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Gesundheit: Falscher Alarm im Darm

Ärzte suchen nach neuen Behandlungsverfahren gegen die Immunstörungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Darüber spricht man nicht gern. Wer mag schon erzählen, dass er unter schleimigem, bisweilen auch blutigem Durchfall leidet? Der ständige Gang zur Toilette ist peinlich genug. Tatsächlich kann aber ein ernsthaftes Leiden dahinter stecken: Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind wenig bekannt. Nur 300 000 Menschen leiden in Deutschland darunter.

Für die Betroffenen ist das kein Trost. Im Gegenteil: Die seltenen Darmleiden geben den Medizinern bis heute viele Rätsel auf. So wissen die Ärzte nicht, wogegen sie kämpfen sollen: „Die Darmerkrankungen sind derzeit nicht heilbar“, sagt Martin Zeitz, Direktor der Klinik für Gastroenterologie am Berliner Universitätsklinikum Benjamin Franklin. „Wir können nur die Symptome lindern.“

Das ist wichtig genug. Denn die Beschwerden begleiten die Betroffenen ein Leben lang. Und sie sind unberechenbar. Ein Patient kann monate-, manchmal jahrelang frei von Durchfall und starken Bauchschmerzen sein. Im Schnitt kommt es aber alle acht bis zwölf Monate zu einem akuten Schub. Das Leiden kann dann Wochen andauern, ans Bett – und an die Toilette – fesseln. Die geschwächten Patienten können nicht arbeiten und isolieren sich meist von Freunden und Bekannten.

Die Krankheiten treten schon früh auf, meist im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Medikamente können die Entzündungen in der Darmwand hemmen und so die Schübe mindern oder ihr Auftreten herausschieben. Doch das zumeist eingesetzte Kortison hat viele und sehr starke Nebenwirkungen – von einem aufgequollenen Gesicht über Depressionen bis hin zu Osteoporose. Bei drei von fünf Patienten ist es zudem wirkungslos. Geschwülste machen eine Operation dann fast immer notwendig.

Um die Krankheit zu erkunden, nimmt jetzt am Uniklinikum Benjamin Franklin ein neuer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderter Sonderforschungsbereich seine Arbeit auf. Einen Startpunkt haben die Wissenschaftler immerhin: „Vermutlich ist bei den Erkrankungen die Immunantwort des Darms aus dem Gleichgewicht geraten“, sagt Zeitz, der das Projekt leitet, an dem mehrere Berliner Institute beteiligt sind.

Zwei Drittel unserer Immunzellen befinden sich im Darm. Das ist kein Wunder: Denn der Darm ist quasi eine eingestülpte Körperoberfläche. Die Zotten daran vervielfältigen die Oberfläche: Mit 400 Quadratmetern ist sie 200mal so groß wie die der Haut. Im Darm leben Billionen von Bakterien. Das Immunsystem erkennt die schädlichen Krankheitserreger darunter und zerstört sie. Die wichtigsten Abwehrzellen sind dabei die T-Zellen.

Die Bakterien im Darm gehören zu gut 600 verschiedenen Arten. Die Hälfte davon ist noch unbekannt. Klar ist jedoch, dass es neben den schädlichen auch viele Bakterien gibt, die für uns lebensnotwenig sind. Sie gehören zur natürlichen Darmflora und werden nicht attackiert. Das Immunsystem des Darms hat ihnen gegenüber eine Toleranz entwickelt. Überdies werden sie wohl auch durch bestimmte T-Zellen geschützt. „Diese Toleranz ist bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa offenbar gestört", sagt Zeitz.

Damit zählen die Darmleiden zu den Autoimmunkrankheiten: Das Immunsystem des Körpers richtet sich gegen sich selbst. Die Berliner Wissenschaftler wollen das nun am Mausmodell untersuchen – und in Zukunft für eine Therapie nutzen. Die Vision: Die natürliche, tolerierende Immunantwort soll wieder hergestellt werden. Die Hoffnungen sind groß. So will man die Erkenntnisse auch für die Behandlung anderer autoimmuner Krankheiten wie Rheuma verwenden. Die Forschung ist aber erst am Anfang.

Die These von der Fehlregulation der Immunantwort wird auch von der Genetik gestützt. Die Mediziner gehen heute davon aus, dass die Krankheiten erblich sind. Denn Geschwister von Betroffenen haben ein bis zu 30-fach erhöhtes Risiko, auch zu erkranken. Forscher haben bei Morbus Crohn schon ein Gen identifiziert.

Tatsächlich ist das Gen NOD2 auf Chromosom 16 an der Immunantwort auf Bakterien im Darm beteiligt. Vermutlich verursachen aber mehrere Gene die Krankheiten – im Zusammenspiel mit der Umwelt, etwa mit bislang unbekannten Bakterien. Die Ernährung hingegen kommt als Ursache nicht in Betracht, das haben Untersuchungen mittlerweile gezeigt.

Bei Morbus Crohn sind Entzündungen im gesamten Magen-Darm-Trakt möglich, meist ist der Dünndarm betroffen. Bei Colitis ulcerosa ist dagegen nur der Dickdarm angegriffen. Damit nicht genug: Die Krankheiten können sich im Körper ausbreiten – mit schmerzhaften Folgen. Typisch sind Fisteln, kleine röhrenförmige Gänge, die vom Darm in Gewebe, Organe oder sogar bis zur Haut ziehen. Der Kot gelangt so mitunter in die Bauchdecke, es entstehen Eiterhöhlen und hässliche Öffnungen zur Haut.

Bei der Colitis ulcerosa kann es zu einem Darmverschluss kommen. Der Dickdarm muss dann ganz entfernt werden. Aus dem Dünndarm wird ein Reservoir angelegt und mit dem After verbunden. Die Ironie dabei: Die Krankheit ist dadurch geheilt. Anders bei Morbus Crohn. Nur die Komplikationen können beseitigt werden. Bei 80 Prozent der Patienten wird nach zehn Jahren mindestens eine Operation notwendig.

Besonders bedrohlich ist ein weiteres Szenario: Vor allem bei Colitis ulcerosa ist das Risiko für Dickdarmkrebs erhöht. Nach zwanzig Jahren Krankheit steigt es um acht, nach 30 Jahren um 18 Prozent. „Je weniger der Darm entzündet ist, desto geringer ist allerdings das Krebsrisiko“, sagt Zeitz. Umso wichtiger sind neue Ansätze in der Therapie.

Elke Binder

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