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Gesundheit: Gänseblümchen erobern die Welt

Lebewesen passen sich an ihre Umwelt an, aber gestalten zugleich die ganze Erde um – zu ihrem eigenen Vorteil

Vor etwa vier Milliarden Jahren begann die Erde zu leben. Und schon mit der Verbreitung der ersten Lebewesen veränderte sich unser Planet. Zuerst gestalteten die Mikroorganismen die Meere um, dann die Atmosphäre. Und als sie einen Großteil unseres Planeten besiedelt hatten, verwandelte sich die Erde in einen einzigen großen Organismus, der sein Geschick seither selbst steuert.

So jedenfalls sieht es der britische Atmosphärenchemiker James Lovelock. Für ihn ist die Erde ein Planet, der sich selbst am Leben hält, der das Klima seit Urzeiten reguliert und damit die Grundlagen für die Entstehung komplexer Lebensformen selbst geschaffen hat. Lovelock nennt ihn „Gaia“, nach der griechischen Erdgöttin.

Die Gaia-Theorie ist die Idee eines Forschers, der schon seit langer Zeit abseits des Wissenschaftsbetriebes in einem Landhaus in Südengland lebt. Vor zehn Jahren noch war von dieser Theorie kaum einmal die Rede, und wenn doch, dann hatten Forscher nur spöttische Kommentare für den Superorganismus übrig. Gaia erschien ihnen als Hirngespinst. Und es lag weit ab der Fachgebiete. Lovelock war ein Grenzgänger. Für die US-Weltraumbehörde Nasa forschte er nach außerirdischem Leben, er erfand ein Messgerät, um die Konzentration gefährlicher Treibhausgase wie der Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu messen, und für seine Gaia-Theorie suchte er die Zusammenarbeit mit der Biologin Lynn Margulis. Bis heute ist er ein Außenseiter geblieben. Doch nun erfährt seine Gaia-Theorie immer mehr Zustimmung.

Die ersten Wolken

Das hat nicht zuletzt mit dem Bewusstsein für die weltweite Klima-Erwärmung zu tun. Der Treibhauseffekt ist ein Beispiel dafür, wie verschlungen die Stoffkreisläufe und Klimavorgänge auf unserem Planeten sind. Und Lovelock gehört zu denjenigen, die einige dieser Prozesse aufgedeckt haben. So hat er etwa herausgefunden, dass das Plankton in den Weltmeeren Dimetyhlsulfide bildet, die wiederum an der Entstehung der Wolken mitwirken.

Sein Gaia-Modell umschließt aber die gesamte Erde und ihre außergewöhnliche Geschichte. In den vergangenen vier Milliarden Jahren ist die Sonne immer heißer geworden. Sie hat sich zu einem zunehmend hellen Stern aufgeplustert, und dementsprechend müssten die Temperaturen auf der Erde seither um etwa 20 Grad, vielleicht sogar noch stärker gestiegen sein.

Doch die Erdtemperatur ist in dieser Zeit – von kurzzeitigen, starken Schwankungen abgesehen – weitgehend gleich geblieben. Lovelock schreibt dies Selbstregulierungsmechanismen zu, für die er in den 80er Jahren ein einfaches Computermodell entwickelte, „Daisyworld“. Auf dem fiktiven Planeten wachsen nur weiße und schwarze Gänseblümchen. Beiden Arten geht es bei 20 Grad am besten und sie sterben ab, wenn es heißer als 40 oder kälter als fünf Grad wird.

Die Sonneneinstrahlung auf dem Planeten nimmt nun kontinuierlich zu. Die weißen Gänseblümchen reflektieren die Wärme und kühlen ihre Umgebung. Die schwarzen Pflänzchen dagegen nehmen das Sonnenlicht begierig auf und wärmen damit ihr näheres Umfeld, was ihr eigenes Wachstum und ihre Verbreitung fördert. Solange die Sonne noch nicht so kräftig scheint, haben die schwarzen Gänseblümchen daher einen Vorteil gegenüber den weißen. Letztere kommen erst dann besser zum Zuge, wenn die Sonneneinstrahlung weiter zunimmt.

Das Erstaunliche an dem Modell ist, dass die Temperatur auf „Daisyworld“ wegen der Wärmewirkung der schwarzen Gänseblümchen schnell die optimalen 20 Grad erreicht – obwohl die Sonnenstrahlung auf über 40 Grad steigt. Die wärmende und kühlende Wirkung der Pflanzen sorgt dafür, dass sich diese Temperatur nicht mehr groß ändert. Die fiktiven Gänseblümchen illustrieren die Fähigkeit der Lebewesen, sich nicht nur an äußere Gegebenheiten anpassen, sondern diese mitunter selbst steuern zu können. Die Gänseblümchen handeln nicht vorausschauend, sondern die Temperaturregulierung ist das alleinige Ergebnis der natürlichen Selektion. Aber Auslese heißt nicht nur, dass die Lebewesen sich an die Umwelt anpassen, sondern diese auch, umgekehrt, gestalten.

