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Dem Glaukom auf der Spur. Der Sehnerv wird mit einem Laser gescannt. Foto: ddp

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Grüner Star: Der Durchblick

Berlin war im 19. Jahrhundert dank Albrecht von Graefe eine Hochburg der Glaukom-Medizin. Auch heute noch wird an der Charité der Grüne Star erforscht. Ärzte entwickeln neue Therapiekonzepte

An der Ecke Luisen- und Schumannstraße ehrt ein Denkmal den Berliner Augenarzt Albrecht von Graefe, der an der Charité lehrte und in der Karlstraße 46 eine Privatklinik betrieb. Von Graefe gilt als Begründer der modernen Augenheilkunde. Berlin war durch sein Wirken (er starb 1870 mit nur 42 Jahren an Tuberkulose) eine Hochburg dieses Faches. Besonders fasziniert war von Graefe vom grünen Star, in der Fachsprache Glaukom genannt. Er konzipierte eine neue, noch heute in bestimmten Fällen angewandte Operation, mit der es möglich war, das wichtigste Merkmal des Glaukoms anzugehen: den erhöhten Druck im Augeninneren.

Selbst von Graefe hatte indes Zweifel, dass nur dieser erhöhte Augeninnendruck (IOD) allein den glaukomtypischen Schaden im Auge bewirkt: Den Untergang von Sinneszellen in der Netzhaut und vor allem in den Sehnerven. Die Sehnerven verlaufen vom Auge in Richtung Gehirn, wo die optischen Eindrücke verarbeitet werden. Inzwischen sind Störungen der Durchblutung dieser Sehnerven neben einem hohen IOD als Risikofaktor identifiziert worden; vor allem Patienten mit sehr niedrigem oder stark schwankendem Blutdruck können ein Normaldruckglaukom entwickeln.

Auf der Suche nach Mechanismen des Zelluntergangs sind Augenärzte auf einen Verdächtigen gestoßen: Oxydativer Stress. Das bedeutet, dass in den Körperzellen zu viele schädliche Formen von Sauerstoff – so genannte freie Sauerstoffradikale – vorhanden sind und zu wenig Schutzmechanismen, die diese Radikale abpuffern. Glaukom-Experten wie Carl Erb, Direktor der Augenklinik in der Schlosspark-Klinik in Charlottenburg, haben außerdem in den Zellen des Immunsystems ein Eiweiß namens „Nukleärer Faktor Kappa B“ identifiziert, das bei oxydativem Stress freigesetzt wird und möglicherweise den Zelluntergang beim Glaukom auslöst. „Durch einen erhöhten oxydativen Stress“, sagt Erb, „werden die Sinneszellen in Netzhaut und Sehnerv angegriffen. Für die Betroffenen läuft dieser Prozess zunächst praktisch unbemerkt ab.“ Deshalb mache die Früherkennungsuntersuchung Sinn, bei der Hinweise auf eine Schädigung des Sehnervs festgestellt und behandelt werden können, bevor das Sehvermögen leidet. Neben bekannten Risikofaktoren wie erhöhtet Augeninnendruck, fortgeschrittenes Lebensalter und Rauchen kann nach neuesten Forschungsergebnissen auch hoher emotionaler Stress den Zelluntergang stimulieren. Hierin könnte ein Hinweis dafür liegen, dass ein Glaukom stärker als bisher angenommen ein Leiden des ganzen Körpers und der Psyche ist und kein auf das Auge begrenztes Leiden.

Was immer die Ursachen und Risikofaktoren sind, eines ist typisch für das Glaukom: Für die Betroffenen verläuft der Untergang der Zellen schleichend, sodass viele sich des Leidens gar nicht bewusst sind. Im Gegensatz zu anderen Augenerkrankungen wie etwa dem Katarakt (Grauer Star) kommt es beim Glaukom nämlich nicht zu einem Abfall im Zentrum der visuellen Wahrnehmung, also der Sehschärfe. Diese kann selbst bei Glaukom-Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Störung noch normal sein. Der Schaden beim grünen Star äußert sich in Ausfällen in der Peripherie des Gesichtsfeldes, in Defekten, die zunächst klein sind und im Laufe der Zeit zusammenfließen und größer werden. Der Patient bemerkt diese Ausfälle meist zunächst nicht, da sie nicht zu einem schwarzen Fleck in seiner peripheren Wahrnehmung führen. Das Gehirn kann die Defekte bis zu einem bestimmten Grad mit Farbeindrücken des Umfeldes auffüllen, sodass viele erst dann subjektiv Veränderungen bemerken, wenn der glaukomatöse Schaden des Sehnervs bereits fortgeschritten und irreversibel ist. Carl Erb empfiehlt den Besuch beim Facharzt, um ein Leiden auszuschließen, das in seiner frühen Phase kaum bemerkbar ist. Das setzt allerdings einen gewissen Kenntnisstand bei den potenziell Bedrohten voraus: Menschen ab 40 sowie familiär Belastete. In Deutschland leben rund fünf Millionen Menschen mit einem Glaukom-Risiko, 800 000 sind erkrankt. Die Zahl jener, die ein Glaukom haben und es nicht wissen, wird auf weitere 500 000 bis 800 000 Menschen geschätzt. Deshalb propagieren Augenärzte die Früherkennungsuntersuchung ab 40.

Da es Hinweise darauf gibt, dass auch Faktoren wie Immunsystem und psychischer Stress das Glaukom beeinflussen, könnte die Behandlung neue Wege beschreiten. Erb spricht von „ganzheitlichen Therapiekonzepten“, die interdisziplinär für Patienten mit chronischem Offenwinkelglaukom (der weitaus häufigsten Glaukom-Form) entwickeln werden müssten. Dabei könnten eigentlich gar nicht für die Glaukom-Behandlung entwickelte Medikamente wie die als Cholesterinsenker eingesetzten Statine ebenso eine Rolle spielen wie bestimmte Nährstoffe. Omega-3-Fettsäuren könnten zu ihrem positiven Effekt wie dem Schutz der Herzkranzgefäße auch am Auge eine schützende, das Glaukom-Risiko mindernde Wirkung haben. Bis es handfeste Beweise gibt, wird die Therapie allerdings – wie zu Albrecht von Graefes Zeiten – primär den wichtigsten Risikofaktor im Auge selbst, den erhöhten Augeninnendruck, beobachten und mit Augentropfen und gegebenenfalls einer Operation zu senken versuchen.

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