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Gesundheit: Freie Humboldt-Universität? Nein danke

Eine Fusion der Berliner Universitäten wäre schädlich für alle Beteiligten Von Dieter Lenzen

In diesen Tagen wird eine weitere deutsche Bank in fremdes Eigentum übergehen. Fast 10000 Arbeitsplätze werden vernichtet. Das Geschäftsziel der Bank wird geändert. Die Privatkunden bangen um ihre Einlagen.

Was hat das mit der Idee des Vorstandsvorsitzenden der Charité zu tun, alle Berliner Universitäten zu fusionieren, die er gestern im Tagesspiegel dargelegt hat? – Möchte Detlev Ganten Arbeitsplätze vernichten? Möchte er die Steuerung der Universitäten in fremde Hände geben? Sind also die Motive die gleichen wie in München, als die Fusionskrankheit einige Wochen grassierte, dann aber durch die Landesregierung erfolgreich bekämpft wurde: Finanzielle Engpässe kaschieren, Effektivitätsgewinne simulieren und Größenwahn ausleben. Diese Argumente gegen eine Fusion haben in München gewirkt: Man darf Traditionsuniversitäten nicht vernichten. Eine „Freie HumboldtUniversität“ schlägt sowohl den Terroropfern und Gründern der Freien Universität Berlin ins Gesicht als auch den erfolgreichen Bemühungen der Humboldt-Universität, in die Spitzengruppe aufzusteigen. An die tüchtige Technische Universität ist offenbar schon gar nicht mehr gedacht worden.

Monster-Universitäten von über 100000 Studierenden sind nicht steuerbar. Als die Freie Universität Berlin noch 65000 Studenten hatte, steckte sie in erheblichen Problemen. Fusionen erzeugen Mehrkosten, allein schon durch den hohen Abstimmungsbedarf zwischen den Teileinrichtungen. Die größte Universität der Welt, die Berlin dann hätte, wäre nicht die beste, sondern die größte. Das Personal wäre damit beschäftigt, wie im Falle der BMW-Rover-Fusion die gewaltigen Auffassungsunterschiede über den Zweck des Unternehmens zu bearbeiten. Das Ende ist allen bekannt: Rover existiert nicht mehr, um ein Haar hätte es auch BMW das Leben gekostet. Soweit zu München.

Und die Welt? Ganten gibt sich als Experte und verweist neben London und Paris – nicht auf Tokio mit seinen 360 Universitäten, sondern ausgerechnet auf Kalifornien und das so genannte University of California System. Die beste Universität Kaliforniens ist die Stanford University, sie hat im vergangenen Jahr allein drei Milliarden Dollar durch das Patent der Google-Erfinder eingenommen, an dem sie partizipiert. Stanford gehört aber nicht zum kalifornischen System, sondern zehn andere Universitäten, die über mehrere tausend Kilometer in einem Staat verteilt sind, der mit über 30 Millionen Einwohnern zehnmal so groß ist wie Berlin. Eine Vergleichbarkeit ist also nicht gegeben. Die Folgen kann man allerdings schon vergleichen: Das System ist ökonomisch ins Trudeln geraten. Großunternehmen wie Hewlett Packard haben die Zusammenarbeit eingestellt, weil sie ineffektiv war.

Ganten führt außerdem an, dass in Berlin eine Diskrepanz zwischen innovativen Konzepten und ihrer politischen Umsetzung herrsche. Das mag wahr sein. Aber es ist nicht die Aufgabe von Universitäten, sich an die Stelle der gewählten Volksvertreter zu setzen. Auch das Argument, man könne Forschungseinrichtungen wie die der Leibniz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Institute eingemeinden, verkennt die Verfassungsgrundlagen unserer Republik: Das Land Berlin kann sich nicht der Einrichtungen bemächtigen, die dem Bund gehören.

Und dann zieht Ganten den Joker: Die Zusammenlegung der Berliner medizinischen Fakultäten unter dem Dach der Charité-Universitätsmedizin Berlin sei bereits der gelungene Neuanfang. Der Optimismus des Autors mag 2003, als er diesen Text zum ersten Mal schrieb, ein Jahr vor der Übernahme der Verantwortung für die Charité, berechtigt gewesen sein. Heute sind viele der befürchteten Fusionsfolgen bereits eingetreten: Im Jahre 2004 ist der Fehlbetrag der Charité von 20,1 auf 67,5 Millionen Euro gestiegen. Der Personalabbau blieb hinter den Zielwerten zurück. Die Einrichtung eines gemeinsamen EDV-Systems verursachte einen Investitionsbedarf in Millionenhöhe. Zur Sanierung des Haushalts wurden 40 Millionen aus Tarifergebnissen eingesetzt, die mit den Gewerkschaften noch nicht verhandelt waren. Personen aus der mittleren Leitungsebene werden außertarifliche Verträge angeboten und die Beschäftigung eines ehemaligen Majors der Staatssicherheit in Führungsfunktion wird u. a. damit begründet, dass ein besonderer Bedarf an Rigidität bestehe.

Einen solchen Bedarf haben die Berliner Universitäten nicht. Was die Berliner Universitäten benötigen, ist Autonomie, damit sie ihre Verpflichtungen verantwortungsvoll wahrnehmen können, Planungssicherheit und das Vertrauen der Berliner in ihre Spitzenwissenschaft, wie es sich zuletzt in ihrem Rekord-Zuspruch in der Langen Nacht der Wissenschaften ausgedrückt hat. Was die Berliner Universitäten nicht benötigen, sind Ratschläge zu Entwicklungen, die anderswo gescheitert sind und die ihre Mitglieder in ein neues Planungschaos stürzen und sie schließlich davon abhalten, das zu tun, wofür sie da sind: unsere Lebensbedingungen zu verbessern.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität und Sprecher der Konferenz der Berliner Universitäten (KBU).

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