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Gesundheit: Geistheiler: Wenn nichts mehr hilft, dann hilft ein Wunder

In der weißen Welt der Medizin bemüht man sich immer intensiver darum, die Wirksamkeit dessen, was man tut, wissenschaftlich nachzuweisen. Das ist schon deshalb nötig, damit die knappen Mittel nicht für Unnützes verschwendet werden.

In der weißen Welt der Medizin bemüht man sich immer intensiver darum, die Wirksamkeit dessen, was man tut, wissenschaftlich nachzuweisen. Das ist schon deshalb nötig, damit die knappen Mittel nicht für Unnützes verschwendet werden. Zugleich aber wächst im Untergrund eine medizinische Gegenwelt, eine Schattenwirtschaft unbekannten Ausmaßes.

Denn viele Deutsche suchen Rat und Hilfe bei "Geistheilern" und geben Millionen für Praktiken wie Besprechen, Fernheilen, Exorzismus oder Handauflegen in allerlei vorwiegend fernöstlichen Varianten aus. Auch andere okkulte Prozeduren wie Astrologie, Pendeln, Irisdiagnostik oder Wünschelrutengehen sind sehr beliebt. Da in Deutschland alles seine Ordnung und seine Vereine hat, selbst das Esoterische, gibt es einen "Dachverband der Geistheiler (DGH)" mit mehreren tausend Mitgliedern.

Über Glaube und Aberglaube in der Medizin informierte Hartmut Zinser sein ärztliches Publikum auf der Jahrestagung der "Kaiserin Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen". Die so genannte Geistheilung diente dem Berliner Religionswissenschaftler und Ethnologen als Beispiel für den weit verbreiteten medizinischen Aberglauben an "traditionell" oder "ganzheitlich", "alternativ" oder "komplementär" genannte Verfahren in allen Abstufungen des Irrationalen bis zum Okkulten.

Es gebe zwar Behauptungen von Geistheilerseite, so gut wie alle Leiden, sogar schwere organische Krankheiten wie Krebs, Multiple Sklerose oder Parkinson, durch pures Handauflagen kurieren zu können; aber über ein subjektives Gefühl der Linderung hinaus existierten keinerlei Nachweise für Heilungserfolge. Das hätten die Geistheiler selbst eingeräumt, sagte Zinser. Ihr Dachverband hätte 1995 zwar eine Dokumentationsstelle eingerichtet, aber nicht einen Fall von Heilung nachweisen können. Von den siebzehn Vorstandsmitgliedern waren fünfzehn nicht einmal imstande, "auch nur einen einzigen Fall aus ihrer Praxis zur Begutachtung einzureichen", schrieb der frühere Vorsitzende vier Jahre später.

Muss man sich also mit diesen Methoden überhaupt befassen? Seine Hörer überzeugte Zinser sehr wohl von der Notwendigkeit, sich mit der "Glaubensmedizin" zu beschäftigen, wie der Wuppertaler Internist Johannes Köbberling die nichtwissenschaftlichen Praktiken zusammenfassend nennt.

Denn zum einen können sie die hilfesuchenden Kranken gefährden. Wegen ihres Glaubens an irrationale Methoden entzögen sie sich - oder Eltern ihre Kinder - einer potenziell wirksamen medizinischen Behandlung (wie im Fall des Krebsheilers Hamer).

Zum anderen wies Zinser auf eine schwere Nebenwirkung der esoterischen Prozeduren hin, die nicht nur den einzelnen Kranken, sondern die gesamte medizinische Kultur betreffe: Den Kranken wird von den Geistheilern häufig das belastende Gefühl vermittelt, ihre Krankheit durch mangelnden Glauben oder Sündhaftigkeit selbst verschuldet zu haben. Diese Auffassung von Krankheit als Resultat von Sünde und Schuld hätten aber heute sowohl die Medizin als auch die christliche Theologie endgültig verlassen.

Der Religionswissenschaftler verglich das Geist- und Glaubensheilen mit den sich selbst absolut setzenden politisch-religiösen Fundamentalismen, die soziale Defizite nur auf mangelnde Beachtung religiöser Traditionen zurückführen und die Betreffenden für gesellschaftliche Probleme moralisch verantwortlich machen. Auf die Krankenheilungen Jesu, die heute eher symbolisch verstanden würden, könnten sich die Geistheiler nicht berufen. Selbst die katholische Kirche beurteile heutige "Heilungswunder" äußerst kritisch.

Die Medizin aber hat die vorwissenschaftliche Ära des Glaubens eigentlich längst überwunden und fordert von sich strenge Wissenschaftlichkeit. Nach Zinsers Definition ist Glaube subjektiv und deshalb nur gültig für die Gläubigen selbst. Aberglaube sei in den Religionen ein polemischer Begriff für den Glauben anderer Religionen.

Im Unterschied zum Glauben kann Wissenschaft Allgemeingültigkeit beanspruchen, weil ihre Aussagen und Methoden prinzipiell überprüfbar sind. Wissen ist allerdings niemals absolut, sondern immer nur vorläufig und kann potenziell widerlegt werden. Die Grenzen zwischen Wissen und Glauben - oder auch Aberglauben - verwischen sich aber nach Zinsers Feststellung zusehends, in der Medizin wie in anderen Bereichen.

Dafür nannte er verschiedene Gründe: Erkenntnisse anderer Disziplinen müssen selbst Wissenschaftler auf Treu und Glauben akzeptieren, ganz zu schweigen von Laien. "Der Wahrheitsgehalt der Aussagen eines Physikers oder eines Radiästhesisten, vulgo Wünschelrutengängers, ist für einen Laien häufig kaum zu unterscheiden."

In der Medizin ist die Gefahr der Vermischung von Wissen und Glauben besonders groß. Einmal, weil Krankheit, Linderung und Heilung auch subjektiv wahrgenommen und durch den Heilungswillen beeinflusst werden; zum anderen, weil die immensen Erfolge der wissenschaftlichen Medizin übersteigerte Hoffnungen wecken, die angesichts der nicht zu heilenden chronischen Krankheiten in Enttäuschung und damit oft auch Hinwendung zur Paramedizin umschlagen. "Diese Hoffnungen verwandeln sich in Ansprüche an die Medizin und vergessen auch, dass wir alle gebrechlich und sterblich sind."

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