zum Hauptinhalt

Gesundheit: Gefährliche Einschnitte

In Berlin wird wieder einmal Schwarzer Peter gespielt. Wer den Schwarzen Peter zieht, ist draußen.

In Berlin wird wieder einmal Schwarzer Peter gespielt. Wer den Schwarzen Peter zieht, ist draußen. Diesmal geht es erneut um das leidige Thema, wie viele Universitätsklinika sich Berlin leisten kann. Die Milliardenlöcher im Haushalt geben die Vorlagen, und wieder wird nicht daran gedacht, was für die Stadt dabei herauskommt.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat zur jetzigen Diskussion erklärt, die Charité bleibe Universitätsklinikum. Das klärt aber nicht die Frage, was aus dem Standort Mitte wird. Wowereit hatte die Sparauflage von 145 Millionen Mark für die Hochschulmedizin mit dem Versprechen durchgedrückt, dass ihn eine hochrangig besetzte Expertenkommission bei der nun fälligen Neuordnung berät. Die Expertenkommission ist noch nicht zusammengetreten, aber im Sommer soll ihr Gutachten vorliegen. Wenn jetzt die Politiker dem Expertenrat vorgreifen sollten, würden sie den letzten Anstoß zu der ohnehin verbreiteten Meinung geben: Auf die Berliner Hochschulpolitik ist kein Verlass mehr. Das hätte katastrophale Folgen.

Von allen Wissenschaften gehört die Hochschulmedizin in Berlin zu den leistungsstärksten. Sie hat auch die neue Leitwissenschaft auf ihrer Seite - die Biomedizin. Aus der Zusammenarbeit von Biologie und Medizin werden immer neue Schlüsselerkenntnisse erwartet und zugleich neue wissensbasierte Arbeitsplätze. Ebenso die Krebsforschung und die Herz-Kreislauf-Forschung. Überall sind Netzwerke entstanden, die von den Universitäten ausgehen.

Seit der Wiedervereinigung hat Berlin mit der Humanmedizin in Deutschland eine Schlüsselposition errungen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die die strengsten Kriterien bei der Vergabe der Drittmittel für die Forschung anlegt, hat Berlin auf die ersten Plätze mit Heidelberg, Würzburg und München gesetzt.

Wer die Charité der Humboldt-Universität gegen das FU-Klinikum Benjamin Franklin ausspielen will, wie es erneut in der SPD geschieht, begibt sich auf eine Ebene, die wenig mit Sachfragen zu tun hat. Ein Leistungsvergleich zwischen der Charité und dem FU-Klinikum ist wie der zwischen Äpfeln und Birnen, weil die Größenordnungen ganz andere sind. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte.

Als eine Expertenkommission nach der Wiedervereinigung die Chancen für eine Neuordnung in Berlin untersuchte, ließ sie sich von folgenden Gedanken leiten: Die medizinische Forschung hat international Nachholbedarf, weil sich die deutschen Universitätsklinika in der Nachkriegszeit viel zu sehr auf die einträgliche Krankenversorgung konzentriert hatten zulasten der Forschung.

Der Wissenschaftsrat empfahl eine radikale Umkehr. Das erste Reformklinikum nach dem Modell des Wissenschaftsrats entstand in Wedding und damals noch in Regie der Freien Universität: Es erhielt ein eigenes Forschungshaus mit Superlabors und ein eigenes Lehrgebäude. In der Lehre wurde am Klinikum Rudolf Virchow auf Druck der Studenten der Reformstudiengang erfunden, der die Trennung der Grundlagenmedizin von der Klinischen Medizin aufhob.

Als die Wiedervereinigung kam, empfahl die Expertenkommission dieses Reformklinikum von der FU an die Humboldt-Universität zu verlagern. Man wollte die Chance nutzen, das führende Klinikum der DDR mit dem Rudolf-Virchow-Klinikum in Wedding zu vereinen und so erreichen, dass von Berlin aus wieder Impulse für die medizinische Forschung in Deutschland ausgehen. Das Nahziel war die Spitzenposition in Deutschland. Die ist erreicht. Am Fernziel, die Charité auch international wieder nach vorn zu bringen, wird gearbeitet.

Die Politiker sind diesen Leitgedanken 1995 in einem Gesetz zur Neuordnung der Hochschulmedizin gefolgt. Kein Wunder, dass die Verlagerung des Virchow-Klinikums an die Humboldt-Universität der gravierendste Einschnitt war, den die Freie Universität nach der Wiedervereinigung hinnehmen musste. Das ihr verbleibende Universitätsklinikum Benjamin Franklin war danach auf die FU beschränkt und dient deren Abrundung zur Volluniversität. Dafür kooperiert "Benjamin Franklin" ebenso wie die Charité mit Brandenburg, das keine eigenen Hochschulklinika besitzt. Aber auch das Klinikum Benjamin Franklin hat die Zeit nicht verschlafen. Es hat wie die Charité die Vergabe der Labors und Forschungsflächen von den Leistungen abhängig gemacht und die Drittmitteleinwerbung auf beachtliche 50 Millionen Mark im Jahr gesteigert.

Beide Universitätsklinika haben einen hohen Investitionsbedarf: Die Charité muss das Bettenhochhaus sanieren. "Benjamin Franklin" wartet auf die Runderneuerung des Kompaktbaus aus den 60er Jahren, die mit 250 Millionen Mark veranschlagt wird. Im Falle der Charité wurde sogar das Versprechen von 1995 gebrochen, den Standort Mitte innerhalb von zehn Jahren für 800 Millionen Mark zu sanieren. Wegen des jetzt fälligen Restes von 300 Millionen wird nun das Universitätsklinikum am Standort Mitte in Frage gestellt.

Uwe Schlicht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false