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Gesundheit: "Goldkind vom Nil": Der Pop-Pharao

Tutanchamun ist ein Superstar. Und ein Medienereignis.

Tutanchamun ist ein Superstar. Und ein Medienereignis. Dabei war er während der Zeit seiner Herrschaft über Altägypten am Ende der 18. Dynastie politisch wenig bedeutend. Er war kein Reformer, kein Revolutionär und wirkte auch nicht stilbildend auf seine Epoche.

Und doch ist kein Pharao vom Nil so populär wie dieser Kindkönig, der mit neun Jahren den Thron bestieg und nach knapp zehnjähriger Herrschaft im Jahr 1323 vor Christus starb. Sein Leben, sein früher Tod, seine Schätze und sein Grab sind umrankt von Zauber, Abenteuern und teils wüsten Spekulationen.

Das hat mit der Aufsehen erregenden Entdeckung seines Grabes im Tal der Könige zu tun. Als der britische Ausgräber Howard Carter im November 1922 das Pharaonengrab öffnete, fand er es nahezu unversehrt vor. Das allein war eine Sensation. Er holte mehr als 5000 kostbare, golden glänzende Grabbeigaben ans Licht: Ein atemberaubender Fund, der zunächst England und Amerika in eine regelrechte "Tutmanie" versetzte. Das "Goldkind vom Nil" betörte fortan das Abendland und die neue Welt und euphorisierte die Medien allerorten in bisher nicht gekanntem Ausmaß.

Der Pharao wurde schnell zu einer schillernden Figur mit Hollywood-Glamour, zum Kult- und Kitschobjekt, zum Werbeträger und Ideengeber für Mode und Design. Das, was ihm zu Lebzeiten nicht gelang, erreichte er mehr als 3000 Jahre später. An den Mythos Tutanchamun, an seine Entdeckung, an die ungeheure Wirkungsgeschichte und die Banalisierung im Umgang mit dem kulturellen Erbe erinnert jetzt das Kestner-Museum in Hannover.

Dort ist allerdings nichts von den märchenhaft schönen Grabbeigaben zu sehen. Stattdessen wird ein Auswahl meist fragwürdiger Produkte, die die "Tutmanie" hervorgebracht hat, ausgestellt: Gefällige Konsumartikel, Spielzeug, Geschirr, Fliesendekor oder Seifenwerbung, Taschen und Flakons, Partituren von Schlagermelodien und Schnittmuster in Modejournalen.

Im Mittelpunkt aber steht die Grabkammer des Königs in originalgetreuer Nachbildung. Der Ägyptologe Wolfgang Wettengel hat sich in seiner maßstabgetreuen Rekonstruktion auf die Vorlage des "Theban Mapping Projects der American University Cairo" und eine Analyse des renommierten Getty Conservation Instituts, Los Angeles, gestützt.

1992 bereits kündigte die Ägyptische Altertümerverwaltung an, in einem gemeinsamen Projekt mit dem Getty-Institut die Wandmalereien in der Grabkammer zu restaurieren. Das Tut-Grab im Tal der Könige ist von Pilzen befallen, vermutlich, weil es nach der Bemalung zu schnell geschlossen wurde. Die Malereien auf Putz sind im kritischen Zustand, die mineralischen Farben in Teilen abgeplatzt, vor allem die mit Russ geschwärzten Bildflächen sind arg in Mitleidenschaft gezogen.

Doch wurde trotz intensiver Bemühungen der Getty-Stiftung das Vorhaben bis heute nicht in Angriff genommen. Inzwischen ist das Originalgrab in Theben für Besucher in der Regel geschlossen. Der Nachbau, an dem sich das Kestner-Museums finanziell beteiligt hat, und der zuvor in Saarbrücken zu sehen war, bietet derzeit deshalb zuverlässig die einzige Gelegenheit, die Wandmalereien im Totenhaus des Pop-Pharaos zu studieren.

Natürlich kann ein maßstabgetreuer, in diesem Fall hölzerner Nachbau mit Farben, die nach antikem Vorbild angemischt wurden, das Original nicht ersetzen. Doch erfüllen solche Nachbauten immerhin eine didaktische Funktion, weil sie dem Publikum einen optisch eindrucksvollen Einstieg in die Welt alter Hochkulturen vermitteln. Zudem schützen sie die Originale, in dem sie die Touristenströme umleiten. Ein Beispiel ist der Nachbau der Höhle von Lascaux in Frankreich, der ebenso viele Besucher anzieht wie ehemals die Originalhöhle in direkter Nachbarschaft.

