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Gesundheit: Großes Kino für Schizophrene

Filmemacher lieben Krankheiten – das zeigt auch wieder die 57. Berlinale

In das Leben einiger junger Männer im Frankreich der 80er dringt ein neues bedrohliches Virus ein. Das Leben eines alten kanadischen Ehepaares wird durch Alzheimer grundlegend verändert. In einer südkoreanischen Heilanstalt wird ein Mädchen behandelt, das sich für einen Roboter hält. Drei Beispiele aus dem aktuellen Berlinale-Programm. Beispiele für Filme mit medizinischer Thematik.

„Krankheit ist ein beliebtes Filmsujet, weil es eine der Aufgaben von Kunst ist, menschliche Grenzerfahrungen zu thematisieren“, sagt der Medienwissenschaftler Hans Jürgen Wulff von der Uni Kiel, der über die Aufnahme medizinischer Inhalte im Film forscht. Da ist die unheilbare Krankheit, die den Helden nur noch eine kurze Lebensspanne übrig lässt: Die junge Heldin von Isabel Coixets Regiedebüt „Mein Leben ohne mich“ (2003) erlebt ihre wenigen Wochen umso intensiver. Da ist die körperliche Behinderung, die die Wahrnehmung auch des Zuschauers verändert: Fritzi Haberland zeigte in „Erbsen um halb 6“ (2004), wie man damit leben kann, von Geburt an blind zu sein. Da ist andererseits die psychische Erkrankung des Protagonisten, die sein Leben und das der anderen bedrohen kann: Daniel Brühl stellte das eindrucksvoll in „Das weiße Rauschen“ (2002) dar.

In jedem zehnten fiktionalen Film spielt eine psychiatrisch relevante Erkrankung die Haupt- oder zumindest eine Nebenrolle, so haben Untersuchungen ergeben. Giovanni Maio vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Uni Freiburg hat sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt. „Wer das Bild der Psychiatrie und die soziale Wahrnehmung psychisch Kranker verstehen möchte, kommt nicht umhin, sich mit dem Massenmedium Film auseinanderzusetzen“, findet der Mediziner und Bioethiker.

Maios Analyse von annähernd 250 Spielfilmen, in denen eine psychiatrische Klinik eine tragende Rolle spielt, lässt Entwicklungen erkennen. Boten psychiatrische Kliniken in der Stummfilmzeit noch den Background für Komödien, so wurden sie später – wie im „Cabinet des Dr. Caligari“ – beliebter Austragungsort von Krimis. „Das Motiv ist hier der Psychiater als Verbrecher“, sagt Maio. Die 40er bis 60er Jahre des 20. Jahrhunderts dagegen lassen die psychiatrische Klinik als Ort erscheinen, an dem kranke Menschen Hilfe finden können.

Dabei erscheint der Ort selbst typischerweise trostlos – etwa in „Die Schlangengrube“ von 1948. Dort gelingt es jedoch einem einzelnen begabten und sensiblen Arzt, eine schizophrene Patientin mittels Psychotherapie zu heilen. Diese Glanzzeit der Psychoanalyse im Kino wurde gekrönt von John Hustons biografischem Film „Freud“ aus dem Jahr 1962. In einer weiteren Phase, beginnend mit den späten 60ern, erschienen psychiatrische Krankenhäuser dagegen als Orte der Unterdrückung. Prominentestes Beispiel: „Einer flog über das Kuckucksnest“ mit Jack Nicholson. Hilfe wird den Filmhelden dieser Epoche vor allem durch das einfühlsame Gespräch zuteil, Repression wird dagegen vorzugsweise durch die gewaltsam erscheinende Elektrokrampftherapie repräsentiert. In der Wirklichkeit erstarkte zeitgleich die institutionenkritische „Antipsychiatrie“-Bewegung.

Seit Mitte der 80er Jahre hat sich das Bild nochmals gewandelt: „Im Zentrum neuerer Filme steht nicht mehr die Institution Psychiatrie und nicht mehr der Machtkampf, sondern das Innenleben des Kranken.“ Maio denkt an Filme wie „Shine“ (1996), in dem die innere Isolation eines begnadeten, an Schizophrenie erkrankten Pianisten dargestellt ist, an „A beautiful mind“ (2002), in dem ein ebenfalls hochbegabter späterer Nobelpreisträger es lernt, mit seiner Schizophrenie zu leben. Ganz wichtig ist dabei immer die Hilfe eines verständnisvollen sozialen Umfelds.

Trotzdem bleibt der psychisch Kranke „anders“. „Ich leide an Schizophrenie, sagen die Ärzte, die anderen finden meist nur, dass ich spinne“, sagt der Held Lukas in Hans Weingartners Film „Das weiße Rauschen“. Aus dramaturgischen Gründen laufe der Spielfilm Gefahr, dieses Andersartige überzubetonen, kritisiert Maio. Das kann durchaus Ängste vor Aggressionen psychisch Kranker schüren. Die Münchner Psychologin Petra Decker hat im Rahmen der Anti-Stigma-Aktion München (ASAM) des Kompetenznetzes Schizophrenie Zuschauer vor und nach der Vorführung von „A beautiful mind“ befragt. „Der Eindruck, dass Schizophrene gefährlich sein können, war nachher verstärkt“, sagt Decker. Sie wünscht sich deshalb, dass Filme auch über moderne Behandlungsmöglichkeiten aufklären.

Auch in den Augen von Wolfgang Gaebel, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Düsseldorf und Sprecher des Kompetenznetzes Schizophrenie, ist die Wahl der Binnenperspektive eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits sei es sehr begrüßenswert, dass mit den Mitteln der Kunst ein Einfühlen in die Welt der psychisch Kranken versucht werde. „Aus ärztlicher Sicht darf das aber nicht dazu führen, dass etwa das Durchleben einer Psychose als Wert an sich dargestellt wird, als ein Prozess, den Medikamente nur stören würden“, sagt Gaebel.

Maio wünscht sich Filme, die den Alltag der Betroffenen und die therapeutischen Möglichkeiten realistisch darstellen. Wie das gehen könnte, ohne dass die Spannung leidet, zeigt ganz am Rande ein Kultfilm aus Berlin: Am Ende von Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ (2005) entschließt sich eine junge Frau nach fachkundiger Beratung dazu, ihr Alkoholproblem mit einer Entzugsbehandlung anzugehen. So unspektakulär die kleine Szene in der (realen) psychiatrischen Klinik wirkt: Normal ist so etwas im Kino längst noch nicht.

Adelheid Müller-Lissner

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