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Gesundheit: Glücklicher Zufall

Deutsche Forscher suchen ein Medikament gegen Krebs – und finden ein Mittel gegen einen gefährlichen Parasiten

Man stelle sich eine Infektion vor, von der jedes Jahr mehrere Millionen Menschen betroffen sind, aber die selbst in Medizinerkreisen weitgehend unbekannt ist. Die 500000 Patienten, bei denen die Krankheit tatsächlich ausbricht, sind dem Tode geweiht, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden. Die Rede ist von der viszeralen Leishmaniose, auch Kala Azar genannt (aus dem Hindi für „schwarze Krankheit“), einer Erkrankung, die durch parasitäre Einzeller verursacht wird. Sie ist in 60 Ländern verbreitet. Rund eine Milliarde Menschen lebt in gefährdeten Gebieten.

Das therapeutische Arsenal, das ihre Ärzte zur Hand haben, ist jedoch mehr als bescheiden: ganze zwei Medikamente gibt es, von denen das eine nahezu 60 Jahre alt ist, und das andere, etwas jüngere, in seiner modernen Variante so teuer, dass es dort nicht zu haben ist, wo man es benötigt. Noch schlimmer: Das alte und billige Antimonpräparat wirkt zudem nur noch bei vier von zehn Patienten.

Die viszerale Leishmaniose kommt allerdings auch in den gemäßigten Zonen vor, so in allen Mittelmeerländern von Spanien bis Israel. Da diese das Ziel zahlreicher Urlauber sind, wird die potenziell lebensgefährliche Erkrankung auch regelmäßig von heimkehrenden Touristen eingeschleppt. Experten schätzen 500 bis 1000 importierte Fälle pro Jahr, in der Bundesrepublik sind es 80.

In dem eher düsteren Szenario taucht durch Arbeiten deutscher Forscher nun ein erster Hoffnungsschimmer auf. Hansjörg Eibl vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und Clemens Unger von der Abteilung für Tumorbiologie der Universität Freiburg haben ein Medikament entwickelt, das allem Anschein nach einen echten Fortschritt darstellt. Miltefosin, so der Name des Moleküls, wurde entdeckt, als die Forscher nach Substanzen suchten, die den natürlichen, in allen Körperzellen vorkommenden Phosphocholinen ähneln.

Ursprünglich als Medikament für die Krebsbehandlung gedacht (und auch erfolgreich bei der Behandlung von Hautmetastasen bei Brustkrebs eingesetzt), testeten die beiden Forscher Miltefosin auch gegen die einzelligen Malaria- und Leishmaniose-Erreger. Eine nur auf den ersten Blick obskur anmutende Idee, wissen die Parasitenforscher doch schon lange, dass sich sehr schnell vermehrende einzellige Erreger wie beispielsweise die Leishmanien und die Trypanosomen (die Verursacher der Schlafkrankheit) aus Sicht des Immunsystems Ähnlichkeiten mit Tumorzellen haben, deren Wachstum die Abwehrkräfte auch nicht nachhaltig bremsen können. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Medikamente, die ursprünglich nur zur Behandlung solcher Parasiten gedacht waren, sich mittlerweile als wirksame Substanzen bei Krebserkrankungen entpuppten.

Allerdings waren die beiden Göttinger Forscher überrascht, wie rasant das Miltefosin den Leishmanien im Reagenzglasexperiment den Garaus machte. Die darauf begonnenen Tierversuche – bestimmte Mäusestämme machen eine dem Menschen ähnliche Leishmaniose durch – waren jedoch eine herbe Enttäuschung. Spritzte man den Tieren das Medikament, so bildeten sich an der Einstichstelle häufig tiefe Geschwüre, und die Wirkung war nicht besser als die der klassischen Antimonpräparate. Als man sich daraufhin entschloss, den Tieren die neue Substanz über den Magen-Darm-Trakt zuzufügen, zeigte sich Miltefosin aber als wahres Wundermittel. Innerhalb von drei Tagen bildeten sich Krankheitszeichen zurück.

Mittlerweile wurden das Medikament in Indien erprobt. Die neueste Untersuchung, an der 400 zum Teil schwer kranke Patienten beteiligt waren, zeigte eine Heilungsrate von 97 Prozent, wenn 100 Milligramm Miltefosin pro Tag über einen Zeitraum von vier Wochen verabreicht wurden. Besonders erfreulich: das Medikament schlug auch bei jenen Patienten an, die vorher erfolglos mit einem Antimonpräparat behandelt worden waren.

Allerdings verdeutlichte die große Studie auch die Grenzen von Miltefosin. Das therapeutische Fenster, also die Konzentration, in der die Substanz zugleich wirksam ist und gerade noch tolerierbare Nebenwirkungen verursacht, ist ausgesprochen eng. Bei vielen Patienten traten Magen-Darm-Probleme auf, und reversible Schädigungen der Leber und der Nieren waren ebenfalls zu beobachten. Schwangere Frauen dürfen Miltefosin sogar auf keinen Fall einnehmen, da die Substanz den Embryo schädigen kann.

Bei Armutskrankheiten wie der Leishmaniose sind neben der pharmakologischen Effizienz und dem Nebenwirkungsspektrum noch andere Kriterien wichtig, damit ein Medikament möglichst vielen Patienten zugute kommt. Da ist einerseits der Preis und andererseits die Applikationsform. Während die bisherigen Medikamente entweder injiziert oder dem Patienten über eine Infusion verabreicht werden müssen – und das über einen Zeitraum von 28 bis 40 Tagen – , wird das Miltefosin als Tablette morgens und abends geschluckt. Eine Behandlung könnte also auch außerhalb des Krankenhauses, beispielsweise in ländlichen Gesundheitsstationen, erfolgen. Die indische Regierung hat den Nutzen der neuen Kala-Azar-Therapie bereits erkannt und in Rekordzeit das Medikament unter dem Handelsnamen Impavido als Arzneimittel zugelassen.

Hermann Feldmeier

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