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Gesundheit: Gewalt und Glaube

Sakrale Texte können aggressiv machen

Aggressives Verhalten kann zunehmen, wenn sehr gläubige Menschen kurz zuvor in einer sakralen Schrift über Gewalt gelesen haben. Das gilt besonders dann, wenn davon die Rede ist, Gott habe diese Gewalt sanktioniert, wie ein amerikanisch-niederländisches Forscherteam jetzt in der Zeitschrift „Psychological Science“ (Band 18, Seite 204) schreibt.

„Um ihre Taten zu rechtfertigen, behaupten manche Menschen, Gott habe ihr Verhalten gutgeheißen“, sagt Brad Bushman von der Universität von Michigan. „Christliche Extremisten, ultraorthodoxe Juden und islamische Fundamentalisten haben keine Schwierigkeiten, aus ihrer jeweiligen heiligen Schrift etwas zu zitieren, was ihre Aggression gegen Ungläubige stützt, wenn nicht sogar billigt.“

Bushman und seine Kollegen von der Brigham-Young-Universität im US-Bundesstaat Utah und der Freien Universität Amsterdam wollten herausfinden, ob Gläubige der Buchreligionen (Christentum, Judentum, Islam) durch die Lektüre von aggressiven Inhalten in sakralen Schriften mehr aufgestachelt werden können als Nichtgläubige.

Studenten der Brigham-Young-Universität, von denen sich 99 Prozent als gläubig bezeichneten, und Studenten der Amsterdamer Universität, von denen sich 50 Prozent als gläubig ansahen, bekamen jeweils einen Bibeltext zu lesen. Den Text hatten die Forscher manipuliert; die Herkunft aus der Bibel wurde nicht immer genannt.

In dem Abschnitt ging es darum, dass eine Frau brutal ermordet worden war und ihr Ehemann schwor, ihren Tod zu rächen. Der Hälfte der Versuchsteilnehmer wurde gesagt, dass die Stelle aus dem Alten Testament stamme. Die andere Hälfte erfuhr, die Passage stamme aus einer alten Papyrusrolle, die Archäologen gefunden hätten. Zudem bekam jeweils die Hälfte einen Abschnitt zu lesen, in den ein Satz eingefügt worden war. Dieser besagte, Gott fordere die Gläubigen auf, gegen die jeweiligen Ungläubigen zu kämpfen.

Nach der Lektüre sollten die Versuchsteilnehmer paarweise eine simple Reaktionsaufgabe lösen. Wer schneller war als sein Partner, durfte diesen mit einem Geräusch von bis zu 105 Dezibel schocken. Das ist ein übliches Verfahren in der experimentellen Forschung, um Aggressionen messbar zu machen.

Ob gläubig oder nicht: Studenten, die meinten, die Textstelle stamme aus der Bibel, erwiesen sich als aggressiver als jene, die den Text für einen archäologischen Fund hielten. Die Aggression verstärkte sich noch, wenn in dem Text zu lesen war, Gott heiße Gewalt gut. „Sogar bei Versuchsteilnehmern, die nicht extrem religiös waren, erhöhte eine angeblich von Gott sanktionierte Gewalt die Aggression“, sagt Bushman. „Dass dieser Effekt auch bei einer solchen Versuchsgruppe auftrat, weist auf die latente Macht hin, die Gewaltdarstellung in sakralen Schriften hat.“

Doris Marszk

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