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Gesundheit: Geißeln in der Magenwand

Wer mit „Helicobacter“ infiziert ist, hat ein höheres Krebsrisiko – Wird es bald eine Impfung geben?

Von Paul Janositz

Jahrelang litt der gestresste Manager unter Magenproblemen. Schweres Sodbrennen verdarb immer wieder die Freude am Essen. Nachts lag der knapp 50-Jährige lange wach und wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen.

Der Arzt, der eine Spiegelung durchführte, entdeckte in Speiseröhre und Magen außer einer leichten Rötung nichts Beunruhigendes. Paradoxerweise brachte eine Erkältung die Erlösung. Die Therapie mit einem Antibiotikum besserte das Schniefen und Schnupfen zwar kaum. Dagegen verschwanden die Beschwerden in Magen und Speiseröhre wie von Zauberhand.

Noch vor 20 Jahren hätten Mediziner bei dieser Geschichte den Kopf geschüttelt. Magenbeschwerden, Geschwüre, Schleimhautentzündungen galten als Folgen ungesunden Lebenswandels. Falsche Ernährung, Nikotin und Alkohol, Nervosität und Stress – danach fragten die Ärzte ihre Patienten.

Das änderte sich erst 1983, als der australische Arzt Barry Marshall erstmals einen Magen-Patienten erfolgreich mit Antibiotika behandelte. Das Geschwür sei von Bakterien verursacht, schrieb er. „Helicobacter“ hieß der Erreger, benannt nach seiner charakteristischen Gestalt (das griechische Wort „helico“ bedeutet spiralförmig; „bacter“ steht für Bakterium). Der Zusatz „pylori“ besagt, dass der Keim zuerst am unteren Ende des Magens, dem „Pylorus“, gefunden wurde. Mittlerweile weiß man, dass sich der Keim überall im Magen tummelt. Niemand zweifelt mehr am gefährlichen Wirken des Bakteriums, das sich mit seinen fadenförmigen Geißeln in die Magenwand gräbt und an die Zellen der Schleimhaut heftet. Eine Entzündung kann die Folge sein, ein Geschwür und – wie jetzt sicher ist – auch Magenkrebs.

Nicht jeder, der Helicobacter in sich trägt, wird auch krank. Sonst hätten die Ärzte mit gewaltigen Zahlen von Patienten zu kämpfen. „Fast zwei Drittel der über 50-Jährigen hier zu Lande haben den Erreger“, sagt Christoph Kunstmann, Facharzt für Magen- und Darmerkrankungen in Coburg. Bei den Jüngeren sind es etwa 20 Prozent, bei Kindern etwa jedes Zehnte.

Anstecken kann man sich von Mund zu Mund, über infizierte Nahrung, verseuchtes Wasser, auch über Fäkalien. Weil die Hygiene immer besser wird, sind die Zahlen rückläufig. Wer den Erreger in sich hat, hat aber ein erhöhtes Risiko für Geschwüre an Magen oder Zwölffingerdarm oder Krebs.

„Der Zusammenhang zwischen Helicobacter und Magenkrebs ist so stark wie derjenige zwischen Rauchen und Lungenkrebs“, sagt Kunstmann. In Deutschland erkranken jährlich etwa 18 500 Menschen an Magenkrebs, 90 Prozent davon sterben innerhalb von fünf Jahren. Bei 95 Prozent der Magenkrebskranken wird Helicobacter nachgewiesen. Eine Zeitbombe also – nicht zuletzt wenn man bedenkt, dass allein hier zu Lande rund 33 Millionen Menschen infiziert sind?

Das Problem ist zu lösen, sogar auf relativ einfache Weise. Denn der Keim lässt sich medikamentös entfernen. Bewährt hat sich die so genannte Tripeltherapie. Dabei wird mit einem „Protonenpumpenhemmer“ die im Magen produzierte Säure reduziert und das Bakterium mit zwei potenten Antibiotika attackiert. „Bei über 90 Prozent der Patienten ist der Keim danach ein für alle mal außer Gefecht gesetzt“, sagt Kunstmann. Bei keiner anderen Tumorerkrankung könne man auf so einfache Art vorbeugen. Wichtig sei es daher, lang andauernde Beschwerden ernst zu nehmen und zum Arzt zu gehen.

Zukünftig gibt es vielleicht noch eine elegantere Lösung. Denn eine internationale Forschergruppe glaubt, bald einen Impfstoff entwickeln zu können. Mit einer Spritze könnte man dann gegen „Helicobacter pylori“ vorbeugen. Im aktuellen Fachmagazin „Science“ (Band 297) beschreibt das Team um Thomas Borén von der schwedischen Universität Umeå die Angriffsstrategie des Bakteriums.

Demnach produzieren die Zellen der Magenschleimhaut als Reaktion auf den Angriff des Erregers Zuckermoleküle auf ihrer Oberfläche, mit denen sie die Immunzellen zu Hilfe rufen. Doch die Eindringlinge weichen der körpereigenen Abwehr aus und hängen sich an die Zuckermoleküle. So dringen sie weiter in die Magenschleimhaut ein, wo sie noch mehr Nährstoffe finden.

Das Team um Borén entdeckte, dass die Erreger ein Protein herstellen, das wie ein Klebstoff wirkt und die Haftung an die Zuckermoleküle ermöglicht. Die Forscher entwickelten nun einen Bakterienstamm, dem dieses Protein fehlt. Diese veränderte Form des Erregers kann sich nicht mehr an gesunde Magenschleimhautzellen anhängen. Damit sei der Weg für einen Impfstoff gegen Helicobacter pylori vorgezeichnet, schreiben die Forscher in „Science“.

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