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Für alle Spender: Virchow-Klinkum setzt ein Denkmal der Dankbarkeit

In Deutschland warten zur Zeit rund 12 000 schwer kranke Patienten auf ein neues Organ. Aber es gibt zu wenig Spender. Ein an der Charité angesiedelter Verein will das Thema öffentlich machen – mit einer großen Skulptur im Virchow-Klinikum.

Niemand wartet gern, auch Gudrun Ziegler nicht. Die Pensionärin aus Zehlendorf sitzt auf einer Holzbank im Treppenhaus des Deutschen Herzzentrums. „Da sind Sie ja“, sagt sie, als der Journalist mit einigen Minuten Verspätung ankommt. Er hat Gewissenbisse. Das Gespräch, das er gleich führen will, handelt ja genau davon: Wie schlimm es sein kann, warten zu müssen. Und dass manche Patienten zu lange warten. Sie sterben, bevor ihnen geholfen werden kann. Es sind Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind.

Vor einigen Jahren gehörte Gudrun Ziegler zu diesen Patienten. Als Bewährungshelferin im Strafvollzug hatte sie viel Kontakt mit Drogenabhängigen. Bei einem Dienstunfall steckte sie sich mit einer seltenen Form von Hepatitis an, das war 1974. Eine Behandlung gab es damals noch nicht, das Virus war unbekannt. Erst in den neunziger Jahren wurde es identifiziert und erhielt den Namen Hepatitis C. Gudrun Ziegler konnte dennoch jahrzehntelang ihrer Arbeit nachgehen. 2001 verschlechterte sich der Zustand ihrer Leber aber so massiv, dass eine Transplantation nötig wurde. Sie wartete ein Jahr. 2003 bekam sie am Virchow-Klinikum ein neues Organ.

Damit hat sie Glück gehabt. Zur Zeit warten in Deutschland 12 000 schwer kranke Patienten auf ein Spenderorgan: Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse oder Dünndarm. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden 2010 mit 5083 nicht einmal halb so viele Transplantationen durchgeführt: Es stehen zu wenig Organe zur Verfügung. Täglich sterben im Schnitt drei Patienten der Warteliste, also rund 1000 im Jahr. „Wenn sie an Schweinegrippe sterben würden, gäbe es einen riesigen Aufstand“, meint Gudrun Ziegler.

Das Thema Organspende findet nicht viel Aufmerksamkeit. 2007 hat Ziegler deshalb mit anderen Patienten und Ärzten das „Forum Organtransplantation“ ins Leben gerufen, ein Verein, der den eklatanten Mangel an Spenderorganen in der Öffentlichkeit bekannter machen möchte. Er hat zur Zeit 46 Mitglieder, darunter Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, und Roland Hetzer, Leiter des Herzzentrums. „Wir haben ein Problem“, sagt Hetzer in seinem Büro. 1995 seien in Deutschland noch 600 Herzen transplantiert worden, 2009 waren es nur noch 350, also fast eine Halbierung. Bei anderen Organen sehe es ähnlich aus.

Während er spricht, steht auf dem Tisch vor ihm das Modell einer hochaufragenden, gläsernen Pyramide. Sie ist das wichtigstes Projekt des Vereins: Eine Skulptur, die denen danken soll, die ihre Organe zur Verfügung gestellt haben und zugleich für die Wichtigkeit der Organspende wirbt. Geplant ist, sie im grünen Innenhof des Virchow-Klinikums aufzustellen. Die Berliner Künstlerin Hella Santarossa, von der unter anderem auch der blaue Obelisk auf dem Theodor-Heuss-Platz stammt, hat sie entworfen. Sie ist begehbar, im Inneren sollen persönliche Erinnerungen von Organempfängern eingearbeitet werden, Gegenstände, die für sie wichtig waren: Ein Denkmal der Dankbarkeit, das ständig wächst. Das aber im Moment noch pure Vision ist. Denn die erforderlichen Mittel, rund 150 000 Euro, können, um beim Thema zu bleiben, nur von Spendern kommen; öffentliche Gelder gibt es nicht. 10 000 Euro hat der Verein bis jetzt zusammen. Der Weg ist also noch lang.

Warum sinkt die Bereitschaft, die eigenen Organe nach dem Tod oder auch zu Lebzeiten – bei der Niere ist das möglich, wie das Beispiel Frank-Walter Steinmeiers jüngst zeigte – zur Verfügung zu stellen?  Für Roland Hetzer gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen, eine davon ist die in Deutschland geltende erweiterte Zustimmungslösung: Ein Verstorbener muss der Organentnahme zugestimmt haben, andernfalls entscheiden die Angehörigen. Die aber haben im Todesfall häufig den Kopf dafür nicht frei. In Ländern, wo stattdessen die Widerspruchslösung gilt – der Verstorbene muss der Entnahme explizit widersprochen haben – ist die Transplantationsrate höher. „Eine humane Regelung“, sagt Hetzer, „weil sie den Angehörigen eine schwere Entscheidung abnimmt.“ Trotzdem war die Einführung des Transplantationsgesetzes durch den Bundestag 1997 ein Meilenstein, weil sie erstmals die Organspende an sich befürwortete. „Dem gingen jahrelange Diskussionen voraus. Den Parlamentariern graust es davor, dieses Fass wieder aufzumachen“, sagt Hetzer.

Ein weiteres Problem: Die mangelnde Kooperationsbereitschaft vieler Krankenhäuser. Denn es ist aufwendig, den Hirntod eines Organspenders festzustellen. Deshalb fordert Hetzer für jedes Haus einen Transplantationsbeauftragten. Für Gudrun Ziegler ist das Hauptproblem aber das Schweigen in den Familien: „Man redet nicht darüber. Jeder denkt, er sei nicht betroffen.“ Tritt der Fall dann ein, sind die Angehörigen häufig überfordert. Dieses Schweigen will der Verein beenden – auch mit Besuchen in Schulen: Die Mitglieder haben schon fächerübergreifend Unterrichtsstunden gestaltet.

Eine simple Maßnahme, die jeder sofort vornehmen kann, ist, einen Organspendeausweis bei sich tragen und damit der Organentnahme  – etwa nach einem Unfall – zustimmen. Das tun in Deutschland nur 14 Prozent. Dabei ist es einfach: Der Ausweis ist in Apotheken oder im Internet erhältlich, auch ein handgeschriebener Zettel reicht aus.

Der französische Dichter Molière hätte das wohl gemacht. Die Webseite des Vereins zitiert ihn jedenfalls mit den Worten: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“

Website mit Spendenkonto: www.forum-organtransplantation.de

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