Inzwischen gibt es deshalb auch in Ägypten ernsthafte Überlegungen, ähnlich zu verfahren und in der Nähe der Originalgräber zu deren Schutz Nachbauten aufzustellen. Beispielsweise im Tal der Königinnen, das etwas weiter südlich im Westgebirge Thebens gelegen ist. Dort befindet sich auch das berühmte Grab der Nefertari, einer Hauptgemahlin von Pharao Ramses II. Um das glanzvolle Bildprogramm zu erhalten, hat die Ägyptische Altertümerverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Getty Conservation Institute in Malibu umfangreiche Restaurierungsarbeiten an der mehr als 520 Quadratmeter großen bemalten Wand- und Deckenfläche vorgenommen. Die Rettungsaktion erstreckte sich über mehrere Jahre und wurde 1992 abgeschlossen.

Um aber den Erhalt für die Zukunft zu sichern, müsste das Grab eigentlich für den Massentourismus geschlossen bleiben. Bereits im Vorfeld dieses insgesamt umgerechnet mehr als sechs Millionen Mark teuren Projekts hatte man eine begehbare Kopie der Grabanlage mit maßstabgetreuen Fotographien der Malereien angefertigt. Dieser Nachbau wurde unter anderem in Paris und in München gezeigt.

Mit der Grabkammer von Tutanchamun ist jetzt erstmals ein Königsgrab nachgebaut worden. Allerdings eines, dessen Ausmaße lediglich denen eines Privatgrabes entsprechen. Denn mit der bescheidenen Grundfläche von 26 Quadratmetern ist das Einkammer-Grab für einen Pharao ungewöhnlich klein. Auch dieser Umstand gehört zu den vielen Mysterien um Tutanchamun, seine Herkunft und seinen frühen Tod.

War er ein Verwandter des berühmten Sonnenkönigs Echnaton, der eine gewaltige Sonnenstadt im mittelägyptischen Amarna neu erbauen ließ, und der der Vielgötterei am Nil nur einen einzigen Gott, den Sonnengott Aton, entgegensetzte? Seine Nachfahren wiederum wollten möglichst schnell die Erinnerungen an den "Ketzerkönig" auslöschen. Drei Jahre nach Echnatons Tod übernahm der Kindpharao die Regierungsgeschäfte des Weltreiches, das durch innenpolitische Umwälzungen in eine schwere Krise geraten war. Er heiratete eine der Töchter, die Echnaton mit seiner Gemahlin Nofretete gezeugt hatte. Möglicherweise aber war Tutanchamun selbst auch einer seiner illegitimen Söhne, wie die Forscher heute annehmen.

Ein Königssohn im Beamtengrab: das gibt Rätsel auf. Woran starb Tutanchamun so plötzlich, dass offenbar keine Zeit blieb, ein standesgemäßes Grab zu bauen? Wurde er ermordet und hatte sein Nachfolger, der betagte Hofbeamte Eje (er regierte von 1323 bis 1319 vor Christus), seine Hand im Spiel? Die Mordtheorie jedenfalls hat viele Romanschreiber beflügelt, wissenschaftlich ist sie nicht bewiesen. Auf den Grabmalereien ist Eje dargestellt, der am toten Pharao das Mundöffnungsritual vollzieht: Mit diesem Ritual legitimiert er seinen Anspruch auf den Thron. Es gibt zahlreiche Ungereimtheiten. Ungewöhnlich für ein Königsgrab ist die Darstellung eines Sargschlittenzuges. Die Nachtfahrt durch das Reich der Toten an der Westwand der Kammer ist auffallend kurz. Von den zwölf Stationen, die die Sonne während ihrer Reise durch die Unterwelt ansteuern muss, ist lediglich eine im Ausschnitt dargestellt - ein Sparprogramm.

Carters sensationeller Fund wurde schnell zum Allgemeingut und zum Anlass gnadenloser Vermarktung. Der Ägyptologie aber hat dieser "Coup" enorme neue Aufmerksamkeit beschert, und Feldforscher genossen bald allgemeines Interesse als abenteuerlustige Schatzsucher. Howard Carter, der zunächst als Zeichner nach Ägypten kam und in der Echnaton-Stadt Amarna arbeitete, war ein gewissenhafter Ausgräber. Doch neben der Dokumentation seiner Arbeit hinterließ er nur einen populären Bericht über die Entdeckung und Bergung des Schatzes.

Erst in den 1960er Jahren erschienen erste wissenschaftliche Auswertungen des Fundes. Aber es wurde nur wenig über das Inventar publiziert. Zwischen 1962 und 1981 reisten dann Grabschätze, die sämtlich im Ägyptischen Museum im Kairo aufbewahrt werden, in Sonderausstellungen durch die ganze Welt und begeisterten erneut Millionen von Menschen. Wieder entfachte das Goldkind - wie zu Zeiten der Entdeckung in den goldenen Zwanzigern - eine "Tut-Euphorie", die bis heute nachwirkt.

Karin Dzionara

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