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Gesundheit: Generationswechsel an Hochschulen: "Erstklassige Berufungen sind entscheidend"

Karl Max Einhäupl (54) ist neuer Vorsitzender des Wissenschaftsrats und hat Winfried Schulze abgelöst, unter dessen Vorsitz die Reformempfehlungen zu Bachelor- und Masterstudiengängen verabschiedet wurden. Einhäupl war in München Professor, bevor er 1992 an die Charité berufen und dort Direktor der Neurologischen Klinik wurde.

Karl Max Einhäupl (54) ist neuer Vorsitzender des Wissenschaftsrats und hat Winfried Schulze abgelöst, unter dessen Vorsitz die Reformempfehlungen zu Bachelor- und Masterstudiengängen verabschiedet wurden. Einhäupl war in München Professor, bevor er 1992 an die Charité berufen und dort Direktor der Neurologischen Klinik wurde.

An allen Hochschulen der alten Bundesrepublik steht der große Generationenaustausch bevor. Die Professoren, die zur Zeit der Bildungsexpansion in den 70er Jahren berufen oder ernannt wurden, gehen in den Ruhestand. In den Jahren 2002 bis 2006 muss an der Freien Universität und der Technischen Universität Berlin die Hälfte des Professorenbestandes ersetzt werden. Ausgerechnet in dieser Situation finden die Verhandlungen über die neuen Hochschulverträge für die Jahre 2003 bis 2005 statt. Dabei geht es ums Geld. Wenn jetzt wieder die Strukturen für Jahrzehnte festgeschrieben werden, worauf ist dabei zu achten?

Abgesehen davon, dass der unselige Zyklus eines großen Professorenbedarfs durch geeignete Maßnahmen zeitlich gestreckt werden muss, kommt es vor allem darauf an, dass erstklassige Wissenschaftler nach Berlin berufen werden. Die Pensionierung von zahlreichen Professoren stellt eine große Chance dar. Die Hochschulen haben die Gelegenheit, mit den Neuberufungen neue Akzente zu setzen, neue Schwerpunkte zu bilden und somit Strukturen zu verändern. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Stellungnahme zur Strukturplanung der Hochschulen in Berlin eindringlich die Notwendigkeit solcher Strukturreformen hervorgehoben. In der Chance liegt aber gleichzeitig auch das Risiko, denn diese zahlreichen Neuberufungen kosten Geld. Zusätzlich werden die vielen Pensionierungen in den vor uns liegenden Jahren durch die steigenden Versorgungslasten, also Pensionen und Beihilfen, die Hochschulen belasten. Ferner schlagen die absehbaren Tariferhöhungen für die Hochschulen zu Buche - zusammen mit etwa 40 Millionen im Jahr. Und dieses kumulativ.

Was meinen Sie damit?

Bei einer einprozentigen bis 1,5-prozentigen Tariferhöhung kommen wachsend jährlich 30 Millionen Mark mehr auf die Berliner Hochschulen zu. Die Versorgungsleistungen steigen wachsend jährlich um 10 bis 14 Millionen. Von 2003 bis 2005 werden die Hochschulhaushalte allein dadurch mit ca. 250 Millionen zusätzlich belastet werden. Hinzu kommen noch die Kosten für die Neuberufungen von Professoren, die die Präsidenten der drei Berliner Universitäten auf 240 Millionen Mark in den Jahren 2003 bis 2005 schätzen. Dieses vermögen die Hochschulen nicht zu erwirtschaften. Ich sehe nicht, wie die Hochschulen ihre Aufgaben erfüllen können, insbesondere wie in Berlin 85 000 Studienplätze zur Verfügung gestellt werden sollen, wenn das Land diese Mehrbelastung nicht größtenteils ausgleicht.

Für die Geistes- und Sozialwissenschaften sind die neuen Professoren billiger zu haben als in den Naturwissenschaften, der Medizin und in den Ingenieurwissenschaften, wo auf eine Berufung 1,5 Millionen Mark entfallen können. Deswegen rechnen die Berliner Universitätspräsidenten mit einer Durchschnittssumme von 500 000 Mark an Investitionen für einen neuen Professor. Ist diese Schätzung realistisch?

