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Gesundheit: Fragen helfen gegen Vorurteile eher als Meinungen

Ist der jüdische Dialog ein Modell für antirassistische Arbeit? Hilft es weiter, Vorurteile gegen Fremde argumentativ auseinander zu nehmen?

Ist der jüdische Dialog ein Modell für antirassistische Arbeit? Hilft es weiter, Vorurteile gegen Fremde argumentativ auseinander zu nehmen? Diese Fragen wurden im Rahmen eines Psychologiekongresses an der Freien Universität debattiert.

So viele Fragezeichen wie möglich zu setzen, kann sehr produktiv sein. Besonders beim Thema Rassismus und Antisemitismus. Im Rahmen des "Kongresses für Klinische Psychologie und Psychotherapie" in der Freien Universität war das jetzt zu erleben. Die an zwei Vormittagen am häufigsten formulierte Satzform waren Fragen: Die Teilnehmer eines Themenblocks zur multikulturellen Gesellschaft demonstrierten gelungen, dass man mit Infragestellungen besser gegen Rassismus ankommt als mit ideologischen Gegenbehauptungen.

Diplompsychologin Santina Battaglia von der Fachhochschule Erfurt versuchte mit ihrer Studie über bikulturell aufgewachsene Menschen "das Denken in Nationalitäten" in Frage zu stellen. Menschen mit einem ausländischen und einem deutschen Elternteil, so Battaglia, würden ständig auf ihren Namen, ihre Herkunft, ihr Aussehen, ihre vermutete Zweisprachigkeit angesprochen. So die von ihr ausführlich interviewte Studentin "Anna". Annas Mutter ist Deutsche, ihr Vater Sarde, sie selbst besitzt beide Staatsbürgerschaften. In ihrer Schulzeit hatte sie das Gefühl, "aufzufallen", "herauszustechen" und deswegen auch "einsam" zu sein.

Anna, die in Deutschland aufwuchs und nicht einmal italienisch sprach, wurde durch die Zuschreibungen der Gesellschaft zur Andersartigen gemacht. Das ging so lange, bis sie sich selbst geradezu übereifrig bemühte, dem Klischee der Bikulturalität gerecht zu werden. Ihr Vater hatte ihr nie Italienisch beigebracht, also besuchte sie als Erwachsene einen Sprachkurs nach dem anderen, um diesen vermeintlichen Mangel auszugleichen. "Sie bedient mit ihren Anstrengungen den Mythos der Bikulturalität und wird darunter unsichtbar", kommentierte Battaglia diese Entwicklung kritisch. Allerdings habe Anna letztlich gar keine freie Wahl. "Ob sich sich verweigert oder sich bikulturell gibt" - beide Strategien seien nur Reaktionen auf die herrschenden nationalen Kategorien.

Moderator Paul Mecheril reagierte darauf mit dem Hinweis, Annas sei der typische Fall einer "Verstrickung in eine Dominanzkultur", aus der man sich nur durch kollektives Fragezeichensetzen befreien könne."

Das höchste Lob des Fragezeichens stimmte indes Leah Czollek an, Lehrbeauftragte der Alice-Salomon-Fachhochschule. Czollek stellte die These auf, der jüdische Umgang mit der Schrift sei "das Modell der Dekonstruktion schlechthin". Wenn zwei Rabbiner die selbe Textstelle der Thora gegensätzlich interpretierten, blieben beide Ansichten gleichwertig nebeneinander bestehen: "Es gibt keine Synthese der Widersprüche und keine letzte Instanz der Wahrheit. Mit dieser Methode wird das dualistische Denken verlassen."

Sie selbst wende diese Form von "entideologisierendem" Dialog als Methode an, wenn sie als Mitarbeiterin der in Brandenburg präventiv gegen Rechtsextremismus tätigen "Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen" auf selbstgerechte Lehrer und vernagelte Schüler treffe. "Hier hilft es nicht zu polarisieren, auch wenn ich deren Einstellungen verheerend finde". Statt Einstellung gegen Einstellung zu setzen, versuche sie zuzuhören und Fragen zu stellen, ohne jedoch irgendetwas zu entschuldigen.

Auch die Münchner Psychologin Anja Weiß riet in ihrem Vortrag dazu, beim Kampf gegen Vorurteile mehr "beziehungspraktisch" als ideologisch zu arbeiten. Rassismus speise sich weniger aus individuell falschen Ansichten als vielmehr aus gesellschaftlichen Strukturen: Ein Schulsystem, in dem nur deutsch gesprochen werde, diskriminiere bereits ausländische Schüler, senke deren Notendurchschnitt und mache diese zu gesellschaftlichen "Problemfällen".

Anekdotisch illustrierte Anja Weiß ihr Ansinnen. Freunde von ihr hätten sich nach einer Antirassismustagung latent diskriminierend über Asylsuchende geäußert. Statt nun einen pädagogischen Aufklärungslehrgang zu beginnen, habe sie ihre Freunde angefahren, was sie sich gegenüber ihr erdreisteten, sie wüssten doch, welche Haltung sie vertrete. Die Reaktion sei erschrocken gewesen, aber letztlich ermutigend: Nun endlich habe ein echter nachfragender Dialog begonnen.

Ute Scheub

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