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Gesundheit: Gefangene Fluten

Berliner Forscher möchten Hochwasser mit kleinen Rückhaltebecken entschärfen

Vielleicht ist bald wieder so weit, wenn es im Frühjahr extrem stark regnet und große Schneemassen im Gebirge zu schmelzen beginnen. Dann könnte es sein, dass Böden, Bäche und Flüsse die Wassermassen nicht fassen können und dass Überschwemmungen drohen. Achim Schulte, Geograf an der Freien Universität Berlin (FUB), erforscht nun neue Methoden zur Vorsorge.

Der Ansatz des klassischen Hochwasserschutzes ist es, die zu Tal stürzenden Wassermassen in großen Rückhaltebecken am Oberlauf der Gebirgsflüsse „zwischenzulagern“. Beispielsweise kann das neue, etwa 37 Millionen Euro teure Rückhaltebecken in Lauenstein im Erzgebirge fünf Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen. Andernfalls würde die Flut ungebremst die Müglitz in Richtung Weesenstein hinunterschießen, sagt Eckehard Bielitz von der sächsischen Landestalsperrenverwaltung in Pirna. Weesenstein war vom Augusthochwasser des Jahres 2002 stark betroffen.

FU-Geograf Schulte will weiter oben am Fluss ansetzen und dort kein großes, sondern mehrere kleinere Rückhaltebecken bauen. Er hat sich mit der Natzschung befasst, die über die Flüsse Flöhe, Zschopau und Mulde in die Elbe mündet. Mit seinen Mitarbeitern hat er vermessen, in welchen Geländeformen die Fluten zurückzuhalten wären. Die Computeranalyse zeigte acht bis zehn Gebiete, die sich am Oberlauf der Natzschung für kleinere Rückhaltebecken eignen, um Hochwasser zu entschärfen.

In einem solchen Becken soll ein etwa vier Meter hoher Damm das Hochwasser zurückhalten. Im Vergleich zu den heute üblichen meist zwischen zehn und 25 Metern hohen Dämmen, wie sie herkömmliche Rückhaltebecken haben, stellen die Minidämme einen viel geringeren Eingriff in die Natur dar. Ein Rohr mit einem Durchmesser zwischen 80 und 120 Zentimetern lässt bei normalem Wasserstand die Natzschung ganz normal fließen. Fische und andere Organismen können dieses Rohr problemlos passieren, davon ist Schulte überzeugt. Eine spezielle Vorrichtung aus massivem Stahlgitter schützt die Rohre vor Treibgut, das sonst die Öffnung verstopfen könnte.

Bei Hochwasser passt aber nur noch ein Teil der Wassermenge durch das Rohr, der Rest staut sich hinter dem Damm. Dabei wird nach Ansicht der Berliner Forscher jedoch kein allzu großer Schaden angerichtet, weil meist nur Wiesenflächen überflutet werden, die später wieder normal genutzt werden können. Um die überfluteten Flächen später von mitgerissenem Schwemmgut reinigen zu können, müssten aber Wege für die Reinigungsfahrzeuge gebaut werden. Zusätzliche Kosten und eine gewisse Beeinträchtigung der Natur sind damit verbunden.

Insgesamt sind die Dämme so gebaut, dass sie selbst bei einem so starken Hochwasser nicht überlaufen, wie es im Durchschnitt nur alle hundert Jahre einmal übertroffen wird. Öffnen sich die Schleusen des Himmels noch stärker, wird der Damm zwar überschwemmt, aber das dahinter zurückgehaltene Wasser senkt die Pegel flussabwärts ebenfalls.

Zum Schutz des Dammes dient eine Art Überlauf. Das Wasser fließt dann durch eine flache und sehr breite Mulde in der Dammkrone ab. Damit die Fluten diese Mulde nicht rasch auswaschen, vertiefen und so den Damm zerstören, pflastern die Erbauer sie mit Natursteinen, die der erodierenden Kraft des Wassers erheblichen Widerstand entgegensetzen. Am Fuß des Dammes muss ein festes „Tos-Becken“ die Energie des stürzenden Wassers auffangen.

Hochwasserspezialist Bielitz hat dennoch Bedenken: „Viele kleine Rückhaltebecken müssen jeweils einzeln geplant und genehmigt werden.“ Der Aufwand sei also viel höher als bei einem großen Becken mit dem gleichen Effekt. Auch FU-Forscher Schulte sieht dieses Problem. Daher beschäftigt sich einer seiner Doktoranden mit Umsetzung und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren.

Besonders naturnah ist eine Methode, mit der ein Mitarbeiter von Schulte ebenfalls bereits an den Oberläufen Hochwasser entschärfen will: Robert Wenzel untersucht in einem Nachbartal, wie Totholz ein Hochwasser beeinflusst. Der Effekt ist beträchtlich: Liegt alle 15 Meter ein toter Baum im Bach, werden die Fluten vom Gehölz erheblich gebremst. In der Folge sind die Spitzenpegel flussabwärts rund zehn Prozent niedriger als ohne Totholz.

Eine solche Minderung könne entscheidend sein, erklärt Schulte. Beim Elbehochwasser 2002 beispielsweise hätten die Behörden die Polder an der Havel geöffnet und so einen Teil des Hochwassers abgefangen. Dadurch wurden die Pegel um fünfzig Zentimeter gesenkt, was ungefähr zehn Prozent des zusätzlichen Wasserstandes damals entsprach. Die fünfzig Zentimeter retteten einige wichtige Deiche vor dem Bruch und damit auch einige Orte vor der Überflutung.

Trotz dieses Vorteils möchte Spezialist Bielitz die Gewässer lieber von Totholz freihalten. „Bei einem Hochwasser werden die Hindernisse leicht losgerissen und verstopfen dann flussabwärts Brückenöffnungen“, sagt er. Das gestaute Wasser fließe um die Brücke herum und richte dort große Schäden an.

Um das zu verhindern, sichert Wenzel seine Baumstämme mit Ketten, die er am Ufer verankert. Natürlich müssen auch diese Hindernisse ab und zu kontrolliert werden. Verrottende Holzstücke können dabei gleich ausgetauscht und beschädigte Befestigungen erneuert werden, um die Brücken flussabwärts vor gefährlichem Treibgut zu schützen.

Solcher Hochwasserschutz wird einiges kosten, schließlich gibt es allein in Sachsen dreitausend Kilometer Fließgewässer. Wie hoch die Kosten genau sein werden – auch das soll in dem FU-Projekt geklärt werden.

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