Wenn man die besten Wissenschaftler nach Berlin holen und in Berlin halten will, müssen die Hochschulen sie auch so ausstatten können, dass sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Der Wissenschaftsrat hat darauf hingewiesen, dass es in Berlin darauf ankommen wird, nicht nur die Grundausstattung zu sichern, sondern forschungspolitische Freiräume durch Zusatzausstattung nutzbar zu machen. Wenn diese Freiräume schwinden, weil Ressourcen für die Deckung von Haushaltslücken oder zur Deckung von Versorgungslasten herangezogen werden müssen, wird man die einmalige Chance, die sich aus dem Generationenwechsel ergibt, nicht wahrnehmen können.

Die Politiker sagen immer wieder und die Universitätspräsidenten stimmen ihnen zu, dass die Chance des großen Generationenwechsels wirklich genutzt werden sollte. Denn während der Bildungsexpansion um 1970 sind in Berlin viel zu viele Professoren ernannt und nicht berufen worden. Zu viele hatten nur ein durchschnittliches Niveau und haben danach ihre Chancen in der Professorenposition nicht nutzen können, um sich entsprechend zu profilieren. Deswegen erwartet man jetzt, dass die Neuberufungen auf einem ganz anderen Niveau erfolgen. Aber zwischen den Erwartungen und der Wirklichkeit liegen Welten. Was bietet sich als Ausweg an?

Es gibt kein einfaches Rezept. Der Ausweg liegt auch in den Händen der Hochschulen und nicht ausschließlich in denen der Politik. Die Politik muss die Ressourcen zur Verfügung stellen. Berlin muss seinem Anspruch, auf dem Weg zu einer führenden Wissenschaftsstadt Europas zu sein, gerecht werden. Die Hochschulen aber haben sich auf Struktureingriffe zu verständigen. Der Wissenschaftsrat hat dazu detaillierte Empfehlungen bis hinunter auf die Ebene der Fächer abgegeben. Da 75 Prozent der Kosten der Hochschulen Personalkosten sind, lassen sich Mittel für die Bildung von Profilen und Schwerpunkten nur durch Strukturveränderungen erwirtschaften. Dies zu leisten, ist Aufgabe der Hochschulen und nicht der Politiker.

Heißt das, die Hochschulen könnten Geld entbehren?

Wenn das Wasser bis zum Hals steht, darf man nicht auch noch die Köpfe unters Wasser drücken.

Der große Generationswechsel vollzieht sich nicht nur in Berlin, er vollzieht sich in den meisten Bundesländern. Auch das Ausland ist begierig, hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland zu berufen. Eine Stadt wie Berlin befindet sich in einer vielfältigen Konkurrenz um die besten Wissenschaftler. Baden-Württemberg und Bayern haben Milliardenbeträge für die Zukunftsgestaltung auf Halde gelegt, die auch für anspruchsvolle Neuberufungen in Anspruch genommen werden können. In Berlin gibt es hinsichtlich der Geldmenge nichts Vergleichbares.

Der Wissenschaftsrat hat vielfach - zuletzt in seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland - hervorgehoben, dass Bund und Länder künftig deutlich höhere finanzielle Anstrengungen zur Förderung der Wissenschaft unternehmen müssen. Er hat betont, dass bei der Verteilung von Haushaltsmitteln der hohe Stellenwert von Wissenschaft und Forschung zu berücksichtigen ist, gegebenenfalls auch zu Lasten anderer Bereiche. Während der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttosozialprodukt in den USA 2,8 Prozent, in Finnland, Japan und Korea 2,9 Prozent und in Schweden 3,8 Prozent beträgt, liegt Deutschland mit 2,3 Prozent gerade im Mittelfeld.

In Berlin wie in anderen Bundesländern fehlt aber nicht nur Geld für Neuberufungen, sondern auch für den Hochschulbau. Allein im 30. Rahmenplan gibt es nach Berechnungen des Wissenschaftsrates bundesweit ein Defizit von 700 Millionen Mark. In Berlin ist der Hochschulbau besonders heruntergefahren worden. Das hat der Wissenschaftsrat auch in seinen Strukturempfehlungen aus dem Jahr 2000 bemängeln müssen. Die vom Wissenschaftsrat für notwendig gehaltenen Jahresraten von 250 Millionen Mark werden in Berlin weit unterschritten.

In Berlin geht es auch darum, einer schwachen Wirtschaft neue Impulse zu geben. Alle erhoffen sich neue Arbeitsplätze durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern mit der Wirtschaft. Deswegen hat der Wissenschaftsrat auch die Gründung von Wissenschafts- und Technologieparks in Buch, Adlershof und Golm bei Potsdam empfohlen. Ist eine solche Entwicklung, wissensbasierte Arbeitsplätze zu schaffen, gefährdet, wenn die Berufungspolitik in den nächsten Jahren nicht die Niveauanhebung bringt?