„Daisyworld“ ist auch ein Modell für die Entwicklung unseres Planeten. In der frühen Erdatmosphäre sorgte nicht nur der hohe Gehalt an Kohlendioxid für eine starke Erwärmung, sondern wohl auch das viel wirksamere Treibhausgas Methan. Das lässt sich aus zwei Studien schließen, die internationale Forschergruppen soeben im Fachmagazin „Science“ (Band 298, Seiten 2369 und 2372) veröffentlicht haben. Mikroorganismen produzierten demnach genug Methan, um die Erde damit zusätzlich aufzuheizen.

„In der heutigen Atmosphäre ist Methan nur in Spuren vorhanden“, sagt Uwe Wiechert von der ETH Zürich. Aber in der Erdfrühzeit, vor 3,8 bis 2,4 Milliarden Jahren, war dies offenbar anders. „Wir wissen nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass die Lufthülle der Erdfrühzeit weniger als ein Prozent Sauerstoff enthielt.“ Die Atmosphäre war deshalb weniger oxidierend als heute. Was zur Folge hatte, dass unter anderem der Schwefelkreislauf vollständig anders ablief. Die Ozeane waren praktisch frei von Sulfaten, und in den Weltmeeren lebten daher nicht Schwefel verarbeitende Bakterien, sondern methanogene Bakterien, die Unmengen Methan produzierten.

Die Methanerzeuger waren damals nicht die einzigen Mikroorganismen auf der Erde. Auch Cyanobakterien lebten in den Ozeanen. Diese Blaualgen gewannen ihre Energie durch die Photosynthese: Mit Hilfe des Sonnenlichtes bauten sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre ab und reduzierten damit den Treibhauseffekt, kühlten also den Planeten.

Die Cyanobakterien entsprechen damit den weißen Gänseblümchen in „Daisyworld“, während sich die Methanerzeuger mit den zunächst dominanten schwarzen Gänseblümchen vergleichen lassen. Beide haben dazu beigetragen, die Temperaturen auf der Erde angenehm zu halten. Die Cyanobakterien haben der Atmosphäre bei steigender Sonneneinstrahlung immer mehr Kohlendioxid entzogen. Und die Erde hat daher im Gegensatz etwa zur brütend heißen Venus, dem planetaren Treibhaus par excellance, inzwischen einen verschwindend geringen atmosphärischen Kohlendioxid-Gehalt.

Als die Erde sich abkühlte

Die Cyanobakterien haben die Erde aber auch in anderer Hinsicht nachhaltig verändert, wie Wiechert glaubt. Denn sie erzeugten Sauerstoff. Über eine lange Zeit hinweg reagierte das in den Weltmeeren gelöste Eisen mit dem Sauerstoff und verhinderte so, dass sich Sauerstoff in der Atmosphäre anreichern konnte. Doch vor ungefähr 2,4 Milliarden Jahren war diese Aufnahmefähigkeit erschöpft, und der Sauerstoffgehalt der Luft begann zu steigen.

Eisensulfide verwitterten von nun an unter dem Einfluss der oxidierenden Atmosphäre, und große Mengen an Schwefelverbindungen wurden über die Flüsse in die Weltmeere gespült. In den Ozeanen verdrängten Schwefel verarbeitende Bakterien die Methanerzeuger, und die Produktion von Methan in den Weltmeeren kam nahezu zum Erliegen. Die Methankonzentration der Atmosphäre verringerte sich drastisch, die Erde kühlte rasant ab.

„Das Auftreten von Sauerstoff in der Atmosphäre fiel zusammen mit dem Beginn der ersten großen Eiszeit auf der Erde", sagt Wiechert. Der Selektionsdruck auf die Mikroorganismen wuchs, denn der Sauerstoff war für die meisten von ihnen tödlich. Sie starben aus, oder überlebten nur in sauerstoffarmen Nischen, verborgen in den Tiefen der Weltmeere und in der Umgebung heißer Quellen. Zur selben Zeit entstanden aber neue, angepasste Arten. Bald tauchten die ersten Atmer auf, Mikroben, die den Sauerstoff benutzten, um ihre Nahrung zu verbrennen.

Die Sauerstoff atmenden Organismen produzierten selbst Kohlendioxid und setzten damit den Stoff frei, den die Photosynthese treibenden Lebewesen ihrerseits benötigen. Damit schloss sich ein neuer Stoffkreislauf, es entstand eine neue Gemeinschaft von „Gänseblümchen“, Mikroorganismen, die die Temperatur fortan regulierten, die Zusammensetzung der Erdatmosphäre völlig umgestalteten und nach dem Aufbau eines Ozonschildes auch das Festland eroberten.

In welchen Grenzen diese Regulierungsmechanismen funktionieren, lässt sich bis heute nicht entscheiden. Denn neben der Sonneneinstrahlung und den zahllosen Lebewesen gibt es auf der Erde viele nicht biologische Prozesse, die das Klima beeinflussen, etwa vulkanische Aktivitäten und das Recycling der Gesteine.

Während die Klimaforscher den Einfluss des Lebens erst nach und nach in ihre Berechnungen einbauen, steht für Lovelock bereits fest, dass das Leben die Erde irgendwann eingenommen hat und zur alles bestimmenden Kraft geworden ist. Es steuert sein Schicksal seither weitgehend selbst. Gaia, der Superorganismus, wird ihm zufolge auch bei steigender Sonnenhitze noch lange weiterleben.

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