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Gesundheit: Alle paar Schritte eine Zwangspause

Landläufig heißt das Phänomen „Schaufensterkrankheit“: Menschen müssen plötzlich stehen bleiben Sie haben Schmerzen, verursacht durch verstopfte Blutgefäße – Millionen Bundesbürger sind betroffen.

Früher wirkte Hans-Peter M. (Name von der Redaktion geändert) auf seine Umgebung wie ein Mann, der mit den Jahren zunehmend auf die kleinen Dinge des Lebens zu achten gelernt hat: Beim Spaziergang im Park hielt er immer wieder an, um seine Frau auf eine Pflanze aufmerksam zu machen. Beim Stadtbummel interessierte er sich plötzlich sogar für die Auslagen von modischen Boutiquen, zu deren Zielgruppe der 71-Jährige eigentlich nicht gehört.

Doch die Schaufenster waren nicht der Grund, dass er so häufig stehen blieb. Die boten ihm nur eine willkommene Entschuldigung. Tatsächlich zwangen ihn die plötzlich einsetzenden Schmerzen in der Wade zum Anhalten. Weil er nur noch hundert Meter gehen konnte, ehe er von ihnen überfallen wurde, hatte M. zuerst einen Orthopäden um Rat gefragt. Doch die Ursache der Schmerzen lag in den Blutgefäßen, genauer: in einer Verengung der Schlagader. Sie konnte den Muskel nicht mehr mit genügend Blut – und damit Sauerstoff – unterstützen. Bei anderen Betroffenen machen sich solche Schmerzen auch im Gesäß, in der Hüfte, im Oberschenkel oder im Fuß bemerkbar. Abhilfe brachten Herrn M. schließlich ein über die Leiste eingeführter Ballonkatheter, mit dem das verengte Gefäß aufgeweitet wurde, und eine kleine Stütze, ein sogenannter Stent, die seitdem für dauerhafte Öffnung sorgt.

Hans-Peter M. hat ausgesprochen viele Leidensgenossen: Viereinhalb Millionen Bundesbürger sollen unter der Krankheit leiden, die von Laien verharmlosend „Schaufensterkrankheit“ genannt wird: weil die Schmerzen schnell wieder nachlassen, wenn man den Muskeln eine kleine Ruhepause gönnt. Mediziner sagen auch „Claudicatio intermittens“, unterbrochenes Hinken, dazu. Die meisten Betroffenen sind Männer über 65 Jahre. Die Hälfte von ihnen hat Verengungen an der Oberschenkel-Arterie, bei der anderen Hälfte sind Gefäße des Beckens oder der Unterschenkel verengt.

Ursache sind sehr häufig Ablagerungen aus Plaque und Blutgerinnsel an der Innenwand der Blutgefäße, wie sie die meisten nur als gefährliche „Verkalkung“ der Herzkranzgefäße kennen. Nur sehr selten sind angeborene Gefäßveränderungen oder Entzündungen der Grund. Weil sich das arteriosklerotische Geschehen hier vom zentralen Herz an die Peripherie verlagert, sprechen Mediziner von der Peripheren Arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). Die Risikofaktoren für beide Leiden sind aber weitgehend gleich: Rauchen, zu hoher Blutdruck, ein erhöhter Cholesterinspiegel und der „Alterszucker“ (Diabetes Typ 2). So erstaunt es nicht, dass Menschen, die unter einer PAVK leiden, auch doppelt so häufig einen Schlaganfall bekommen. Und dass unter ihnen dreimal so viele Raucher sind wie unter gesunden Altersgenossen. In ihrer extremen Ausprägung führt die PAVK zum sogenannten „Raucherbein“, das im schlimmsten Fall – heute glücklicherweise seltener als noch vor einigen Jahrzehnten – amputiert werden muss. Trotzdem werden in jedem Jahr in Deutschland auch heute 40 000 Beine abgenommen.

Lange Zeit machen sich die Verengungen jedoch überhaupt nicht bemerkbar. Oft spüren die Betroffenen überhaupt erst etwas, wenn mehr als 70 Prozent des Gefäßdurchmessers verengt sind. Ein Grund: Vorher können kleinere Blutgefäße in der Umgebung den Transportauftrag oft unauffällig übernehmen. Dass die Verengungen lange Zeit nicht wehtun, hat bei einigen Patienten aber noch einen anderen Grund: Sie haben aufgrund der Zuckerkrankheit Nervenschädigungen und sind deshalb für Schmerz weniger empfindlich. Ihnen fehlt also ein wichtiges Alarmsignal.

Dabei kann eine PVAK ein Vorbote für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall sein. Denn meist sind nicht allein die Arterien in den Beinen verengt. Karl-Ludwig Schulte, Leiter des Gefäßzentrums Berlin am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (Gefäßmedizin), wünscht sich deshalb, dass in den Arztpraxen vor allem bei Risikopatienten öfter eine recht einfache Untersuchungsmethode zum Einsatz kommt, die sogenannte Knöcheldruckmessung. Dabei wird der Blutdruck nicht nur am Arm, sondern auch am Fußknöchel mit einer Ultraschallsonde gemessen. Ist der obere Wert am Bein um mehr als zehn Prozent niedriger als am Arm, dann ist das ein Alarmsignal. Das heißt nicht, dass gleich ein Eingriff nötig wäre, um das Gefäß aufzuweiten. Auf jeden Fall aber haben die Betroffenen ein wichtiges Motiv, um mit dem Rauchen aufzuhören und Medikamente gegen Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder erhöhte Blutfettwerte zu nehmen. Gibt es schon Beschwerden beim Gehen, dann gehört ein Gehtraining zur Therapie: Gehen bis zur Schmerzgrenze, dann eine kleine Pause vor dem neuen Anlauf. Wer das konsequent durchhält, kann darauf hoffen, dass kleinere Blutgefäße aus der Umgebung der eingeengten Schlagader, die Kollateralgefäße, nach und nach deren Aufgabe übernehmen: Aus Seitenwegen werden Hauptstraßen.

Bei schwer kranken PAVK-Patienten führt aber trotzdem zurzeit kein Weg an der Ballonaufweitung, am Stent und am Bypass vorbei. Hans-Peter M. lebt seit einem halben Jahr gut mit seinem Stent. Er folgt dem Rat seines Arztes, hat einige Kilo abgenommen, er hat mit dem Rauchen aufgehört und geht täglich mindestens eine halbe Stunde spazieren. Wenn es dabei etwas Schönes zu sehen gibt, bleibt er auch eine Weile stehen. Und jetzt sogar freiwillig.

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