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Gesundheit: Freiheit

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

„O Freiheit, Silberton dem Ohre, Licht dem Verstand, und hoher Flug zu denken!“. An diese Zeile aus Briefen Montesquieus konnte man in den letzten Wochen denken, wenn man sich in das Hauptgebäude der Humboldt-Universität begab. Denn der leidenschaftliche Hinweis auf die Bedeutung von Freiheit für Universität und Gesellschaft prägt ja nicht nur die Tradition der Berliner Universität – Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz nennt sie 1877 das spezifische Kennzeichen deutscher Universitäten, das diese Einrichtungen von den wesentlich stärker verschulten ausländischen unterscheidet, und unter dem nämlichen Stichwort Freiheit verließen 1948 viele Professoren und Studierende die Universität in der Stadtmitte, um in Dahlem eine Freie Universität zu gründen.

Nein, von der Freiheit war in den letzten Wochen an der Humboldt-Universität stets mit unmittelbarer Gegenwartsrelevanz die Rede. Die Ehrenpromotion von Marcel Reich-Ranicki an derjenigen Universität, die ihn einst als Juden nicht zum Studium zuließ, machte deutlich, dass zunächst einmal ganz schlicht das freie Wort für eine Universität und Gesellschaft essentiell ist: Wenn Studierende nicht mehr dazu erzogen werden, ihre abweichenden Meinungen frei und offen zu äußern, wenn potentielle kritische Geister gleich gar nicht zugelassen werden, dann decken laute Misstöne den Silberton zu. Und Heinrich August Winkler hat in seiner Abschiedsvorlesung noch einmal deutlich gemacht, wie lange es in Europa und insbesondere hierzulande brauchte, bevor man sich nachhaltig und glaubwürdig zur Freiheit bekannte, die Winkler als zentrales Element der westlichen Wertegemeinschaft vorstellte.

Mit der Gegenwart der deutschen Universität hat das alles mehr zu tun, als auf den ersten Blick scheint. Da wurden Bachelor- und Masterordnungen konstruiert, die nicht nur die studentische Freiheit der Wahl von Lehrveranstaltungen über Gebühr einschränken, sondern den Wechsel an andere Universitäten im In- und Ausland nahezu verunmöglichen – und das in Zeiten längst selbstverständlicher Internationalisierung. Da ist aber auch die Freiheit der Lehrenden weit über das Notwendige hinaus beschnitten worden; viel zu viel Zeit verbringt ein deutscher Professor in Gremien, bei dem Abfassen von Anträgen auf Drittmittel und bei der Abhaltung von einmal im Rahmen von Prüfungs- und Studienordnungen normierten Lehrveranstaltungen. Wenn in den Universitäten also dann und wann sehr emphatisch von Freiheit gesprochen wird, dann ist das keine rührselige Rückschau auf die Vergangenheit und auch kein abstraktes Beschwören von hehren Idealen, sondern ein unmittelbar gegenwartsrelevanter Hinweis auf die bedrohte akademische Freiheit.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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