zum Hauptinhalt

Gesundheit: Gab es den Heiland etwa zweimal?

Das Grab Jesu: Forscher spotten über den vermeintlichen Sensationsfund, den Hollywood-Regisseur James Cameron gemacht haben will

„Das ist schon eine drollige Geschichte“, sagt Ulrich Hübner: „Alle paar Jahrzehnte findet man ein neues Grab von Jesus.“ Was den Spott des Direktors des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Universität Kiel auslöst, wurde in der letzten Woche in einer weltumspannenden Medienkampagne hochgekocht und ist am Sonntag zunächst in den USA zu sehen: In einem 90-minütigen Dokumentarfilm wird „The Lost Tomb of Jesus“ präsentiert. Deutsche Zuschauer müssen sich bis Karfreitag gedulden, dann wird der Privatsender ProSieben den Streifen „Das Jesus-Grab“ ausstrahlen.

In der perfekt inszenierten Ankündigung des Spektakels in New York wurden zwei von zehn antiken Knochenkisten (Ossuarien) aus einer Grabhöhle im Jerusalemer Stadtbezirk Talpiyot präsentiert. In solchen Behältnissen wurden um die Zeitenwende üblicherweise die Knochen von Verstorbenen zweitbestattet, wenn es in der Familiengruft eng wurde. Sechs der Talpiyot-Ossuarien sind mit Namen beschriftet: Jeschua, Sohn des Joseph; Judah, Sohn des Jeschua; zweimal taucht „Maria“ auf, aber auch Matthäus und Jofa sind vertreten.

Die Grabhöhle, die Namen, die Steinkisten, spärliche DNS-Spuren und obskure Statistiken reichen dem Filmproduzenten Simcha Jacobovici aus, um zu suggerieren, er habe das Grab von Jesus von Nazareth, seiner Mutter Maria, seiner Ehefrau Maria Magdalena und seines Sohnes Juda gefunden. Der Koproduzent, Hollywoods Starregisseur James Cameron („Titanic“, „Terminator“), spricht von den ersten greifbaren, physischen Beweisen für die Existenz Jesu, alles sei mehrfach wissenschaftlich abgesichert.

Das wäre wirklich die Super-Mega-Sensation der letzten 2000 Jahre. Aber Zweifel sind gestattet. Die DNS-Analysen stammen vom Boden der knochenleeren Gebeinkisten und erbrachten lediglich, dass die beiden Personen in einem dieser Ossuare nicht verwandt waren. Da sie aber zusammenlagen, so Jacobovici, seien sie wohl ein Paar gewesen – ein Ehepaar, sicher Jesus und Maria Magdalena. Und dann war natürlich in der Kiste mit der Aufschrift Judah, der Sohn der beiden beigesetzt. Ob die DNS-Spuren vom angeblichen Jeschua und der zweiten Maria, die ja dann die Mutter Jesu sein müsste, identisch seien, wurde nicht mitgeteilt.

Der Filmemacher Jacobovici hat vor einigen Jahren schon mit einem anderen Knochenkasten Furore gemacht, in dem angeblich „Jakob, der Bruder von Jeschua“ beigesetzt war. Die Inschrift erwies sich als neuzeitliche Fälschung. Seine beiden wissenschaftlichen Kronzeugen, der amerikanische Religionswissenschaftler James Tabor und der israelische Archäologe Schimon Gibson, wollen vor einigen Jahren die Höhle Johannes des Täufers gefunden haben. Und Tabor behauptet in seinem letztjährigen Buch „Die Jesus-Dynastie“, der Gottessohn stamme in Wirklichkeit von einem römischen Söldner ab.

Ein kanadischer Statistiker stärkt den Filmemachern den Rücken mit der Aussage, mit einer Wahrscheinlichkeit von 600:1 sei die Höhle von Talpiyot das Familiengrab der Familie Jesu. Wie er zu diesen Zahlen kommt, sagte er auf der Pressekonferenz nicht.

Der Lehrstuhlinhaber für Neues Testament und frühchristliche Literatur der Universität Leiden, Jürgen Zangenberg, lässt denn auch kein gutes Haar an dem Jesus-Komplott der beiden Filmemacher: „Hier geht es um Geld und um Schlagzeilen. Es war klar, was herauskommen sollte, und darauf wurde alles hingebürstet.“ Auch Ulrich Hübner fordert „ein paar Argumente mehr. Sonst bleibt alles im Konjunktiv.“ Der Kieler Archäologe rückt einige Details zurecht: Die Namen Jesu (Jeschua) und Maria waren damals so gebräuchlich wie heute Klaus und Marianne. Die Datierung der Grabhöhle in Talpiyot komme jedoch „ungefähr“ hin: „Nach Grabtypus und Fundmaterial kann man dieses unterirdische Grab in die Zeit von 100 vor bis 100 nach Christus datieren.“ Gefunden wurde die Grablege bereits 1980 von dem israelischen Archäologen Gath, der einen knapp zweiseitigen Bericht darüber verfasste, ohne auf die Inschriften einzugehen.

1994 veröffentlichte der Ossuarien-Experte Rahmani einen dicken wissenschaftlichen Wälzer, in dem er über 900 Grabkisten und ihre Inschriften beschrieb, darunter auch die aus Talpiyot. „Rahmani verschwendet nicht einmal einen Satz mit Fragezeichen auf einen möglichen Zusammenhang der Namen mit der Familie Jesu“, weiß Hübner. Und ausgerechnet bei der Inschrift „Jeschua, Sohn des Joseph“ wird in Rahmanis Bestandsaufnahme ausdrücklich vermerkt, dass der erste Name nicht einwandfrei als „Jeschua“ gelesen werden kann. Ein zweiter Knochenkasten mit der Inschrift „Jeschua, Sohn des Joseph“ steht übrigens im Rockefeller-Museum in Jerusalem – gab es den Heiland zweimal? Hübner ärgert sich über die „immer wiederkehrende Unsitte, aus Namensgleichheit auf historische Identität“ zu schließen.

Er sieht auch eher einen wissenschaftlichen Konsens für die christliche Überlieferung, nach der Jesus unter der Grabeskirche in Jerusalem beigesetzt ist. „Dafür gibt es durchaus ein paar vernünftige Anhaltspunkte aus dem Neuen Testament und der Baugeschichte Jerusalems.“ Dagegen sei die „protestantische Tradition“, die das Jesus-Grab am Jerusalemer Damaskustor wähnte, schon lange wieder außer Mode.

Und die Mutmaßungen über einen verheirateten Jesus kommentiert der Bibel-Experte nur im Konjunktiv: „Die kruden Andeutungen im Neuen Testament, dass da vielleicht was mit Maria Magdalena hätte gewesen sein können, kann man auch so verstehen, dass da überhaupt nichts gewesen ist.“ Durch die letzten 100 Jahre, so der Wissenschaftler, ziehen sich immer wieder diese „manchmal etwas kuriosen, manchmal etwas verzweifelten und nur selten zutreffenden Versuche, biblische Personen zu beweisen“. Psychologen können diese kindlich anmutende Rückversicherungssucht sicher erklären.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false