Gravitationszentrum.

Laufen dann die Kooperationen von Schering eher mit der Uni Heidelberg oder dem Deutschen Krebsforschungszentrum?

Es ist bemerkenswert: In einer Welt der Globalisierung ist räumliche Nähe viel wichtiger, als man zugeben will, ein großer Vorteil, wenn es um Kooperationen geht. Nicht nur Qualität entscheidet.

Heidelberg rückt näher.

Es gibt auch noch Frankfurt, die haben auch ein gutes Angebot. Aber im Prinzip haben Sie Recht.

Könnte die Verlagerung der Firmenzentrale nach Darmstadt eine Rolle spielen bei Wissenschaftlern, die nach Berlin kommen wollen und die dann keinen eigenständigen industriellen Partner mehr haben?

Das ist nicht in erster Linie entscheidend. Aber die Leichtigkeit des Umgangs zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik – das ist schon etwas Besonderes in Berlin.

Auch ein Konglomerat von Schering und Merck könnte eines Tages von einem noch größeren Konzern, etwa aus Amerika, geschluckt werden. Wandert nicht über kurz oder lang die ganze Pharmaforschung in die USA aus?

Merck ist ein Familienunternehmen. Die können nicht unmittelbar durch den Kapitalmarkt gezwungen werden. Es kann aber sein, dass sie durch die wirtschaftliche Entwicklung doch unter Druck kommen. Doch es ist eine Tatsache, dass wir eine Menge an pharmazeutischer Kraft in Deutschland verloren haben. Als ich 1989 bei Schering angefangen habe, war die Firma eine der kleinen in Deutschland. Da war Schering die Nummer sieben oder acht, heute gehört das Unternehmen zu den drei großen. Amerika ist heute unter den oberen zehn der weltweit führenden Pharmafirmen überproportional vertreten. Das war in den 1980er Jahren anders, da gab es noch zwei deutsche Firmen unter den größten zehn. Ich finde das deswegen schade, weil wir in Deutschland und in Berlin speziell eine Menge Geld in den Lebenswissenschaften investieren. Wenn das anderswo industriell verwertet wird, dann geben wir kostbare Forschungsinformation außer Landes und die Wertschöpfung findet anderswo statt.

Wie kann man das ändern?

Man müsste sich schon überlegen, ob man mit die Pharmaindustrie nur als Kostentreiber im Gesundheitswesen ansieht oder nicht auch unter unser industriepolitischen Gesichtspunkten. Pharmafirmen sind exzellente Arbeitgeber. Es gibt keinen Beruf, der in dieser Industrie nicht gebraucht wird, von ganz einfach bis hoch qualifiziert. Und sie hat Zukunftschancen. Gesundheit bleibt ein großes Thema.

Sie sind Akademiepräsident. Hätte eine Firmenfusion auch für die Akademie der Wissenschaften Konsequenzen?

Direkt nicht. Aber natürlich betrifft sie die ganze Region und damit auch die Akademie. Ende des 19. Jahrhunderts hat Schering gemeinsam mit Siemens und anderen Berliner Unternehmen Industriegeschichte geschrieben. Jetzt, wo wir wieder am Beginn einer industriellen Revolution stehen, nämlich in der Gesundheitswirtschaft, sind Schering und Berlin wieder dabei. Es wäre ein Jammer, wenn das verloren gehen würde.

War Ihr Engagement für den Biotechnik-Standort Berlin umsonst?

Nein, es waren hervorragende Jahre, und am Ende wird sich Qualität durchsetzen.

Sie haben noch Hoffnung?

Eine Fusion hat für Schering strategisch wenig Sinn. Ich wüsste nicht, wo Merck Schering helfen könnte.

Entscheiden werden die Aktionäre.

Es gibt auch Aktionäre, die nicht nur den Kapitalmarkt als oberste Größe betrachten. Wer langfristig denkt, wird ein großes Interesse daran haben, dass Schering Schering bleibt.

Verkaufen Sie Ihre Schering-Aktien?

Natürlich nicht.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

GÜNTER STOCK (62), seit Anfang des Jahres Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, war von 1989 bis Ende 2005 Forschungschef von Schering.

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