Das wissenschaftliche Umfeld in Berlin - und ich beziehe Brandenburg ausdrücklich ein - ist exzellent. Aber hier bedarf es weiterer Anstrengungen, um im Wettbewerb mit anderen Wissenschaftsstandorten wie München, Tübingen, Bonn/Aachen/Köln oder Heidelberg bestehen zu können. Auch diese Standorte sind nicht über Nacht entstanden. Die Region Berlin-Brandenburg hat nach der Wiedervereinigung eine beachtliche Entwicklung genommen. Diese Entwicklung darf aber nicht unterbrochen werden. Ein Aspekt ist die Schaffung von interessanten Arbeitsplätzen in der Region. Solche Arbeitsplätze werden nicht nur mit den Mitteln des Landes Berlin oder Brandenburg finanziert, sondern hervorragende Wissenschaftler schaffen in erheblichem Umfang durch eingeworbene Drittmittel, deren Finanzierung nicht aus dem Land kommt, weitere Arbeitsplätze. Viel bedeutender ist aber das innovative Potenzial der Wissenschaftsinstitutionen, das die Region für die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen höchst attraktiv macht. Erstklassige Berufungen an die Hochschulen sind das entscheidende Element und unverzichtbare Voraussetzungen für die Entwicklung und Konsolidierung eines wettbewerbsfähigen Wissenschaftsstandortes.

Wie verhalten sich andere Länder?

In anderen Staaten, mit denen wir im wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, hat man die Bedeutung von Bildung, Wissenschaft und Technologieentwicklung für das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial erkannt. Wenn man sieht, was in den USA an Investitionen für Technologieentwicklung, für Wissenschaft, Forschung und für Bildung zur Verfügung gestellt wird, dann zeigt das: Das entsprechende Bewusstsein hat sich dort in der Bevölkerung festgesetzt. In Deutschland muss hier noch einiges getan werden, damit nicht nur die deutschen Wissenschaftspolitiker, sondern alle Politiker und die Bevölkerung Verständnis dafür entwickeln, dass die Wissenschaft keine Spielwiese für innovative Menschen ist, sondern dass davon die Zukunft des Landes maßgeblich abhängt. Andere Länder haben also weitreichendere Konsequenzen gezogen und unter anderem der Wissenschaft erheblich mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt. Dies führt dazu, dass zu viele deutsche Spitzenwissenschaftler beispielsweise in die USA abwandern oder nicht mehr zurückkehren, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden. Diese besseren Voraussetzungen sind allerdings nicht nur ausstattungsbedingt, sondern haben auch mit Fragen zu tun, in welchem Lebensalter jemand Hochschullehrer oder Wissenschaftler wird und wann er seinen Beruf selbstständig ausüben kann.

Die Länder beginnen unter dem Spardruck bei den Stellen für Wissenschaftler zu sparen und vernichten dadurch Studienplätze. Brandenburg baut nur noch 25 000 Studienplätze aus statt 34 000. Berlin kann die 85 000 Studienplätze wohl nicht ausfinanzieren. In Sachsen wird die Stellenstreichung auch zur Vernichtung von Studienplätzen führen. Ist das noch zu verantworten im Sinne einer bundesweit abgestimmten Versorgung für die junge Generation?

Der Wissenschaftsrat hat eindringlich darauf hingewiesen, dass in Berlin 85 000 personalbezogene Studienplätze ausfinanziert werden müssen. Im Moment wird diese Zahl noch von oben durch den Abbau von Studienplätzen angesteuert. Berlin baut weiter ab. Wenn sich die Kosten aber so weiterentwickeln und das Land dieses nicht ausgleicht, ist zu befürchten, dass auch diese 85 000 Plätze nicht zu halten sind. Das wäre für Berlin eine bildungspolitische Katastrophe.

Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen auf etwa 300 000 Studienanfänger im Jahr in Deutschland abgestellt, das entspricht dem Drittel des Jahrgangs. Im internationalen Vergleich sind andere Länder schon weiter, wenn sie 40 Prozent eines Jahrgangs zum Studium führen. Wie sollten sich vor diesem Hintergrund die deutschen Länder verhalten?

Wie der Wissenschaftsrat erst kürzlich wieder betont hat, lohnt es sich zu studieren. Deshalb sollten alle, die studieren wollen und dafür geeignet sind, die entsprechende Möglichkeit erhalten.

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